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Kölner Lehrerin über ihren Job„Angeber ohne Teamgeist können wir nicht gebrauchen“

Lesezeit 5 Minuten
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Englischlehrerin an einer Grundschule – vor allem an dieser Schulform fehlen Lehrkräfte. 

  1. An den Kölner Grundschulen wird der Lehrermangel immer gravierender.
  2. In diesem Schuljahr konnte nur knapp die Hälfte der ausgeschriebenen Stellen mit Lehrern besetzt werden.
  3. Irbit Ludwig, Leiterin der Grundschule Rheinstraße in Mülheim, schildert im Interview, wie sich der Lehrermangel an den Grundschulen auswirkt und welche Herausforderung es bedeutet, immer mehr Seiteneinsteiger einsetzen zu müssen.

KölnFrau Ludwig, auf welche Situation trifft dieser Mangel an Ihrer Schule?

Wir haben hier in Mülheim eine sehr gemischte Schülerschaft. Ein sehr hoher Anteil der Schüler hat einen Migrationshintergrund. Viel gravierender aber ist, dass viele Kinder psychisch in einer schwierigen Verfassung sind. Sie kommen oft aus schwierigen sozialen Verhältnissen: die Familien sind belastet oder es herrscht ständige Geldknappheit.

Wie sieht an Ihrer Schule die personelle Situation aus?

Wir haben natürlich auch riesige Schwierigkeiten, ausgebildete Lehrkräfte zu gewinnen. Auf der rechten Rheinseite noch deutlich mehr als auf der linken. Je sozial schwächer der Stadtteil, desto schwieriger die Akquise. Die eh schon mangelhafte Bildungsgerechtigkeit verschlechtert sich nochmal massiv. Derzeit sind bei uns allein zwei Vertretungsstellen und eine feste Lehrerstelle vakant.

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Können Sie die nicht mit Seiteneinsteigern besetzen?

Wenn ich eine Stelle zwei Mal vergeblich ausgeschrieben habe, kann ich die für Seiteneinsteiger öffnen. Wer die Mangelfächer Musik und Sport studiert und zwei Jahre Berufserfahrung hat, kann sich bewerben und wird ein Jahr berufsbegleitend qualifiziert. Aber solche Bewerber gibt es quasi nicht. Ich hatte noch keinen. Und so bleibt die Stelle unbesetzt. Wenn aber eine Kollegin länger erkrankt oder in Elternzeit geht, kann eine befristete Vertretungsstelle ausgeschrieben werden.

Da kann sich dann quasi jeder bewerben?

Ja. Dann ist die Stelle offen für Vertretungskräfte, die keine speziellen Anforderungen erfüllen müssen. Da kann sich quasi jeder bewerben. Die Vertretungskräfte bekommen einen befristeten Vertrag, aber keinerlei qualifizierende Seminare. Sie werden ins kalte Wasser geworfen und einfach vor die Klasse gestellt. Wenn man Glück hat, ist das dann jemand, der schon mal größere Kindergruppen vor sich hatte. Aber egal, wer da kommt: Diese Kollegen brauchen ein intensives Coaching, das wir anderen Kollegen ohne externe Unterstützung im laufenden Betrieb leisten müssen – und das angesichts der ohnehin große Belastung.

Wer stellt sich denn da so bei Ihnen als Vertretungskraft vor?

Das ist dann beispielsweise eine abgebrochene Studentin ohne Unterrichtspraxis, eine Kulturanthropologin, eine Designerin oder eine Schneiderin. Ich habe Seiteneinsteiger erlebt, die in diesem Beruf ihre Berufung gefunden haben und ihn mit viel Liebe und Energie für die Einarbeitung absolvieren. Aber es gibt immer wieder Leute, die denken, das kann ja alles gar nicht so schwer sein: vormittags Recht haben und nachmittags frei. Dass es neben fachlicher und pädagogischer Ausbildung auch Hingabe, Engagement und viel Kraft braucht, machen die sich nicht klar. Ganz ehrlich: Muttis, die nur ein bisschen nebenbei arbeiten wollen oder Angeber ohne Empathie und Teamgeist können wir hier nicht gebrauchen. Dazu ist unser Job zu anstrengend und zu verantwortungsvoll.

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Können Sie sich auch leisten, jemanden abzulehnen oder nehmen Sie inzwischen jeden?

Nein. Es gibt Schulleiter, die eher eine Vakanz in Kauf nehmen als ein intensives Coaching, das das ganze Kollegium fordert und dann eben indirekt auch auf Kosten der Kinder geht. Das mache ich auch so. Ehe ich jemanden nehme, von dem ich gar nicht überzeugt bin, strecke ich die Mittel und nähe alles auf Kante: Dann fällt die individuelle Kleingruppenförderung runter oder wir setzen Sonderpädagogen für den Fachunterricht. Man konzentriert sich dann auf das Kerngeschäft.

Schulministerin Gebauer hat ein Programm aufgelegt eigens für Gymnasiallehrer, um diese für die Grundschulen zu gewinnen. Wer für zwei Jahre an die Grundschule wechselt, hat dann die Aussicht auf eine feste Stelle am Gymnasium. Hat Ihnen das geholfen?

In den letzten zwei Jahren hatten wir zwei Gymnasiallehrer, die das gemacht haben. Das hat für uns Kollegen zwar einen sehr hohen Unterstützungsbedarf erfordert, weil Grundschuldidaktik eben so ganz anders ist, hat aber auch viel gebracht. Diese Kollegen sind ja schon ausgebildete Lehrer und leisten wirklich gute Arbeit, wenn sie sich hier eingearbeitet haben. Jetzt sind die zwei Jahre um. Die Kolleginnen gehen und wir fangen wieder von vorne an. Das bindet unglaublich viele Ressourcen, ohne nachhaltig zu sein.

Wie wirkt sich der Mangel schon jetzt konkret aus?

Er verschärft die sozialen Probleme in der Schule. Eltern, die das selber merken, die gehen auf die Barrikaden. Etwa wenn die schlechter gewordene Rechtschreibung Thema ist. Der Rechtschreiberwerb ist eine komplexe Angelegenheit. Da reicht es nicht, wenn eine Vertretungskraft einfach ein Trainingsheft abarbeitet. Die Konsequenz ist, dass wir Kinder aus der Grundschule entlassen mit schlechterem mathematischen Verständnis und ohne die Fähigkeit, sinnentnehmend zu lesen. Besondere Sorgen machen mir da übrigens nicht mal die Schwächsten.

Sondern?

Es ist das Mittelfeld, das uns da gerade wegbricht. Wir verschenken ganz viel Potenzial. Es gibt auf der einen Seite die leistungsstarken Schüler. Die schaffen das sowieso. Und es gibt die schwächeren Schüler, um die man sich mit den vorhandenen Ressourcen kümmert. Aber mir geht es um die Kinder, die nett und unauffällig sind, die man nicht bemerkt und die auch gefördert werden müssten. Das sind die Schüler, die früher vielleicht gute Realschüler wurden oder es mit der eingeschränkten Gymnasialempfehlung auf ein Gymnasium geschafft haben. Früher hatte man dieses breite Mittelfeld als solide Basis. Diese Basis rutscht weg, weil wir nicht mehr so konsequent dran bleiben können mit der Förderung.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, um mehr Lehrer an die Grundschulen zu bekommen?

Die Gehaltsbedingungen müssten endlich verbessert werden, um das Grundschullehramt attraktiver zu machen. Wie lange wird da schon drüber geredet. Aber es passiert nichts. Sie haben als Grundschullehrer keine Karrierechancen und verdienen deutlich weniger als ihre Kollegen am Gymnasium, obwohl sie genauso lange studiert haben. Von Schulleitungsstellen gar nicht zu reden. Außerdem bräuchte es mehr gesellschaftliche Anerkennung für diese wichtige und didaktisch anspruchsvolle Arbeit. Derzeit herrscht doch die Denke: Grundschule kann ja jeder.

Und auf der fachlichen Ebene?

Wir bräuchten dringend Qualifizierungsmaßnahmen. Gerade auch für Vertretungslehrer. Zudem müsste der echte Seiteneinstieg für alle Fächer geöffnet werden. Seitensteiger sind eine wertvolle Ressource, auf die wir nicht verzichten können. Aber wir müssen ihnen auch eine wirkliche Chance geben, indem wir sie ausbilden.