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CoronaKölner Star-DJ über Clubs in der Krise: „Das wird ein Massaker geben“

Lesezeit 9 Minuten
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Star-DJ Michael Mayer wohnt in Köln.

  1. Michael Mayer ist DJ, Musikproduzent und Mitgründer des renommierten Kölner Techno-Labels „Kompakt“.
  2. In normalen Zeiten legt der 48-Jährige weltweit auf und gilt als Aushängeschild in seinem Gebiet. Seine neue Platte „Higher“ kann er derzeit allerdings nicht auf der Bühne spielen.
  3. Ein Gespräch über die Krise der Clubs und DJs, die Kölner Technoszene Ende der Neunzigerjahre und darüber, wie es ist, für Live-Streaming im leeren Club aufzulegen.
  4. Aus unserem Archiv.

KölnHerr Mayer, unmittelbar vor dem Lockdown waren Sie noch auf Tour in den USA und in Mexiko. Jetzt heißt Ihre Daueradresse zunächst mal: Köln. Wie fühlt sich dieser Stillstand an?

Es gibt Licht und Schatten. Ich habe es sehr genossen, über diesen langen Zeitraum mit meiner Familie zu sein und nicht verreisen zu müssen. Ich hatte immer so einen hektischen Tagesablauf: Unter der Woche in der Firma, am Wochenende Gigs, da hatte ich dann nur den Dienstagabend für die Musik. Und jetzt habe ich mehr Zeit, das genieße ich. Aber die Sorge schwingt immer mit. Ich weiß nicht, wann ich wieder Gigs spielen kann. Ich rechne nicht damit, dass es vor Jahresende soweit sein wird. Die finanziellen Ausmaße nicht nur für mich, sondern den ganzen Kosmos, sind natürlich katastrophal. Ich bin gespannt, wie viele Clubs es dann noch gibt, wenn der Lockdown gelockert wird. Das wird ein Massaker geben in den nächsten Monaten.

Großveranstaltungen sind zunächst bis Ende August abgesagt, unklar ist noch, ob Clubs dieses Jahr überhaupt wieder öffnen können. Wann war Ihr letzter Sommer ohne Festivals?

Als ich 15 war? Wenn ich nicht selbst gespielt habe, so war ich selbst Gast. Sommer und Festivals: Das gehört für mich zusammen.

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Der 48-Jährige ist weltweit als DJ unterwegs

Wie geht Ihr Label Kompakt, für das 25 Mitarbeiter tätig sind und 40 DJs Musik veröffentlichen, mit der Krise um?

Wir haben uns trotz der widrigen Umstände entschieden, weiter Musik zu veröffentlichen. Zwei größere Projekte haben wir in den Herbst geschoben, weil wir hoffen, dass es da besser aussieht. Ich denke, es ist wichtig, auch gerade jetzt, Musik zu veröffentlichen.

Ist das nicht sogar eine Chance, weil die Leute nun mehr Zeit haben, Musik zu hören?

Das Problem ist, dass der Großteil, den wir veröffentlichen, Clubmusik ist und die hört man am besten im Mix. Wir beobachten ganz genau wie sich das auf Spotify und mit den Downloads entwickelt. Das stagniert eher, weil die Leute, man kann es ihnen nicht verübeln, lieber einen Livestream anschauen oder ein DJ-Set auf Soundcloud anhören. Das große Problem dabei ist, und das gab es auch schon vor der Krise: Formate wie Boiler-Room auf Youtube (Ein DJ wird während seines Auftritts im Club gefilmt, hinter ihm sieht man das Publikum, Anm. d. Red.). Die haben teilweise bis zu 20.000 Millionen Views. Das ist ein Vehikel für viele DJs, um ihren Marktwert zu steigern. Das traurige dabei ist aber, und ich bin motiviert dagegen anzukämpfen: Die Künstler, deren Musik da gespielt wird, die profitieren da überhaupt nicht von, es landet kein Cent bei ihnen.

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Aber liegt das nicht im Genre begründet, dass man Musik von hier und dort zusammenmischt?

Einst war es so, dass die Produzenten durch die Plattenverkäufe Geld verdient haben. Eine zeitlang haben sie durch die Downloads verdient und irgendwann hat die Piraterie zugeschlagen: Da hat sich das Bewusstsein durchgeschlagen, dass alles umsonst ist. Dadurch herrschen in der elektronischen Musik prekäre Zustände bei den Produzenten. Man ist gezwungen, Gigs zu spielen. Es ist aber nicht unbedingt jeder dafür geschaffen. Das wurmt mich extrem, nicht nur weil ich ein Plattenlabel betreibe, sondern an unseren Künstlern sehe, wie ihnen gerade auch jetzt das Geld ausgeht, obwohl sie talentiert und etabliert sind. Ich hoffe, dass diese Krise auch bei der GEMA Freiraum schafft, um diese Zustände anzugehen.

In Köln und andernorts legen DJs im leeren Club auf, während die Zuschauer zuhause sitzen. Sie haben auch schon aus dem Club Gewölbe live gestreamt. Macht das überhaupt Spaß?

Ein Freund von mir meinte auch zu mir, dass ich dabei so traurig ausgesehen hätte. „Was war los?“, hat er mich gefragt. Nichts war los. Ich habe auf eine Kamera geguckt, was deprimierend ist. Ich mag das Format auch nicht gerne, aber ich verstehe die Notwendigkeit, dadurch Spenden zu generieren und dass Leute gerne ihre Lieblings-DJs sehen möchten. Ich denke, das wird sich weiter etablieren. Jeder hat doch ein gewisses Budget, was er am Wochenende für Drinks und Eintrittsgelder raushaut und es wäre doch schön, wenn man zehn Euro für seinen Lieblings-DJ spendet. Und die Leute sind tatsächlich spendenfreudig. Das ist schön zu sehen.

Sie kommen ursprünglich aus der Nähe von Offenburg. 1992 kamen Sie nach Köln. Warum gerade hier und nicht nach Berlin, das Anfang der 90er als Technohochburg galt?

Ich bin auf Köln reingefallen. Mein erster und einziger Kölnbesuch, bevor ich hergezogen bin, war an dem Wochenende, als die Popkomm stattfand. Und ich dachte nur: Wow, hier ist was los. Ich fand den Vibe in der Stadt so toll. Ich habe dann direkt viele Leute kennengelernt und mein guter Freund Tobias Thomas war schon ein halbes Jahr früher hierhergezogen. Berlin kannte ich schon recht gut damals, aber ich konnte mir nie vorstellen, dorthin zu ziehen. In Köln war einfach mehr Platz. In Berlin war es damals schon so, dass die DJs Schlange standen. Köln ist für mich Heimat geworden, der ideale Ort. Ich komme so viel rum. Ich brauche zuhause nicht das pralle Leben vor der Tür, obwohl man es hier auch haben kann.

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Michael Mayer im Gespräch mit Redakteurin Maria Gambino

Wie war das Kölner Nachtleben damals?

Damals gab es das Warehouse als Technoinstitution der Stadt. Das war nicht so meine Welt, obwohl musikalisch verwandt. Das war straightes Raven, sehr viele chemische Substanzen und die Musik auch ein bisschen zu schnell für meinen Geschmack. Dann die Ruine in Ehrenfeld. Da liefen dann Hardcore Breakbeats von Cosmic Orgasm, das Publikum war alternativer. Und dann die Whirlpool-Partys mit Hans Nieswandt (Bekannter House-DJ und Produzent aus Köln, Anm. d. Red.). Tobias und ich haben schnell angefangen, unsere eigenen Partys zu veranstalten. Wir wurden zunächst in einem Club namens „IZ“ heimisch, der sich auf der Luxemburger Straße befand.

Wie hat sich die Clublandschaft für elektronische Musik und insbesondere Techno in Ihren Augen gewandelt?

Es gibt ein paar sehr feine Adressen, mehr denn je eigentlich in Köln. Wobei ich fürchte, dass das nur ein temporärer Zustand ist. Man sieht ja gerade, wie Ehrenfeld sich entwickelt, wo wir schon einige Clubs verloren haben. Die Gentrifizierung schreitet auch hier voran und drängt Clubs immer mehr raus aus dem zentrum. Ich hoffe, dass die Stadt da ein Auge drauf hält. Am meisten zuhause fühle ich mich hier im Gewölbe. Das ist eine der besten Anlagen in Deutschland und auch das Licht ist toll. Sie machen ein super Programm.

Sie haben 1998 eine legendäre Partyreihe namens „Total Confusion“ im ehemaligen Studio 672 initiiert, die bis 2007 ging. Was war das für eine Zeit?

Die Zeit im Studio war eine ganz besondere. Die Karten in der Stadt wurden damals neu gemischt. Es gab eine Öffnung seitens des klassischen Indie-Rock-Publikums, das anfing, sich für elektronische Musik zu interessieren. Wir wussten, dass das, was wir machen, anders ist als das, was in den anderen Clubs passiert. Wir haben auch mal die ersten zwei Stunden nur Ambient gespielt, bis der Laden voll war und dann wurde langsam der Beat hochgefahren. In der Primetime spielten wir dann halsbrecherischen Techno, danach wurde es dann wieder poppiger. Es konnte einfach alles passieren, deswegen hieß die Party auch „Total Confusion“. Es gab den relativ neuen Kompaktsound: wir haben an einem poppigeren Entwurf von Minimal Techno gearbeitet, der dann bei der Party immer direkt getestet wurde.

Die Musik von Kompakt wird vielfach mit dem Begriff „Sound of Cologne“ etikettiert. Ist das eine Worthülse?

Es war immer ein schwieriger Begriff, den wir auch nicht erfunden haben. Der kam irgendwann aus der Presse. Richtiger müsste es eigentlich heißen: Sounds of Cologne, weil es zu der Zeit viele Strömungen in der Stadt gab. A-Musik, experimentelle Musik, es gab die Clique um Dr. Walker und Liquid Sky. Auch innerhalb des Labels reichte die Palette von Ambient, komische Pop-Projekte und Techno.

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SMK-Brasack

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Ein verzweifelter Versuch also, mit dem Begriff etwas zu greifen, was sich nicht greifen lässt…

Also es hat uns jetzt nicht wirklich gestört, weil es Aufmerksamkeit gebracht und der Stadt geholfen hat, eine sehr gesunde Szene zu entwickeln. Es wurden jede Woche neue Labels gegründet. Das war eine kreative Explosion. Aber es ist nicht ein Sound. Irgendwelche Linien zu der Krautrock-Vergangenheit Kölns zu ziehen und was da alles geschrieben wurde: Das hat bei uns nur Kopfschütteln verursacht.

Der Nostalgie geschuldet: Was war Ihr längstes Set?

17,5 Stunden. Das war vor drei zwei Jahren in Tiflis in Georgien. Dieses Festival, wo ich seit zehn Jahren spiele, ist was ganz besonderes: Das war eigentlich ein Memorial-Event für einen verstorbenen DJ. Seine Freunde haben eine Party organisiert. Sie hatten mich damals zur ersten Edition eingeladen, weil ich scheinbar sein Lieblings-DJ war. Da waren 300 Leute und es wurde furchtbar viel geweint und Chacha gesoffen. Und im Jahr darauf waren es schon 1000 und letztes Jahr kamen 15.000 Leute auf eine stillgelegte Raketenabschussbasis.

In der Altersspanne 40-50 gehen die Leute ja eher nicht viel feiern, Sie halten aber die Stellung. Wie lange wollen Sie noch auflegen?

Solange die Rolling Stones noch auf Tour gehen, kann ich das auch. Solange der Körper mitmacht und es mich erfüllt, will ich weitermachen.

Und was könnte man dafür tun, dass auch die 40- und 50-Jährigen öfter das Tanzbein schwingen?

Mein großer Traum ist es, in Köln eine Sonntags-Tea-Dance-Party zu starten. Mir fehlt leider die Location dafür, weil Tageslicht nett wäre. Wir suchen schon so lange und wir finden nichts. Man hat halt immer Nachbarn und der Tanzbrunnen ist zu teuer. Die Maßnahme hieße dann: früher anfangen. Bin gespannt, ob nicht vielleicht durch diese ganze Live-Streamerei die Partys auch früher am Abend anfangen könnten. Vielleicht kommen die Leute auf den Geschmack.

Das Interview ist Anfang Mai im „Kölner Stadt-Anzeiger“ erschienen.