„Hat niemand erwartet“Kölner machen entscheidenden Fortschritt bei Darm-Behandlung
- Viele Patienten, vor allem Frauen, leiden unter Darmentleerungsstörungen, die mitunter sehr belastend sein können.
- Lange wurde das Krankheitsbild nicht richtig ernst genommen, doch nun haben Kölner Mediziner entscheidende Fortschritte in der Behandlung gemacht.
Köln – Dr. Claudia Rudroff, Chefärztin im Klinikum Weyertal, ist einer Erkrankung auf der Spur, die für die Betroffenen körperlich und psychisch äußerst belastend ist. „Die Patientinnen und Patienten haben das Gefühl, ständig Wackersteine im Bauch mit sich herumzutragen. Sie berichten von massiven Problemen beim Stuhlgang. Bei diesen Darmtransport- oder Darm-Entleerungsstörungen müssen sie mitunter wochenlang warten, bis sich der Darm vollständig entleert“, sagt Rudroff.
Die 55 Jahre alte Chefärztin leitet im Klinikum den Bereich „Allgemein- und Viszeralchirurgie mit Schwerpunkt unterer Gastrointestinaltrakt“. Behandelt werden unter anderem Leistenbrüche, Erkrankungen der Gallenblase, der Gallenwege, des Darms. „Alles, was unterhalb des Magens und des Zwölffingerdarms liegt. Dazu zählen Dünn- und Dickdarm, Mast- und Enddarm sowie der Anus“, sagt die Chefärztin. „Der Schwerpunkt liegt auf der Behandlung der funktionellen Störungen.“
Vor allem Frauen betroffen
Die Darmentleerungsstörung sei ein Krankheitsbild, „das lange Zeit nicht so richtig ernst genommen wurde. Es herrschte die Ansicht vor, dass sich das reguliert, wenn sich die Patienten mehr bewegen, ausreichend trinken und generell ihre Ernährung verändern. Doch so einfach ist es nicht.“ Im Zusammenwirken mit Kollegen der Uniklinik Köln hat Rudroff entscheidende Fortschritte bei der Suche nach den Ursachen für diese Erkrankung erzielt. So ist es gemeinsam mit der Neuropathologie der Uniklinik Köln unter der Leitung von Professor Martina Deckert gelungen, bei etlichen der Patienten spezielle Veränderungen des Darms nachzuweisen. „Zunächst fiel auf, dass diese Betroffenen einen extrem verlängerten Darm mit vielen Extraschleifen hatten, und es ausgedehnte Abschnitte gab, die keine intakten Nervenzellen zeigten. Das bisher längste Stück Darm, das ich entfernt habe, war 95 statt normalerweise 15 Zentimeter lang und wies keine aktiven Nervenzellen mehr auf.“
Auffallend sei, dass diese Veränderung der Nervenzelldichte und die funktionellen Störungen vor allem Frauen betreffen. „Sie machen etwa 95 Prozent der Patienten aus. Die Frage, warum das so ist, ist Teil unserer Untersuchungen.“ Dabei spielt die Tatsache, dass die Beschwerden bei vielen Frauen erst nach der Geburt eines Kindes auftreten, eine große Rolle. „Wir vermuten eine Autoimmunkrankheit. Es könnte beispielsweise sein, dass während der Schwangerschaft, bei der ja das Immunsystem eingeschränkt arbeitet, der Angriff auf die Nervenzellen im Darm erfolgt“, erläutert Chefärztin Rudroff, „außerdem haben wir entdeckt, dass bei manchen Patienten zusätzlich eine Entzündung im Darm zu sehen ist. Wenn die Krankheitsdauer kürzer als fünf Jahre ist, sieht man, dass es aktive Zellen gibt, die diese Nervenzellen zerstören.“ Von 100 im Klinikum Weyertal am Darm operierten Patienten wiesen 20 diese Veränderungen der Nervenzelldichte auf. „Die Dunkelziffer wird sehr hoch sein. Viele Betroffene leiden viele Jahre enorm unter der Erkrankung, reduzieren ihre sozialen Kontakte, ihre Lebensqualität ist deutlich eingeschränkt. Nicht selten entwickeln sich parallel starke Depressionen. Darmträgheit ist nur ein Merkmal. Es gibt auch das Gegenteil. Diese Patienten müssen ständig und unkontrolliert zur Toilette.“
„Etwas ganz Neues“
Um noch mehr über die Zusammenhänge zu erfahren, möchte die Chefärztin die Kooperationen mit anderen Kollegen der Uniklinik Köln ausweiten. Dazu zählt die Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie unter der Leitung von Professor Dr. Christian Albus. Mit im Boot ist auch Privatdozent Dr. Clemens Warnke, Oberarzt und Leiter der AG Klinische Neuroimmunologie an der Klinik für Neurologie. Bei ihm liegt der Focus auf der Multiple Sklerose (MS), einer neurogenen Autoimmun-Erkrankung. „Ganz viele MS-Patienten leiden auch an Darmentleerungsstörungen“, sagt Rudroff.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Untersuchung der Darmflora (Mikrobiom) der Patienten. „Das Thema ist total wichtig. Es muss ja einen Grund geben, warum diese Zellen die Nervenzellen im Darm angreifen, andere aber nicht“, sagt die Chefärztin, „da lassen wir in unseren Bemühungen nicht nach. Wir haben hier am Evangelischen Klinikum Weyertal gemeinsam mit unseren Kollegen an der Uniklinik Köln etwas gefunden, womit niemand gerechnet hat. Das ist etwas ganz Neues. Die Kooperation mit der Uniklinik ist für mich Gold wert, es entsteht eine ganz neue Dynamik.“