- Am Wochenende haben wiederholt junge Männer an Feierhotspots Flaschen auf Polizisten und Rettungskräfte geworfen.
- Im Interview spricht Konfliktforscher Andreas Zick über mögliche Hintergründe dieser Attacken und die Auswirkungen der Corona-Pandemie.
Köln – Herr Zick, in Köln haben am Wochenende wiederholt junge Männer an Feierhotspots Flaschen auf Polizisten und Rettungskräfte geworfen. Dasselbe spielt sich seit Monaten auch in anderen deutschen Großstädten ab. Welche Erklärung haben Sie für dieses Phänomen?
Mit der Corona-Pandemie haben sich junge Menschen und junge Heranwachsende, die in Clubs gehen, aus anderen Szenen kommen, neue öffentliche Räume gesucht und sie geschaffen. Das, was wir mit Blick auf die Gewalt als „Hotspot“ bezeichnen, ist zunächst mal ein Raum, den die Leute vor Ort als ihren Erlebnisraum sehen. Anders als in Clubs entstehen hier lose Regeln und Normen. Es ist ein Vergnügungsraum, in dem keine Ordner und schon gar nicht Polizei erwünscht ist. Die Räume suchen leider auch aggressive Personen und Gruppen auf, wie auch Gruppen, die dort mit Drogen und anderen Sachen handeln möchten. Da das alles ohne klare Strukturen und Regeln ist, können Ereignisse, wie eine Kontrolle durch die Polizei, viel leichter eskalieren, zumal die meisten Angreifer unter Drogen stehen. In Situationen, in denen es eskaliert, ist das größte Problem, dass die Gewalt oder Flucht zur Norm werden und befriedende Stimmen nicht durchdringen.
Zur Person
Andreas Zick ist Sozialpsychologe. Er lehrt als Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld und leitet dort seit April 2013 das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG).
Warum sind ausgerechnet Polizisten und sogar Rettungskräfte die offenkundigen Feinbilder?
Ich würde empfehlen, das sehr systematisch zu untersuchen. Welchen Anteil haben Polizei, die Täter und die Stimmung, in der sie sind, welchen Anteil diejenigen, die Herumstehen und welchen Anteil der Raum. Das kann an der Art des Einsatzes liegen, wenn Polizei in großen Gruppen in den Raum eindringt. Es spielen bei den Tätern hohe Erregungspotenziale eine Rolle, die Identifikation mit anderen, die Definition des Raumes als „unser Raum“, die Erwartung, dass da nur Party stattfindet. Auch Feindbilder gehören dazu, die sollten aber genauer verstanden werden.
Wie nehmen die Täter die Polizei denn wahr?
Polizei wird stereotyp wahrgenommen, sie wird im öffentlichen Raum als Störenfried wahrgenommen, nicht in der Rolle, die Sicherheit herzustellen. Die Leute im Raum definieren das als autonomen Raum. Aber es wurden ja auch Rettungskräfte angegriffen, und es ist nicht der einzige Vorfall. Auch auf den Corona-Protesten werden immer öfter Ordnungskräfte und Polizei angegriffen und das als „Widerstand“ gerechtfertigt. Wir sollten also angesichts der Eskalation auch darüber reden, warum Menschen zunehmend meinen, dass Polizei Ordnung herstellen soll im Sinne einer Dienstleistung und alles andere stört. Da hilft es auch nicht, wenn Politik die Polizei lobt und ihr ansonsten die Rolle zur Durchsetzung von Sicherheit zuweist.
Was weiß man über die Täter – über Sozialisation, Herkunft oder Bildungsgrad?
Die sozialen Hintergründe bei den Tätern sind bei den unterschiedlichen Gewalteskalationen in der Zeit der Corona-Krise sehr unterschiedlich und wir müssen immer beachten, die einen werden leichter erwischt, andere sind klug darin, zu entwischen oder sich nicht erwischen zu lassen; und es gibt viele die, wenn es eskaliert, zuschauen und nicht eingreifen. Die festgestellten Täter sind eher jung, eher männlich, haben höchstwahrschlich Drogen genommen oder sind alkoholisiert, was das Erregungsniveau erklärt und öffentliche Gewalt erleichtert, sie inszenieren sich, sie sind oft in Kleingruppen organisiert, das heißt, sie sind nicht alleine. Der Migrationshintergrund ist viel weniger auffällig, weil es bei den jetzigen Ausschreitungen einfach Deutsche sind mit Einwanderungsgeschichte. Der Einwanderungshintergrund entpuppt sich oft nur vermittelt als Faktor, der Männlichkeitsbilder erleichtert. Aber Typologien helfen auch nicht, das zu erklären. Es ist eine Gruppendynamik im öffentlichen Raum, die sich entzündet und sich bei einigen viel erleichternder auswirkt.
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Die Täter sind sich nicht darüber im Klaren, dass sie Straftaten begehen?
Vielen Täterinnen und Tätern ist nicht bewusst, welche Folgen die Straftaten haben. Darüber noch besser aufzuklären, selbst wenn viele Verfahren lange dauern oder eingestellt werden, könnte ein wichtiger Baustein der Aufklärungs- und Bildungsarbeit sein.
Ordnungsamt und Polizei kontrollieren die Hotspots an den Wochenenden nun regelmäßig, helles Flutlicht leuchtet die kritischen Orte aus, dennoch haben sich die Angriffe nun wiederholt. Was sonst kann man tun?
Nach der Silvesternacht 2016 in Köln haben wir gemeinsam mit der Polizei 2017 und 2018 ein Präventionskonzept zu Gewalt erstellt und damit gute Erfahrungen gemacht. Wir haben viel mit der Polizei, der Stadt, Vereinen, Vertretern von Gruppen und Menschen, die vor Ort leben, gesprochen. Wir haben den Raum anders angeordnet, Hinweise auf Normen und Regeln gemacht, die alle verstehen können. Die Pandemie hat jungen Menschen ihre Räume genommen, sich „unbeobachtet“ zu treffen. Diese Räume haben sie sich geschaffen.
Was braucht es noch?
Was ansteht, ist eine dringende Erhöhung der mobilen und lokalen sozialen Arbeit, eine Nachbereitung mit Vertretern unterschiedlicher Gruppen und eine genaue Analyse, welches Bild die Menschen von der Polizei und dem Rettungsdienst haben. Das muss transparent werden. Die Chancen, neue Wege zu gehen, sind auch gut, weil mit der Gewalt Regeln gebrochen wurden. Jetzt aber nur auf hartes Durchgreifen und Verbote zu setzen, wäre wieder ein Signal von Stärke, das vielleicht verständlich ist für alle, die verunsichert sind, aber eventuell nur an der Oberfläche kratzt.