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Bericht eines BetroffenenHoher Anteil an Unfallflucht im Kölner Straßenverkehr

Lesezeit 6 Minuten
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Der Mini-Cooper von Maurice Steinborn wurde stark beschädigt.

Köln – Das Jahr begann für Maurice Steinborn mit einer bösen Überraschung. Am Morgen des 17. Januar, einem Montag, wollte Steinborn mit seinem schwarzen Mini-Cooper losfahren. Er hatte den Wagen auf einem regulären Parkplatz auf der Deutz-Kalker Straße geparkt, gleich gegenüber der Lanxess-Arena. Als Steinborn dem Auto näher kommt, sieht er, was ein bisher Unbekannter angerichtet hat: „Die komplette linke Seite ist voller Schrammen, Öl ist ausgelaufen, die Vorderachse ist gebrochen“, sagt Steinborn.

Anderthalb Jahre alt ist der Leasing-Wagen erst und musste schon an den Haken eines Abschleppdienstes. Die Mechaniker sind sich einig: Totalschaden. Ein Auto mit einem Wert von etwa 30.000 Euro ist reif für die Schrottpresse. Wer dafür verantwortlich ist, ist noch immer unklar, denn der Fahrer oder die Fahrerin ist nach dem Zusammenprall einfach abgehauen.

Nicole Jansen Hajo Diegel

Hajo Diegel und Nicole Jansen bearbeiten bei der Polizei Unfallfluchten.

Kurze Zeit später landet der Fall auf dem Tisch von Polizeihauptkommissarin Nicole Jansen, die Unfallfluchten mit Sachschäden versucht aufzuklären. Ein solcher Fall macht auch sie betroffen. „Wenn neue Autos komplett demoliert werden und ein großer Schaden entsteht, ist das schon besonders schmerzhaft. Dann leide ich fast schon mit dem Opfer“, sagt sie. In diesem Fall ist es wie so oft: Zwar gibt es viele Spuren am Unfallauto, aber keine Anhaltspunkte dafür, wer es gewesen sein könnte. Ein größeres Auto, wird gemutmaßt, womöglich ein SUV, vielleicht ein LKW mit Anhänger, schließlich ist das komplette Rad vorne links herausgerissen worden. Zeugen haben sich bisher nicht gemeldet. Ob es die überhaupt gibt, weiß niemand.

Bei jedem vierten Unfall flieht der Verursacher

Etwa 8500 Unfallfluchten gab es im vergangenen Jahr in Köln, sagt eine Polizeisprecherin. In manchen Fällen sind es nur geringe Lackschäden, auf denen die Opfer sitzenbleiben, in anderen Fällen sind viel höhere Summen im Spiel. Manchmal gibt es auch Verletzte oder gar Tote bei einem Unfall, dessen Verursacher oder Verursacherin sich danach aus dem Staub macht. Von insgesamt etwa 34.000 Unfällen handelt es sich also bei jedem vierten um eine Fahrerflucht.

Der Anteil ist in den vergangenen Jahren etwa stabil geblieben. Mindestens die Hälfte aller Fluchten sind eindeutig auf Autofahrerinnen und Autofahrer zurückzuführen, einige auch auf Motorräder, Roller, Fahrräder und E-Scooter. Selbst knapp 100 Fußgängerinnen und Fußgänger haben im vergangenen Jahr einen Unfall verursacht und danach die Flucht ergriffen. Bei vielen Zusammenstößen sind aber nur kleine Lackspuren zu sichern, sodass unklar ist, um welches Gefährt es sich handelte. Außerdem könnte die Dunkelziffer an nicht gemeldeten Unfallfluchten sehr hoch sein.

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Die Aussichten, geflüchtete Fahrerinnen und Fahrer nachträglich noch zu ermitteln, sind eher gering, sind aber ganz wesentlich davon abhängig, wie die Spurenlage ist und ob es Zeugen gibt – und wie viel diese gesehen haben. „Ob wir den Täter noch finden, hängt zum großen Teil von Zufällen ab. Wenn wir zum Beispiel nur eine Städtekennung, eine Marke und eine Farbe haben, haben wir geringere Chancen.

Je mehr Angaben wir zum Beispiel zum Nummernschild haben, desto besser“, sagt Jansen. „Das wichtigste ist: Nicht tatenlos zusehen, wenn man Zeuge eines Unfalls wird. Es wäre hilfreich, wenn sich mehr Zeugen melden, wenn die Menschen gegenseitig mehr auf sich achten. Zeugenaussagen sind für uns das wichtigste Instrument bei der Aufklärung.“

Lackspuren mit Sicherungsfolie identifizieren

Regelmäßig sucht die Polizei regelmäßig auch mit öffentlichen Aufrufen nach Augenzeugen, besonders dann, wenn bei dem Unfall jemand verletzt wurde. So zum Beispiel an einem Freitagabend Ende September in Deutz, als ein Mercedes-Fahrer eine junge Mini-Fahrerin beim Überholen auf der Mindener Straße in Richtung Deutzer Brücke geschnitten haben soll.

Die 20-Jährige wich nach rechts aus, stieß mit dem Vorderrad gegen den Bordstein, verlor die Kontrolle über ihr Auto, rammte eine Mauer und erlitt schwere Verletzungen. Der Mercedesfahrer floh, ohne sich um die Frau zu kümmern. Oder an einem Freitagmittag Mitte Januar in Zollstock, als eine KVB-Bahn einen Zusammenstoß nur durch eine Vollbremsung verhinderte, nachdem ein Autofahrer die Gleise offenbar unerlaubt kreuzte. Eine 80-jährige Frau stürzte in der Bahn und erlitt eine Oberschenkelfraktur. Der unbekannte Autofahrer soll ohne anzuhalten mit seinem dunklen Toyota oder Nissan weitergefahren sein.

Solche Unfälle mit Verletzten sind das Hauptaufgabengebiet von Polizeihauptkommissar Hajo Diegel. „Je schwerwiegender der Unfall war, desto größer ist auch der Aufwand, den wir betreiben, um ihn aufzuklären“, sagt er. Vom Sichten von Videoaufnahmen über Zeugenbefragungen bis hin Funkzellenauswertungen reichen die Möglichkeiten. In den meiste Fällen sind die Ermittlungen aber sehr mühselig.

Mit einer sogenannten Spurensicherungsfolie werden seit ein paar Jahren Autos untersucht, an denen Schäden entstanden sind. „Die Folie funktioniert wie eine Art Tesafilm, den wir auf die Karosserie kleben. Damit können wir auch kleinste Lackspuren feststellen“, sagt Jansen. „Leider können wir nur die Farbe des Lacks identifizieren, aber nicht die Marke, geschweige denn das Fabrikat.“ Oft bleibt da nur, zum Teil dutzende Autos und deren Halterinnen und Halter abzuklappern, die in Frage kommen könnten.

Fahrer Oft ohne Papiere unterwegs

Die Motive aber gleichen sich oft. „Oft begehen Fahrer eine Unfallflucht, wenn sie betrunken waren, keinen oder einen gefälschten Führerschein, keine Zulassung oder Versicherung für ihr Auto hatten oder sonst etwas verheimlichen wollen. Der Unfall selbst ist meistens keine Straftat, sondern nur eine Ordnungswidrigkeit und deshalb kein Grund zu fliehen“, sagt Diegel. Nach einem Unfall muss in jedem Fall die Polizei gerufen werden, sagt er.

Der klassische Zettel unterm Scheibenwischer reicht nicht, auch nicht, wenn man es eilig hat und auch nicht, wenn der Schaden auch noch so gering ist wie etwa beim Parkrempler auf dem Supermarktparkplatz. „Es ist auch schon vorgekommen, dass ein Unfallverursacher Papier und Stift genommen hat, für alle Zeugen sichtbar etwas aufgeschrieben hat und am Ende stand auf dem Zettel nur ‚Schöne Grüße‘. Das ist dann besonders perfide“, sagt Diegel und stellt klar: „Es gibt keine Verkehrsunfallflucht, die eine Bagatelle ist. Für den Geschädigten sind schon 150 Euro sehr ärgerlich.“

Steinborn bleibt sogar auf deutlich höheren Kosten sitzen – trotz Vollkasko-Versicherung. Die Selbstbeteiligung und der Abschleppdienst summieren sich auf mehr als 1000 Euro, sagt er und sucht weiter nach dem Fahrer oder der Fahrerin des Unfallautos. In den sozialen Medien hat er schon mögliche Zeugen um Mithilfe bei der Aufklärung gebeten, Kamera-Aufnahmen angefragt, auf denen aber die entscheidenden Flächen aus Datenschutzgründen geschwärzt sind. Trotzdem hat er die Hoffnung nicht aufgegeben. Ob die Ermittlungen zu einem Ergebnis kommen, steht in den Sternen. So lange hält sich Steinborn zumindest an einer Erklärung fest: „Das Auto stand einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. So ist das eben manchmal.“