Herstatt-Sohn über die Pleite der Kölner Bank„Mein Vater dachte an Selbstmord“
Köln – Die Pleite der Privatbank Herstatt schlug im Jahr 1974 ein wie eine Bombe. Tausende Anleger sahen sich um ihr Geld gebracht, es war bis dato der größte Bankencrash der Bundesrepublik. Iwan-David Herstatt, der mit der Gründung des Hauses in den 1950er Jahre zunächst sehr erfolgreich an die alte Bankiers-Tradition seiner Familie anknüpfte, verlor binnen kürzester Zeit fast alles. Die Einlagen seiner Kunden wurden später teilweise vollständig oder bis zu 80 Prozent zurückgezahlt.
Iwan-David Herstatt, der seine Bank unter anderem mit dem Geld seines Schulfreunds und Versicherungstycoons Hans Gerling aufbaute, sah sich als Opfer der hausinternen Devisen-Abteilung. Die so genannten Goldjungs hatten durch Dollarspekulationen Millionen-Verluste eingefahren und trickreich verheimlicht. Am 10. Juni 1974 hatte Herr Herstatt und der Generalbevollmächtigte Graf von der Goltz von den Verantwortlichen erstmals erfahren, dass große Verluste entstanden und keine Gewinne, wie intern vermerkt. Die Sanierungsversuche scheiterten letztendlich, so dass die Bank am 26. Juni 1974 geschlossen wurde.
Es folgten ein Vergleichsverfahren und jahrelange Prozesse gegen die Beteiligten. Johann Herstatt, eins der vier Kinder von Iwan-David Herstatt, bewegt die Pleite noch heute. 16 Jahre lebte er mit seinem Vater, der 1995 starb, unter einem Dach. „Während dieser 16 Jahre stand der Konkurs jeden Tag auf der Tagesordnung“, sagt der 68-Jährige, der in Hamburg wohnt und sich in vielen Aussagen auf das Buch „Die Vernichtung“ seines Vaters bezieht.
Können Sie sich noch an den 26. Juni 1974 erinnern?
Johann Herstatt: Noch ganz genau. Ich habe damals eine Banklehre in München gemacht und habe an diesem Tag das Fußball-WM-Spiel Deutschland gegen Jugoslawien bei Freunden angeschaut. Danach ging ich zu meiner Münchner Wohnung, wo auf meinem Anrufbeantworter ganz viele Nachrichten waren. Ich müsse dringend zu Hause anrufen und schnellstmöglich nach Köln kommen. Zu Hause saß eine Runde von Freunden mit meinem Vater zusammen am Esstisch, man war völlig verzweifelt. Dann wurde aus Sicherheitsgründen mein Vater über Nacht zu Freunden gebracht, weil wir damit gerechnet hatten, dass plötzlich große Randale entstehen würde. Jeder wusste ja, wo mein Vater wohnt. Ich selbst musste eine Woche später wieder nach München und hatte meine mündliche Prüfung zur Banklehre abzulegen. Das war alles schon sehr bizarr.
Das war der Tag der Schließung der Bank. Es hatte sich ein paar Tage vorher herausgestellt, dass der Devisenhandel der Bank 100 Millionen D-Mark Verlust eingefahren hatte. Was war passiert?
1972 wurden flexible Wechselkurse eingeführt, der Kurs wurde nun durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Hierdurch ergaben sich neue Geschäftsmodelle, insbesondere Devisentermingeschäfte. Weil der Dollar anfangs völlig überbewertet war, waren Devisengeschäfte eine relativ sichere Sache. Die Leute aus der Devisenabteilung haben zunächst so erfolgreich gearbeitet, dass sie auch Goldjungs genannt wurden. Alle anderen Banken waren furchtbar neidisch und wollten Daniel „Dany“ Dattel, den Leiter der Devisenabteilung, abwerben. Weil man etwas tun musste, um ihn bei der Stange zu halten, hat man ihn befördert.
Was ist schließlich schiefgegangen?
Eine kleine Gruppe von bankinternen und externen Personen wollte mit fingierten Geschäften viel Geld zu Lasten der Herstatt-Bank in die eigene Tasche wirtschaften. Da ging es um Millionen, innerhalb von wenigen Monaten. Damit die Entnahmen der Herstatt-Bank verborgen blieben, dehnte man den Devisenhandel enorm aus, und hoffte damit Gewinne zu erzielen, die die Verluste bei weitem übertrafen. Dieses Riesenrad, das man gedreht hat, konnte man aber nicht mit den ganz klaren Vorgaben vereinbaren, die mein Vater aufgestellt hatte. Es gab Regeln, wie hoch man ins Risiko gehen durfte. Deswegen hat die Abteilung eine geheime Abbruchtaste installieren lassen, mit der sie die interne Verbuchung von Geschäften ausschalten konnte und die Geschäfte im Nachhinein beliebig manipulieren konnte.
Somit wurden die internen Regeln offiziell eingehalten und die Geschäftsführung getäuscht. Es kamen immer wieder Gerüchte auf, doch die Analysen zeigten keine Auffälligkeiten. Der Leiter der internen Revision hatte das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung sei, aber er konnte nichts Konkretes finden, auch nicht die Abbruchtaste. Die Verluste wurden erst bekannt, als Herr Dattel am 10. Juni die angelaufenen Verluste nicht mehr in den Griff bekam und der Geschäftsführung die Situation beichtete
Zunächst wurde ein Verlust von 100 Millionen D-Mark bekannt, wenige Tage später lagen die Verluste bei rund 500 Millionen. Mehrere Großbanken lehnten es ab, die Herstatt-Bank mit Bürgschaften zu unterstützen, woraufhin das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen am 26. Juni die Schließung der Bankschalter anordnete.
Ihr Vater hat in dem Buch geschrieben, er sei „in verbrecherischer Weise durch Devisenspekulationen zu Fall gebracht worden“. Er hat sich als Opfer dargestellt.
Das ist auch so gewesen. Warum sollte denn mein Vater als persönlich haftender Gesellschafter, der eine Bank mit irrsinniger Energie aufbaut, alles aufs Spiel setzen. Es ging ihm und der Bank doch bestens.
Hat er auch eigene Fehler gesehen?
Er hat sich immer gefragt: Habe ich zu wenig aufgepasst, hätte ich doch etwas merken müssen? Ich denke: Diese Bank ist extrem schnell gewachsen und hatte ein viel zu kleines Top-Management. Das war am Anfang in Ordnung, aber später hätte man mindestens vier, fünf Leute in der ersten Reihe haben müssen. Der einzige Fehler meines Vaters war, dass er in dieser Richtung sich nicht stärker engagiert hat. Leider bekam er auch hierbei durch Hauptaktionär Hans Gerling kaum Unterstützung.
In dem ARD-Film, der am Mittwoch ausgestrahlt wurde, wird ihr Vater so dargestellt, als hätte er sich mehr für Karneval und Golfen interessieren und weniger für die Bank…
Das stimmt überhaupt nicht. Mein Vater war ein Arbeitstier und Pünktlichkeitsfanatiker, er war der erste, der morgens in der Bank war und hat sie abends als letzter verlassen. Natürlich liebte er als Rheinländer den Karneval, aber er hat eben auch erkannt, dass über den Karneval die besten Geschäfte zu machen sind. In dem Film wird mein Vater fälschlicherweise als kranker Depp dargestellt, aber auch an vielen anderen Punkten geht er an der Realität vorbei. Es ist zum Beispiel nicht richtig, dass bei Sonderprüfungen des Bundesaufsichtsamts nicht verbuchte Geschäfte gefunden wurden. Es ist nichts gefunden worden, auch nicht die Abbruchtaste. Die ganze Sache ist erst aufgekommen, als Herr Dattel am 10. Juni die Verluste gebeichtet hat. Wie es dazu wirklich kam, hat Staatsanwalt Wilms in dreijähriger Analysearbeit herausgefunden.
Am 27. Juni 1974 hat die Bank dann die Eröffnung eines Vergleichsverfahrens beantragt wegen Überschuldung, woraufhin es dann am Hauptsitz Unter Sachsenhausen zu Tumulten kam. Wie haben Sie Ihren Vater damals erlebt?
Mein Vater war am Boden zerstört. Er dachte in dieser ersten Phase eigentlich nur an Selbstmord. Dann wurde ihm bewusst, dass die Sparer völlig allein gelassen wurden und er hat alles dafür getan, dass dieser Vergleich zustande kommt. Letztendlich hat Hauptaktionär Hans Gerling sich von einem Großteil der Anteile an seinem Versicherungskonzern getrennt, damit die Gläubiger ausbezahlt werden konnten. Wenn dieser Vergleich nicht zustande gekommen wäre, hätten die Sparer überhaupt nichts bekommen. Es gab ja damals noch keinen Einlagensicherungsfonds. Danach hat mein Vater seine ganze Energie aufgebracht, um dem Staatsanwalt zu helfen, die echten Schuldigen zur Strecke zu bringen. Er fühlte sich von dem Staatsanwalt später gelinkt, weil er mit vielen anderen 1976 in Untersuchungshaft landete.
1984 wurde Iwan-David Herstatt zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt, das Urteil wurde 1987 auf zwei Jahre auf Bewährung heruntergestuft, 1989 wurde ihm auch diese Strafe erlassen. Sechs weitere Manager der Herstatt-Bank wurden freigesprochen beziehungsweise erhielten milde Strafen. Daniel „Dany“ Dattel, der Chef der Devisenabteilung, wurde wegen des so genannten KZ-Syndroms, einer Art posttraumatischen Belastungsstörung, für verhandlungsunfähig erklärt. Er hatte als Vierjähriger zusammen mit seiner Mutter einige Monate im KZ Auschwitz verbracht.
Wie war sein Verhältnis zu seinem Jugendfreund Hans Gerling?
Seit der Pleite hatte Herr Gerling mit meinem Vater nicht mehr ein einziges Wort gesprochen. Überhaupt waren plötzlich die meisten Freunde verschwunden. Aber es gab auch Beispiele für gute Freunde, ich erinnere mich insbesondere an Wolfgang und Ingeborg Farina aus der berühmten Kölnisch-Wasser-Familie. Sie kamen ein paar Tage nach der Pleite zu meinen Eltern und zogen einen Umschlag mit Geld aus der Tasche, damit wir einkaufen konnten. Unsere Konten waren ja genau so gesperrt wie die der vielen Sparer. Es gab auch Enttäuschungen. Manch ein sogenannter Freund besuchte meinen Vater und verlangte das Geburtstagsgeschenk zu seinem 60. mit der Begründung zurück, man habe mit dem Geschenk ja etwas bezweckt, was mein Vater nun nicht mehr bieten könne.
Was haben Sie von den Schicksalen der Kunden mitbekommen?
Zunächst: Mein Vater hat sich furchtbar geschämt, dass er die ganzen Leute so enttäuscht hat. Die hatten plötzlich kein Geld mehr, für sie war es eine totale Katastrophe. Ich merkte natürlich, wie mein Vater litt. Er hat versucht, möglichst vielen Kunden zu helfen. Es gab eine Geschichte, die uns alle wahnsinnig getroffen hatte. Vor dem Haus hatten wir zwei große Terrakotta-Töpfe. Einer davon ging plötzlich nachts zu Bruch. Wir sahen einen Mann, der den zweiten Topf draußen auf die Straße schleppte. Es war einer der kleinen Sparer, der völlig verzweifelt und betrunken war und randalierte.
Wir riefen die Polizei und am nächsten Morgen kam dieser Herr zu uns und hat sich weinend entschuldigt, es tue ihm furchtbar leid, aber er wäre so verzweifelt. Das war ein Moment, den kriege ich heute noch nicht aus dem Kopf. Im Großen und Ganzen war mein Vater nach wie vor bei den Kölner Bürgern sehr beliebt. Es gab Taxifahrer, die sagten, sie wüssten um seine Lage, er brauche nicht zu bezahlen, es sei für sie eine Ehre, ihn chauffieren zu dürfen.
Inwieweit waren Sie und Ihre Geschwister von der Pleite betroffen?
Das hat unser Leben total verändert. Es gibt auf der ganzen Welt ganze elf Personen mit dem Namen Herstatt. Mehr nicht. Mein ältester Bruder hatte eine komplette internationale Bankausbildung. Ihm war es nicht möglich, im internationalen Bankgeschäft überhaupt einen Fuß in die Tür zu setzen. Meine Schwester verlor als Redakteurin ihren Job und durfte nicht unter ihrem Namen schreiben. Meine Frau wollte Richterin in Köln werden und man sagte ihr: Mit dem Namen Herstatt könne sie keine Richterstelle bekommen, so lange die ganzen Prozesse gegen Herstatt noch laufen würden. Ich selbst habe eine Banklehre gemacht, konnte aber erst nach 25 Jahren wieder in den Finanzbereich einsteigen, was ich gerne von Anfang an gemacht hätte.
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Mein jüngerer Bruder konnte wochenlang nicht zur Schule gehen, weil wir Angst um ihn hatten. Der Lehrer schrieb dann mit der Unterschrift von allen Schülern einen Brief, alle würden Cornelius vermissen und hoffen, ihn bald wieder zu sehen. Durch den Film wird nun die nächste Generation mit der Sache konfrontiert, unsere Kinder werden nun pausenlos angerufen und gefragt, ob sie etwas mit der Pleite zu tun hätten. Es tut sehr weh, den eigenen Großvater in so schlechtes Licht gerückt zu sehen.
Wie ist es Ihnen damals persönlich ergangen?
Ich habe das Ganze mehr oder weniger wie in Trance erlebt. Für mich war der absolute Tiefpunkt, als meine Mutter und ich meinen Vater in der Untersuchungshaft besuchen durften. Ich war geschockt, weil mein Vater total in sich zusammengesackt in der Zelle saß, mit einem völlig grauen Gesicht. Als wir dann nach kurzer Zeit die Zelle verlassen mussten, schaute mein Vater wie ein armer Hund, der einfach um Hilfe bettelt: Bitte nehmt mich mit (bricht in Tränen aus). Das war für mich der schlimmste Moment meines Lebens.
1995 ist Ihr Vater gestorben, wie war in den letzten Jahren sein gesellschaftliches Leben?
Das war auf null heruntergefahren. Er ist jeden Morgen zu seiner Mutter gegangen. Sie war eine sehr starke Persönlichkeit, die ihm Halt und Struktur gegeben hat. Sie haben sich zusammen Opern und Konzerte angehört. Sie hat ihn aufgerichtet, der ganze Vormittag war fest organisiert. Auch finanziell war sie eine große Hilfe. Ansonsten ist er so gut wie nicht mehr vor die Tür gegangen. Alle Vereine, als erstes der Lions-Club, haben ihm nahegelegt, auszutreten. Er hat nicht nur sein ganzes Vermögen zur Verfügung gestellt, um die Sparer auszuzahlen, er hat seine ganze Ehre verloren.
Eigentlich wäre er schon durch die schwere Krankheit nach der Untersuchungshaft viel eher verstorben. Doch als er in Abwesenheit zunächst zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, hat er all seine Energie zusammengefasst und für seine Rehabilitation gekämpft. Als schließlich der Europäische Gerichtshof das Landgericht Köln anwies, das Verfahren wieder aufzunehmen und auch der Gerling-Konzern ihm wieder eine kleine Rente auszahlte, sah er seine Unschuld bestätigt und konnte seinen Frieden finden.