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Häusliche Gewalt während Corona-KriseZahlen in Köln eingebrochen – Keine Entwarnung

Lesezeit 6 Minuten
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Während des Lockdowns waren Familien Tätern häuslicher Gewalt stärker ausgesetzt.

  1. Forscher und Initativen gingen zu Beginn der Corona-Zeit davon aus, dass die häusliche Gewalt anzeigt.
  2. Laut der Polizei Köln ging die Zahl der Anzeigen jedoch zurück. Eine Entwarnung ist das nicht.
  3. Laura Prass von den Kölner Frauenhäusern erklärt, wieso es während des Lockdowns schwieriger für Opfer von häuslicher Gewalt war, sich Hilfe zu suchen – und wieso sie „krasse Nachwehen“ erwartet.

Köln – Eine der Frauen, die während der Corona-Krise in ein Kölner Frauenhaus einzog, floh mit ihren zwei Kindern dafür quer durch Deutschland. Die Kinder, sagt Laura Prass von den Autonomen Frauenhäusern, reden viel über die Zeit während des Lockdowns: Darüber, wie der Vater plötzlich immer da war. Wie sie Tag für Tag mitbekamen, dass er ihre Mutter schlug und demütigte. Wie die Mutter schließlich, als der Mann einmal nicht zuhause war, hastig ein paar Sachen zusammenpackte und mit ihren Kindern nach Köln aufbrach.

Solche Schicksale erwarteten Opferschutzorganisationen zu Anfang der Pandemie massenhaft. Durch die Ausgangsbeschränkungen, sagten Forscher und Initiativen, seien Paare auf engem Wohnraum eingeschlossen und die Täter noch aggressiver als sonst. Doch nach aktuellen Zahlen der Kölner Polizei blieb der erwartete Anstieg an Einsätzen und Anzeigen wegen häuslicher Gewalt aus. Im Gegenteil: Die Zahlen brachen sogar ein. Eine Entwarnung bedeutet das trotzdem nicht.

Einzig im August steigende Zahlen

Ein Drittel weniger Anzeigen wegen häuslicher Gewalt verzeichnet die Kölner Polizei in den vergangenen sechs Monaten, verglichen mit dem Vorjahr. Nur im August waren die Zahlen etwas höher als 2019, so die Polizei auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Doch sie weist darauf hin: Dass die Zahl der Anzeigen gesunken ist, heißt nicht, dass die häusliche Gewalt tatsächlich weniger wurde.

Laura Prass vom Verein Frauen helfen Frauen, Träger der zwei Frauenhäuser in Köln, geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Es gebe viele Faktoren, die Frauen während der Pandemie bei einem gewalttätigen Partner halten. Die Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus im Frauenhaus zum Beispiel oder schlicht fehlende Möglichkeiten. „Frauen waren tagtäglich den Tätern ausgesetzt und hatten oft keine Möglichkeit, zum Hörer zu greifen“, sagt sie.

Täter hatten mehr Kontrolle

Wenn sich Opfer häuslicher Gewalt bei den Frauenhäusern melden, sei der Täter meist nicht zuhause. „Frauen rufen auch oft an, wenn sie bei Familienangehörigen oder Freunden sind, die ihnen den Hörer in die Hand drücken und sagen: Du musst hier raus“, erzählt sie. Doch diese sozialen Kontakte fielen während des Lockdowns oft weg. Die Kontrolle durch den Täter dagegen stieg.

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Laura Prass arbeitet in den beiden Autonomen Frauenhäusern in Köln.

Sowohl die Polizei als auch Prass weisen auf das Gewaltschutzgesetz hin: Wenn die Polizei zu einem Einsatz von häuslicher Gewalt gerufen wird, können die Beamten den Täter für zwei bis sechs Wochen des Hauses verweisen. Kommt er in dieser Zeit zurück, begeht er eine Straftat.

Während der Pandemie, sagt Prass, sei das für Frauen deutlich belastender, weil sie sich trotz aller Probleme Sorgen machen: Wo soll ihr Partner hin, wo kann er übernachten?

Corona-Clearing für Frauenhäuser

Bei den Frauenhäusern in Köln gingen weder mehr noch weniger Anrufe seit Beginn der Corona-Krise ein. Allerdings waren beide Häuser auf der Webseite anfangs auf rot gestellt, was bedeutet: Sie waren voll. Das, so Prass, sei die meiste Zeit des Jahres so. Ist ein Haus grün, klingele das Telefon fast im Minutentakt.

Erst Mitte Mai konnte das Frauenhaus wieder Frauen und ihre Kinder aufnehmen. Dabei muss der Infektionsschutz berücksichtigt werden. „In Köln haben wir, was das angeht, eine Luxussituation“, sagt Prass.

Gemeinsam mit der Stadt, der Diakonie und dem Sozialdienst katholischer Frauen kann das Frauenhaus seit Mai ein „Corona-Clearing“ durchführen: Bevor die Frauen in das Frauenhaus einziehen können, leben sie und ihre Kinder für zwei Wochen in anonymen Schutzwohnungen. Dort gehen sie in eine Art abgeschwächte Isolation: Spielplatzbesuche und Einkäufe dürfen sie wie gewohnt machen, ansonsten schränken sie ihre Kontakte stark ein.

Geschlossene Ämter und fehlende Kurse

Für die Bewohnerinnen der Frauenhäuser ist die Pandemie eine zusätzliche Belastung. Viele von ihnen empfangen Sozialhilfe oder versuchen, einen sicheren Aufenthaltstitel zu bekommen. Doch gerade am Höhepunkt der ersten Welle hatten viele Ämter geschlossen. Auch Integrationskurse, Deutschkurse und Therapien lagen erst einmal brach.

Das, sagt Prass, war für viele schwer auszuhalten. „Man darf sich nämlich nicht vorstellen, dass die Frauen ins Frauenhaus kommen und total erlöst sind. Vieles kommt dann erst hoch“, erklärt sie.

„Das hat krasse Nachwehen“

Für sie und ihre Kollegen stand im März die Aufklärungsarbeit an: Sie versuchten, den Bewohnerinnen und ihren Kindern verständlich zu machen, was die Pandemie bedeutet. Und sie machten ihnen klar, dass das Frauenhaus trotzdem ein sicherer Ort für sie ist.

Das ganze Ausmaß der häuslichen Gewalt während Corona, sagt Prass, lasse sich noch gar nicht abschätzen. „Das, was in der Zeit passiert ist, hat krasse Nachwehen“, sagt sie. Und die meisten Betroffenen würden sich erst jetzt langsam, nachdem die Schule wieder losgegangen ist und das Home Office endet, Hilfe suchen.

Auch beim Jugendamt gingen Zahlen zurück

Auch das Jugendamt Köln konnte keinen Anstieg an Meldungen häuslicher Gewalt verzeichnen. Während des Höhepunkts der Pandemie nahmen die Mitarbeiter sogar sechs Prozent weniger Kinder in Obhut als vorher. „Wir haben einen Knick während des Lockdowns“, sagt Klaus-Peter Völlmecke, stellvertretender Leiter des Amtes für Kinder, Jugend und Familie. Mit den Lockerungen stiegen die Zahlen wieder auf das normale Niveau.

Während der Krise blieben alle Mitarbeitenden im Bereich Kinderschutz im Dienst. Auch die Überprüfungen bei Familien seien wie gewohnt weiter gelaufen. Völlmecke vermutet ebenfalls, dass der Knick während des Lockdowns eine hohe Dunkelziffer bedeutet.

Hinweise aus Kitas und Schulen fehlten

Auch die Zahl der Hinweise sei zurückgegangen. Tipps aus Kitas und Schulen beispielsweise würden normalerweise ein Drittel der Meldungen ausmachen. Doch wenn die Kinder zuhause bleiben, können sie sich kaum Lehrern oder Erziehern anvertrauen.

Umso wichtiger sei die Notbetreuung gewesen, die eigentlich nur für Kinder von Eltern mit systemrelevanten Berufen angeboten wurde. In Köln war diese auch für Kinder offen, die aus einem schwierigen Elternhaus stammen.

So habe man dafür gesorgt, dass sie das Haus täglich für mehrere Stunden verlassen konnten. Dies könnte einer der Gründe sein, wieso es „nicht zu diesem Übersprung gekommen ist, den man annehmen konnte“, sagt Völlmecke.

Kein Anstieg nach Öffnung

Doch auch nach der Öffnung von Kitas und Schulen sei es nicht zu einem starken Anstieg an Hinweisen gekommen. Eine eindeutige Erklärung dafür hat Völlmecke nicht.

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Möglicherweise, sagt er, wäre es anders gekommen, hätte der Lockdown noch länger gedauert – dann hätten sich die Probleme in den Familien womöglich weiter verschärft.

Drittes Frauenhaus beschlossen

Die beiden Autonomen Frauenhäuser in Köln boten 2019 insgesamt 68 Frauen und 89 Kindern Schutz, pro Haus immer zehn Frauen und maximal 14 Kindern gleichzeitig. 638 schutzsuchende Frauen mussten sie in dem Jahr abweisen, weil für sie kein Platz mehr frei war. 82 Frauen wurden dazu aus sonstigen Gründen abgelehnt.

Die Stadt beschloss in diesem Jahr die Errichtung eines dritten Frauenhauses. Dieses soll eine öffentliche Adresse haben und auch Jungen über zwölf Jahre aufnehmen.

Von häuslicher Gewalt betroffene Frauen können sich kostenlos und anonym an das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ wenden: 0800-116 016.

Von Gewalt betroffene Männer finden Hilfe bei dem Männertelefon unter der Nummer 0800-123 990.