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„Strassenland“Fußgänger und Radfahrer erobern die Kölner Nord-Süd-Fahrt für eine nachhaltige Stadt

Lesezeit 4 Minuten
In einem Tunnel steht ein Klavier, Menschen stehen am Rand und hören zu.

Der Tunnel der Nord-Süd-Fahrt wird zur Bühne für die Tunnelchöre – hier der Kinderchor Lucky Kids.

Die Verkehrsachse der Innenstadt wurde für den Autoverkehr gesperrt. Auf 1,5 Kilometern drehte es sich um Klimaschutz und Stadtentwicklung.

Dort, wo sonst Zehntausende Autos durch die Kölner Innenstadt rauschen, herrscht an diesem Sonntagmorgen für einen Moment ungewohnte Stille. Im Tunnel der Nord-Süd-Fahrt unter dem Weltstadthaus flanieren nur einige Fußgänger. Doch dann kommt ein Junge auf seinem Tretroller angesaust und testet das Echo im Untergrund: „Hey! Hallo! Echo!“, ruft der Knirps immer wieder.

Die Nord-Süd-Fahrt war am Sonntag auf einer Strecke von 1,5 Kilometern zwischen dem Tunnel unter dem WDR und dem Blaubach für die Aktion „Strassenland“ für den Autoverkehr gesperrt. Zahlreiche Initiativen, Vereine, Start-Ups Organisationen und Unternehmen präsentierten ihre Ideen für eine nachhaltige, urbane Zukunft und informierten zu Themen wie Klimaschutz, gesundes Essen und Stadtentwicklung. „Strassenland“ fand nach 2019 und 2022 nun zum dritten Mal statt.

Köln: Nord-Süd-Fahrt für den Autoverkehr gesperrt

„Schade, dass wir hier nicht immer fahren können. Es rollt so schön“, sagt die neunjährige Ida, nachdem sie auf ihrem Fahrrad die Tunneleinfahrt hinunter gefahren ist. Vor allem die Kinder feiern die Eroberung des Tunnels – sie radeln, rollern und rennen hindurch, während die Erwachsenen den Perspektivwechsel als Entschleunigung erleben: „Der Tunnel kommt mir heute viel länger vor als sonst“, sagt ein Mann, der Hand in Hand mit seiner Frau gemächlich durch die Röhre schlendert.

Ein Kind klettert auf einem hölzernen Sitzmöbelstück auf einer Straße. Daneben stehen meherere Menschen.

Die Kölner Firma „Stadtkontraste“, gestaltet Sitzgelegenheiten und Begrünungen für Städte, um diese sozialer und klimafreundlicher zu machen.

Zu Fuß, mit dem Rad, auf Inline Skates, mit dem Rollator oder im Rollstuhl: Menschen aus Köln und der Umgebung sind gekommen und genießen ihre Auszeit auf der Schneise, die sonst die Innenstadt durchschneidet. Entlang der Strecke gibt es lokales und internationales Streetfood, häufig vegetarisch und vegan. Auch künstlerisch wird viel geboten: Neben musikalischen Beiträgen, Capoeira und DJs, die mitten auf der Kreuzung auflegen, führen Schülerinnen und Schüler der Schauspielschule „Der Keller“ Fünf-Minuten-Monologe in einem Transporter auf, vor ein bis drei Zuschauern, die im Inneren des Wagens Platz nehmen.

Die Tunnelchöre – darunter der 1. Kölner Shantychor, der Jugendchor St. Stephan und der 1. Kölner Barbershop-Chor – bringen den ganzen Tag über den Nord-Süd-Fahrt-Tunnel immer wieder zum Klingen. Der Kinderchor Lucky Kids unter der Leitung von Michael Kokott sorgt mit dem Klassiker „Hallelujah“ von Leonard Cohen für Gänsehaut bei den Zuhörenden.

Kinder malen bunte Farben auf eine Straße. Im Hintergrund sind weitere Menschen zu sehen.

Mitmachen ausdrücklich erwünscht: Kinder malen bunte Farben auf die sonst so vielbefahrene Straße.

Zusammen mit der Klimagenossenschaft „Heute Stadt Morgen“ stellt „KStA Green“ vorbildliche, lokale Projekte vor. „KStA Green“ ist der Newsletter des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu allen Nachhaltigkeitsthemen in Köln und im Rheinland. „Wir haben die Genossenschaft gegründet, um die Menschen auf dem Weg zu einer lebenswerten Stadt mitzunehmen. Denn um Maßnahmen für mehr Klimaschutz umzusetzen, braucht es bürgerschaftliches Engagement“, sagt Frank Schillig, Vorstand von „Heute Stadt Morgen“.

Die Stadt Köln hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu sein. „Wichtig ist, dass wir dieses Ziel gemeinsam haben. Es geht um uns alle“, sagt Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) im Gespräch mit Moderator und „Kölner Stadt-Anzeiger“-Redakteur Helmut Frangenberg: Es komme darauf an, „dass jede und jeder im Kleinen anfängt“.

Menschen stehen an einem Stehtisch, eine Frau spricht in ein Mikrofon. Im Vordergrund sind sitzende Menschen von hinten zu sehen.

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (links) und Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (3. von links) im Gespräch mit Helmut Frangenberg (2. von links), Redakteur beim „Kölner Stadt-Anzeiger“

Mona Neubaur (Grüne), Vize-Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin von NRW, ergänzt, dass das Mitnehmen der Menschen auch für die Verkehrswende gelte: Die Rahmenbedingungen in einer Stadt müssten so gesetzt werden, dass es attraktive Alternativen für das Auto gebe. „Damit wird es leiser, damit wird die Luft sauberer, es wird sicherer.“ Es müsse Platz gemacht werden für Fußgänger und Radfahrer.

Mitmachen und Ausprobieren ist bei „Strassenland“ ausdrücklich erwünscht. Am Stand der „Scientists for Future“ können sich Besucher ihren persönlichen CO2-Verbrauch ausrechnen lassen. Ursula Ruhnau und ihr Mann liegen mit ihrem Ergebnis weit unter dem Durchschnitt. „Jeder sollte bei sich selbst anfangen und überlegen, welchen Beitrag er oder sie für mehr Klimaschutz leisten kann“, sagt die 67-Jährige. „Wir lassen das Auto möglichst stehen, sind viel zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs oder nutzen den öffentlichen Nahverkehr.“

Am südlichen Tunnelausgang laden Liegestühle, ein kleiner Skatepark mit Rampen und Sitzmöbel aus Holz zum Verweilen ein. Gestaltet hat den Abschnitt die Kölner Firma „Stadtkontraste“, die unter anderem die Sitzgelegenheiten und die Begrünung beim Verkehrsversuch Deutzer Freiheit und auf dem Albertus-Magnus-Platz gestaltet hat. „Heute versuchen wir, diesen Ort zu verzaubern“, sagt Firmengründer Matthias Deventer. Ziel von „Stadtkontraste“ ist es, dass Städte sozialer und klimaangepasster werden.

Die Stadtentwässerungsbetriebe (Steb) Köln sammeln Ideen für eine wasserbewusste Entwicklung der Stadt. „Waschlappen statt Dusche für die tägliche Reinigung – jeden zweiten Tag duschen“, hat jemand aufgeschrieben. „Ein Planschbecken für die Nord-Süd-Fahrt“ lautet ein anderer Vorschlag. Das könnte zumindest – bei besserem und wärmerem Wetter als in diesem Jahr – eine Idee für das nächste „Strassenland“ sein.