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DJ-Ikone Hans Nieswandt im Interview„In Köln wird DJ-Kultur nicht gewürdigt“

Lesezeit 8 Minuten
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Hans Nieswandt im Jahr 2019 in Köln

  1. Der House- und Techno-DJ und Buchautor Hans Nieswandt (57) hat 30 Jahre in Köln gelebt.
  2. Er wohnt jetzt in Seoul und spricht im Interview über die Pandemie in Südkorea und die Highlights des Kölner Nachtlebens.

KölnHerr Nieswandt, Sie sind kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie im Winter 2019 von Köln nach Seoul gezogen. Hätten Sie die Pandemie lieber hier verbracht?

Nieswandt: Die Nachrichten aus Deutschland von den Hamsterkäufen haben mich sehr verwundert: Das war hier gar kein Thema. Als die Fallzahlen dann explodiert sind, habe ich gemerkt, dass das hier ziemlich gut gemanaged wird. Da war ich froh über den Zufall, in einem Land zu leben, in dem der Umgang mit der Pandemie ziemlich gut funktioniert und im Vergleich zu Deutschland viel weniger Einschränkungen bedeutet hat.

Auf welchem Stand in der Pandemie befindet sich Südkorea gerade?

Die Inzidenzen waren meistens niedrig, steigen allerdings gerade bedenklich; es gibt keine Alarmstimmung, aber die Impfungen schreiten ein wenig schleppend voran. Das Nachtleben war auch hier stark eingeschränkt, viele Läden konnten dennoch von 19 bis 22 Uhr öffnen, seit Juli dürfen sie eigentlich bis Mitternacht öffnen. Das wird jetzt allerdings von Woche zu Woche verschoben. Nur zu wenigen Zeitpunkten gab es so richtige Lockdowns. Es war nie ein Problem, ins Restaurant, ins Café oder in große Shopping-Malls zu gehen. Es wurde viel dafür getan, dass die Clubs und Konzertsäle wirtschaftlich nicht völlig einbrechen.

Und Sie haben in der Zeit auch aufgelegt?

Ja, ich habe so ein paar Läden, mit denen ich mich angefreundet habe. Die Tanzfläche war meistens zugestellt mit Sofas und eine Zeitlang war das so, dass wenn einer aufgesprungen ist zum Tanzen, mit Abstand und Maske, jemand kam. Es ist nicht so, dass die Leute einen Laden stürmen, die sind schon vorsichtig. Man hat aber gesehen, dass die Menschen das lieben und brauchen. Dann gab es sowas wie Brunch-DJ von 12 bis 15 Uhr, wo gar nicht getanzt wird. War aber trotzdem schön, solange da etwas passiert zwischen DJ und Publikum.

Ihnen ging es vergleichsweise besser als den DJs hierzulande, die seit mehr als einem Jahr kaum auflegen. Wie ist Ihr Gefühl – Dankbarkeit oder eher: „Das erfüllt mich nicht“?

Ich bin ein schon etwas älterer DJ: immer noch hungrig, aber nicht wie ein Mittzwanziger, der viel feiern will. Die Gelegenheit nach Seoul zu gehen, war auch die, es etwas ruhiger angehen zu lassen. Ich habe es mir 30 Jahre lang jedes Wochenende ordentlich auf die Ohren gegeben. Deswegen war ich davon ausgegangen, dass ich ohnehin paar Monate nicht auflegen werde. Dass dann die ganze Welt im selben Moment aufhört, aufzulegen, hat mich vollkommen entsetzt. Nach einer Weile dachte ich aber, es zuckt mir in den Fingern, ich habe schließlich all diese Schallplatten mitgebracht. Ich habe jetzt zwei, drei Sachen im Monat hier, da bin ich glücklich drüber.

Kölner DJ Hans Nieswandt bewundert die Schallplatten-Laden-Szene von Seoul

Wieviele Schallplatten haben Sie denn?

Ich habe in einer ungeheuren Kraftanstrengung meine wirklich immense Sammlung ungefähr auf ein Zehntel eingedampft, und nur noch die Platten, die ich sehr gut finde, etwa 1500, hergebracht. Für normale Menschen ist das eine Menge, aber ich wusste erst nicht, wie ich damit über die Runden kommen soll: Jetzt finde ich es schön, mal etwas Ballast abzuwerfen.

Dazu kommt, dass es hier in Seoul eine wahnsinnig gute Schallplattenladen-Szene gibt. Sehr viele kleine, kuratierte, Inhabergeführte Vinyl-Shops. Diese Leute können meistens gut Englisch und wenn die dann feststellen: Das ist einer von „Whirlpool“, von dem Hit „From Disco to Disco“, freuen die sich wahnsinnig.

In Köln diskutieren wir Anfang Juli immer noch, dass Open-Air-Events mit Kontrollen eine sichere, pandemiegerechte Variante des Feierns darstellen würden. Wie war Ihre Erfahrung in Köln?

Ich verfolge das alles. Ich hatte die letzten sechs Jahre in Köln allerdings meinen Fokus verschoben, weil ich für die Folkwang-Universität ein Institut geleitet und keine eigenen Clubaktivitäten verfolgt habe. Ich denke allerdings schon seit Mitte der 90er Jahre, dass für den Ruf und den Rang, den Köln als Musikstadt hat, insbesondere auch für elektronische Musik, dass das nicht in dem Maße gewürdigt wurde, auch von den offiziellen Stellen. In Tokio, Seoul und Montreal sagen die Leute „Wow, Köln“, aber in Köln selbst irgendwie nicht, wenn es um DJ-Kultur oder auch Hip-Hop geht.

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Was vermissen Sie an Köln?

Ich vermisse natürlich meine Leute, meine Tochter und Freunde und ich vermisse Neuehrenfeld, meine Hood. Da hat mich jeder gekannt. Im Café Franck habe ich jahrelang eine regelmäßige Nachbarschaftssause gemacht. Nach 30 Jahren in Köln war ich allerdings einer Veränderung nicht abgeneigt. Seoul ist um einiges aufregender als Köln, es ist auch beeindruckend wie manches funktioniert, auch da glänzt Köln nicht gerade: zum Beispiel der öffentliche Nahverkehr.

Das ist der Hammer. Die Apps sagen einem, an welche U-Bahn-Tür man sich stellen muss, damit man möglichst schnell umsteigen kann. Die Taktung ist zack zack. Auch die Digitalisierung ist hier meilenweit voraus. Hier ist 5G überall, auch in der tiefsten U-Bahn. Mein Internet auf der Straße hier ist besser als das in meiner Kölner Wohnung.

Nieswandt legte im Kölner Rose Club auf: Die Whirlpool-Party-Reihe entstand

Sie zogen vor 30 Jahren für eine Redakteursstelle bei der mittlerweile eingestellten „Spex“-Musikzeitschrift von Hamburg nach Köln um. Wo gingen Sie hier aus?

Hamburg ist eine irrsinnig schöne Stadt, Köln auch, aber vor allem wenn man da geboren ist und nicht viele Vergleiche hat. Die Schönheit liegt mehr im Inneren der Menschen, da bin ich sehr schnell gut reingekommen. Meine zentralen Anlaufpunkte waren Königswasser, Sixpack und sehr wichtig: der alte originale Rose Club, wo man damals noch Grunge-Bands und Nirvana gehört hat. In Köln war im Vergleich zu Hamburg clubtechnisch nicht wahnsinnig viel los, der Rave Club war schon zu. Für diese abgehende House-Music fehlte der Ort.

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Der Kölner DJ Hans Nieswandt

Im Rose Club gab es eine Reggae-Nacht von Diedrich Diederichsen (ehemaliger Chefredakteur der Spex, Anm. d. Red.) und Gerd Gummersbach und dann habe ich einfach gefragt, ob ich einmal im Monat eine Party bekomme, die habe ich „Whirlpool“-Party genannt, darauf hat sich dann unser Whirlpool-Productions entwickelt. Als es dann losging mit den Platten wurde ich auswärts gebucht, sodass ich ab Mitte der 90er eigentlich auch in Köln nur Gast-DJ war: das aber überall und andauend.

Was waren im Kölner Nachtleben damals dennoch Highlights für Sie?

Auf der Luxemburger Straße gab es noch das „Iz“, der Club war damals für viele heutige Big Player ein wichtiger Ort: Michael Mayer, Tobias Thomas, Superpitcher, und alle diese Leute vom Kompakt-Label, die unheimlich viel Wirkung entfaltet haben. Und natürlich der Funky Chicken Club: eine sehr bedeutende Institution im Mixed-Gay-Zusammenhang, das war kein Laden, sondern eine Veranstaltung, immer dienstags.

Ganz am Anfang im kleinen Schwulenclub, dann ist sie umgezogen auf die Ringe ins Apollo, von da ins „Lulus“ unter die Schweizer Ladenstadt, was damals die größte Schwulendisco Europas war. Dienstags kamen 1500 Leute. Es war eine tolle Mischung, wie ich sie in Köln danach nicht mehr gesehen habe: Vom Friseur-Lehrling bis zu Künstlern wie Wolfgang Tillmanns und Galeristen. Ab Ende der 90er war ich dort ein paar Jahre ein Resident.

Nieswandt war künstlerischer Leiter eines Masterstudiengangs

Sie waren bis zu Ihrem Wegzug jahrelang künstlerischer Leiter des Master-Studiengangs Popmusik an der Folkwang Universität der Künste. Haben Sie die Selbständigkeit vermisst oder war die feste Beschäftigung ein Segen?

Als sich das ergeben hat, war ich nicht auf Jobsuche oder Suche nach Rettung. Das war eine sehr schöne Aufgabe. Erst im zweiten Jahr habe ich realisiert, dass ich jetzt eigentlich Urlaub machen könnte. Wir DJs spielen im Sommer Festivals, füllen drei Monate im Voraus unseren Terminkalender mit unseren Auftritten, da geht man nicht für vier Wochen einfach weg. Ich kann mich nicht beklagen, denn meine Auflegerei war mit tollen Reisen verbunden.

Diese ganzen Tätigkeiten: schreiben, produzieren, auflegen, da fühlte ich mich nicht urlaubsreif. In diesem öffentlichen Dienst hatte ich jedoch viele Leute, um die ich mich kümmern musste, viel Administration. Ich bin dem Ort nach wie vor sehr verbunden. Es ist jetzt ganz okay, weil ich an einem neuen Buch arbeite und ich habe viele neue Platten fertig.

War die Arbeit im Institut sehr motivierend, weil sie mit jungen muikbegeisterten Menschen zu tun hatten oder war es auch ernüchternd, weil sie sich womöglich auf dem Markt nicht durchsetzen?

Es gibt niemals Garantie, dass man als Künstler bis zu Rente Erfolg hat, aber was das Wichtige ist und weswegen ich glaube, dass ähnliche Institute möglicherweise in anderen Städten aufmachen werden: Durch die Digitalisierung hat sich die Musikindustrie extrem verändert.

Früher war wesentlich mehr Geld in den Labels, das hatte zur Folge, dass es nicht nur superreiche Major Labels gab, sondern auch einen tollen Mittelbau aus unabhängigen Labels, die mehr Monetarisierungsmöglichkeiten hatten, sodass sie eine Menge Leute bezahlen konnten, die Künstler aufbauen und sich um sie kümmern. Wir haben diese Art von Funktion übernommen, mit dem Unterschied, dass wir keine kommerziellen Interessen daran haben und kein Geld mit den Künstlern verdienen.