„Bin ich ein Klischee?“Kölner Fotografin sammelt italienische Migrationsgeschichten
Köln – In Italien schimpft man das Phänomen „Flucht der Gehirne“: Bestens ausgebildete Hochschulabsolventen – international orientiert und im Heimatland zumeist arbeitslos – wandern aus.
„Ich habe nach diversen Auslandssemestern versucht, in Turin wieder Fuß zu fassen, und habe bei der Gleichstellungsbehörde der Region zunächst ein monatelanges, unbezahltes Praktikum absolviert. Als ich nach langem Kampf den Vertrag endlich unterzeichnet habe, sagte man mir halb im Scherz, halb im Ernst: Werd‘ jetzt aber nicht schwanger“. Da hat Francesca Magistro ihre Sachen zusammengepackt und ist weggegangen. „Schweren Herzens. Ich war politisch aktiv, hätte gern etwas verändert. Deswegen habe ich manchmal immer noch ein schlechtes Gewissen“, erzählt die Fotografin, die seit 2014 mit ihrer Familie in Köln lebt – in der Südstadt.
Fotografin wohnte schon als Gaststudentin in der Kölner Südstadt
„Hier wohnte ich bereits 2003 für zwei Jahre, als ich zum Studieren herkam. Für mich hat es etwas Dörfliches, manchmal schon fast zu sehr. Und es gibt ein großes italienisches Netzwerk, in dem ich mich viel bewege“. Über die Gastarbeiter und ihre Ankunft vor 60 Jahren wisse man mittlerweile viel. Es sind Neuankömmlinge wie sie, die bisher weitgehend im Verborgenen blieben, so die 41-Jährige. Sowie die Nachfahren der Gastarbeiter: Was wissen die Jüngeren über das Land ihrer (Groß-)Eltern? Bleiben vor allem Urlaubseindrücke haften? Was können sie über den Onkel oder entfernte Cousine auf den Familienporträts sagen? Wieviel Klischee steckt in ihnen?
Also haben Magistro, die Fotografin Rosanna D’Ortona und Kulturmanagerin Aurora Rodonò die „Makkaroni Akademie“ gegründet: ein partizipatives Projekt, das sich auf die Suche nach Geschichten und Fotos begibt. „Wir haben aus einem Scherz heraus dieses negative Italien-Klischee der Makkaronis herausgegriffen“. Zuletzt, kurz vor dem Teil-Lockdown, fand noch ein Workshop im Rautenstrauch-Joest-Museum statt; weitere Treffen sind geplant, sobald es die Pandemielage zulässt – und sofern der Fonds Soziokultur des Bundes und das Kulturamt der Stadt Köln das Projekt auch im nächsten Jahr unterstützen. „Es kamen Menschen in zweiter oder dritter Generation, oder wie ich, die kürzlich angekommen sind oder einfach Italienbegeisterte“.
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Manche hätten festgestellt, dass sie aus demselben Dorf stammten; berührend sei auch gewesen, wie sich eine Musikstudentin über den Operngesang komplett der italienischen Kultur und Sprache geöffnet habe. Die Flut an Biografien sei emotional packend. „Die Menschen erzählen persönlichste Details“.
Unterstützung von Kölner Dokumentationszentrum über die Migration (Domid)
Am Ende soll das Projekt in einer Ausstellung und in einer Art Erzählsammlung münden, die die alternativen Italienbilder aus Köln jenseits von Klischees vereint. Magistro hegt den Traum von einem Archiv. „Ich liebe Archive. Das Domid (Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland) unterstützt uns auch und die haben auch eine ganz wunderbare Sammlung“.
Ihre eigene künstlerische Arbeit kreist mittlerweile um Familienalben, ihre eigene Migrationsgeschichte – die Eltern waren ihrerseits inneritalienische Migranten aus dem Süden – sowie der privatesten Sphäre eines Menschen. „Meine Fotografie wird immer mehr zu einer anthropologischen Studie“, so Magistro, die Mitglied des Fotoraums in Lindenthal ist und deren Ausstellung „Italienbilder“ an verschiedenen Orten in Köln ausgestellt wurde, unter anderem 2019 im Kölnischen Stadtmuseum.
Die Wahrnehmung des Belpaese ist von positiven Klischees wie Pizza, Pasta und Mode durchsetzt. Die zweifache Mutter hat selbst keine rassistischen Alltagserfahrungen gemacht. Dennoch spiele Diskriminierung auf bürokratischer Ebene eine Rolle. „In der Schule etwa gibt es schon das Vorurteil, dass Italiener mit lauter Stimme sprechen oder nicht so organisiert seien. Und wenn man die Sprache nicht perfekt spricht, gilt man schnell als blöd.“ Hürden gebe es auch bei der Anerkennung von Abschlüssen. „Ich habe in Wales, Italien und Deutschland studiert und dennoch ist es unheimlich schwer. Auf dieser Ebene gibt es einfach kein Europa“.