Sester-Enkel will Markt erobernNeues Bier aus Köln-Ehrenfeld ist kein Kölsch
Köln-Ehrenfeld – Ob er schon mal auf dem Bock einer Sester-Kutsche gesessen habe, weiß Paul Nolte nicht so genau. Aber auf den Rücken eines Sesterpferds sei er als kleiner Bub schon einmal gesetzt worden. Diese Erfahrung und der typische Maischegeruch, der ausgehend vom Brauereigelände an der Vogelsanger Straße 17 bis Anfang der 1990er Jahre über Ehrenfeld hing, prägten den jungen Paul Nolte. Während viele andere seiner Generation „irgendwas mit Medien“ machen wollten lautete sein Berufswunsch schon früh „Irgendwas mit Bier“.
Schülerpraktikum in der Brauerei
Mit zwölf Jahren verbrachte er sein erstes Schülerpraktikum in einer Brauerei. Heute mit 32 ist er zielstrebig in den Fußstapfen des Großvaters – Hermann Sester – unterwegs. Dieser hatte die traditionsreiche 1805 gegründete Brauerei nach dem Umzug von Widdersdorf nach Ehrenfeld in den 1920er Jahren zu einem innovationsfreudigen Unternehmen entwickelt. Eine Vielzahl an Sorten und ein geschicktes Marketing machten Sester zu einem der größeren Player in der damals noch viel breiter aufgestellten Brauereiszene der Stadt.
Paul Nolte, der einen Masterabschluss in Betriebswirtschaftslehre hat und einen Meisterbrief im Brauerhandwerk vorweisen kann, schickt sich an, die Familientradition fortzusetzen. Unter den vielen Sorten aus alter Zeit – vor dem in den Siebziger Jahren einsetzenden Kölsch-Boom braute Sester unter anderem Pilsener, Bockbier und ja, auch Alt – entdeckte Paul Nolte ein Bier mit wohlklingendem Namen: „Cristall“.
Das neue Bier heißt Nolte Cristall
„Heute wie damals nur besser“, verkündet er selbstbewusst auf einem stylischen Werbeflyer für sein „Nolte Cristall“. Das alte Rezept des Großvaters Hermann Sester aus den 1920er Jahren hat er sorgsam weiterentwickelt. Optisch durchaus mit Kölsch vergleichbar, ist Cristall jedoch vom Charakter her ein völlig anderes Bier. Es ist untergärig – wie Pils, Helles oder Lagerbier. „Süffig wie ein Helles, schlank wie ein Pils“, beschreibt Nolte selbst seine Kreation, die er mit Unterstützung seiner Meisterschule, der Doemens-Akademie in München, schuf.
Heraus kam ein leicht anmutendes Bier, das sich als Speisebegleiter ebenso gut macht wie als Hauptzutat eines gepflegten Abends nur mit Getränken, Knabbereien und Käsewürfeln. Die Hopfennote ist deutlich, aber nicht so dominant wie bei manchen norddeutschen Pilsmarken.
Großvater Hermann Sester auf dem Bierdeckel
Passend zum Charakter bietet Nolte sein Produkt in einer schmucken 0,33-Liter Flasche an. Es ist eine Art Miniaturausgabe der Halbliter Euro-Flasche. Elegant geschwungen ist der eigens kreierte 0,3-Liter Bierbecher, in dem das helle Bier samt Schaumkrone schon optisch etwas her macht. Bei der Gestaltung des Markenzeichens durfte Großvater Hermann Sester nicht fehlen. Sein Konterfei ziert Bierdeckel und Kronkorken. Die zuprostende Geste ahmt ein zeitweilig anstelle der Pferdekutsche von Sester verwendetes Logo nach. „Für mich ist es allerdings ein prüfender Blick auf das Bierglas“, sagt Enkel Paul Nolte über das neue Markenzeichen. Kein Zufall ist auch, dass sich im „Nolte“-Schriftzug eine auch schon für „Sester“ verwendete Schrifttype wiederfindet.
Der durchgestylte Auftritt lässt zwar vermuten, dass hier eine ganze Kreativ-Abteilung oder ein Designbüro am Werk waren, doch das ist ein Irrtum. Hinter Nolte-Bier stehen vor allem Paul und Elisabeth Nolte. Schon beim Kennenlernen habe ihr späterer Mann „ganz viel von Bier“ und von seinem Traum einer eigenen Brauerei erzählt, verrät Elisabeth Nolte. Die gelernte Schauspielerin und der Braumeister sind beide gebürtige Kölner.
Corona bremste Marketingkonzept aus
„Dass es mich von der Bühne aber mal so zum Bier verschlagen würde, habe ich mir nicht träumen lassen“, erzählt die 32-Jährige. Daran ist nicht nur der Traum des Mannes schuld, sondern auch die Corona-Pandemie. Die traf die Noltes, als sie erst wenige Monate am Markt unterwegs waren. Einige Restaurants und Gaststätten hatten das „Nolte Cristall“ schon auf ihre Getränkekarte genommen. Ausgesuchte Getränkehändler kamen hinzu. Das Bier sollte gezielt ein aufgeschlossenes, neugieriges Publikum ansprechen.
Corona warf die Marketing-Konzepte jedoch ziemlich über den Haufen. „Vor einem Jahr haben wir hier gesessen und uns wie so viele Unternehmer gefragt: Und jetzt?“, berichtet Paul Nolte. Mit „Hier“ meint er übrigens das Vertriebsbüro an der Piusstraße. Vom Fenster aus hat er das ehemalige Sester-Brauereigelände im Blick, wo längst eine Wohnanlage steht. Die Räume gehörten einst zu einer Gaststätte, in der selbstverständlich auch Sester Cristall ausgeschenkt wurde. Zufälle wie dieser motivieren beide, am Traum von der eigenen Brauerei festzuhalten und dafür viel zu investieren.
Gebraut wird das Bier in Oberfranken
Gebraut wird das Nolte Bier in Hallerndorf/Oberfranken, wo die Brautradition bis in 15. Jahrhundert reicht. Langfristig will Paul Nolte sein Produkt aber in Köln herstellen. Lagerung und Auslieferung organisieren sie mit Unterstützung der Familie. Elisabeth Nolte ist vor allem für den „Außenauftritt“ in sozialen Medien, aber auch in Form liebevoll gestalteter Merchandising-Artikel zuständig. Angelehnt an frühere Sester-Anzeigen, wirbt beispielsweise ein kleines Kärtchen dafür, das Leergut zurück zu bringen. Echte Handarbeit sind auch die sieb-bedruckten marineblauen Stofftaschen mit dem Markenlogo und -schriftzug.
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Daran, dass sich der Aufwand lohnen wird, glauben beide fest. Zwar weiß Paul Nolte nur zu gut, wie stark der Kölner Markt vom Kölsch beherrscht ist. Die wachsende Craft-Beer Szene, die auch größeren Brauereien nicht verborgen geblieben ist, lassen ihn hoffen, mit seinem „Cristall“ den Geschmack möglichst vieler zu treffen. Und Elisabeth Nolte gewinnt sogar der Pandemie etwas Positives ab: „Im Moment ist doch alles so eintönig. Das ist doch eine gute Zeit, etwas Neues zu probieren.“