Ralf Forsbach arbeitet in seinem neuen Buch die NS-Verbrechen auf, die 1933 bis 1945 an der Medizinischen Fakultät in Köln begangen wurden.
„Die Kölner Kliniken waren eines der Rädchen im System“Historiker arbeitet Medizinverbrechen der Nazis an der Uni Köln auf
Was geschah an der Medizinischen Fakultät der Kölner Universität während der Nazi-Zeit? Wer war Opfer, wer Profiteur innerhalb des neuen Systems?
Ralf Forsbach, Privatdozent am Kölner Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, hat im Auftrag der Medizinischen Fakultät die Zeit zwischen 1933 und 1945 für ein Buch erstmals systematisch aufgearbeitet. Im Interview spricht der 58-jährige Historiker auch über die handfesten Verbrechen an der Fakultät.
Wie schnell hat sich die Medizinische Fakultät nach der nationalsozialistischen Machtübernahme auf Kurs gebracht?
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Die Universität und die Medizinische Fakultät haben sich im ersten Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft voll auf Kurs gebracht, sie haben sich selbst gleichgeschaltet. Die Universität ist für ihre Selbst-Gleichschaltung sogar von Reichswissenschaftsminister Bernhard Rust als vorbildlich gelobt worden, schon im April 1933. Ich wüsste aber keine Universität im Deutschen Reich, die sich der Gleichschaltung widersetzt hätte. Die Kölner Kliniken waren gewiss keine zentrale Schaltstelle des nationalsozialistischen Unrechtsstaats, aber sie waren eines der vielen Rädchen im System. Noch im Januar 1933 arbeitete die Medizin zum Wohle des Individuums. Das ändert sich binnen weniger Monate. Und man hat mitgemacht bis hin zu schlimmen Medizinverbrechen.
Gab es keinerlei Widerstände in der Professorenschaft?
Der Begriff Widerstand ist zu groß. Es gab natürlich Persönlichkeiten, die mit dem Nationalsozialismus nicht konform gingen. Aber es hat niemanden unter den nicht verfolgten Professoren gegeben, der aktiv eine oppositionelle Haltung transportiert hätte. Jüdische Lehrkräfte wurden in kürzester Zeit entlassen. Otto Veit, Direktor des Anatomischen Instituts, konnte sich noch bis 1936 im Amt halten, wurde dann aber ebenfalls entlassen, weil sein Großvater jüdisch war. Jüdische oder als marxistisch eingestufte Studenten bekamen keine Stipendien mehr. Ab 1934 wurden keine Jüdinnen und Juden mehr immatrikuliert. Wer schon eingeschrieben war, konnte das Studium absolvieren, erhielt aber keinen Doktortitel und keine Zulassung zum Arztberuf.
Was hat sich in Forschung und Lehre nach 1933 verändert?
Zu den Verbrechen der NS-Zeit gehörten auch die Hinrichtungen im Gefängnis „Klingelpütz“. Im Anatomischen Institut hat man mit großer Freude die Leichen von jungen, gesunden Menschen in Empfang genommen, um daran zu forschen. Man war bis dahin gewohnt, Leichen von alters- oder krankheitsbedingt Verstorbenen zu bekommen. Mit einer „gesunden“ Leiche zu arbeiten, ist aber etwas anderes. Insgesamt verschlechterte sich die Lage für die Studierenden aus wissenschaftlicher Sicht jedoch, weil zu wenig Zeit für Studium und Wissenschaft blieb.
Wer in einer NSDAP-Organisation war, musste viele Stunden in der Woche dafür aufwenden. In den Lehrplan versuchte Gesundheitsamts-Leiter Carl Coerper, ein strammer Nationalsozialist, von städtischer Seite hineinzuregieren. Zu seinem idealen Stundenplan gehörten zum Beispiel Fächer wie „Germanische Urgeschichte“ oder „Rassenhygiene“. Allerdings wurde er von der Professorenschaft vor allem als weiterer Störfaktor wahrgenommen.
1935 stieg Hans von Haberer, Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik Lindenburg, zum Rektor der Uni auf. Das nationalsozialistische „Sterilisationsgesetz“ lobte er als Beitrag zur „Volksgesundheit“. Wie war die Fakultät in das NS-Ziel von der „Rassenhygiene“ eingebunden?
Hans von Haberer war ein distinguiert auftretender Österreicher, der die ideale Repräsentationsfigur nach außen hin war. Gleichzeitig war er verantwortlich für eines der großen Medizinverbrechen in Köln, nämlich die Zwangssterilisationen. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ trat am 1. Januar 1934 in Kraft und schrieb vor, dass Menschen, die von tatsächlichen oder vermeintlichen Erbkrankheiten betroffen waren, zwangssterilisiert wurden.
In Köln gab es drei Krankenhäuser, die hier aktiv waren: die Universitäts-Frauenklinik, die Chirurgische Klinik der Universität für die Männer und außeruniversitär das evangelische Krankenhaus Weyertal. In den beiden Universitätskliniken wurden rund 2500 Operationen durchgeführt, die zur Sterilisation führten. Ein Mädchen aus Ehrenfeld war erst 14 Jahre alt, als es wegen Epilepsie sterilisiert wurde. Es gab dafür unterschiedliche Methoden, die insbesondere bei Frauen keineswegs harmlos waren. In diesem Zusammenhang konnten wir für Köln vier Todesfälle nachweisen.
Das NS-Regime hat zudem geistig und körperlich Behinderte umbringen lassen. Inwiefern war die Kölner Uni in die so genannte Euthanasie verstrickt?
So genannte T4-Gutachter, also Professoren, die Menschen in den Euthanasie-Verfahren in den Tod geschickt haben, gab es in Bonn, aber nicht in Köln. Wobei natürlich auch Menschen aus Köln vergast wurden, vorwiegend in der Tötungsanstalt Hadamar. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist jedoch Max de Crinis, der 1934 als Direktor der Nervenklinik nach Köln kam und ab 1938 als Mitarbeiter des Reichswissenschaftsministeriums in Berlin nicht nur gezielt dafür gesorgt hat, dass Nationalsozialisten an die Universitäten kamen, sondern auch noch die Euthanasie mitorganisiert hat. Diesen Fall haben wir mehrfach: Professoren, die erst in Köln aktiv waren und später verbrecherisch tätig wurden.
Hans von Haberer durfte nach dem Krieg nicht nur weiterarbeiten, sondern wurde sogar gewürdigt. Ein Einzelfall?
Mein Buch schließt mit dem Ende der NS-Zeit. Forschungen darüber hinaus wären wünschenswert. Oft haben wir nur eine ungute Ahnung davon, wie es mit diesen Biografien nach 1945 weitergegangen ist. Hier gibt es großen Forschungsbedarf, weil es vielfach den Ärztinnen und Ärzten möglich war, sich als diejenigen hinzustellen, die das System am Laufen gehalten haben. Schließlich war es auch so, dass es bis in die letzten Kriegsmonate hinein im schon völlig zerstörten Köln an den Universitätskliniken noch medizinische Anlaufstationen gab.
Dort waren noch Ärztinnen und Ärzte anzutreffen, die halfen. Das hat mit dazu beigetragen, dass es der Ärzteschaft später möglich war, das Bild eines unpolitischen Fachs zu pflegen. Das war aber gewiss nicht so. Wir wissen zum Beispiel, wer wann in die NSDAP eingetreten ist und welche Verantwortungen einzelne Ärzte getragen haben. Hinzu kommt: Zwangssterilisationen wurden lange Zeit nicht von der breiten Öffentlichkeit als wirkliche Medizinverbrechen wahrgenommen.
Im Unterschied zu anderen Fakultäten war die Medizinische an echten Verbrechen beteiligt. Von daher ist es verwunderlich, dass die Universität Köln das Thema erst jetzt angeht.
Sie müssen immer bedenken, dass es noch lange Zeit Abhängigkeiten gab. Die NS-Täter waren bis in die 1960er Jahre an den Unis tätig. Sie bildeten wieder Schülerinnen und Schüler aus, die teilweise ihre Lehrer hochachteten und die es auch nicht zuließen, dass dunkle Schatten auf ihre akademischen Lehrer fielen. Diese Entwicklungslinien sind erst etwa in den 1990er Jahren zum Abschluss gekommen. Dass die Aufarbeitung aus der Medizin heraus angestoßen wurde, ist eine Entwicklung erst der letzten 20 bis 30 Jahre. Man sollte dankbar sein, dass solche Forschungsaufträge heute erteilt werden.
Ralf Forsbach, „Die Medizinische Fakultät der Universität zu Köln in der NS-Zeit“, Böhlau-Verlag, ISBN 978-3-412-52770-9, 328 Seiten, 49 Euro.