Köln – Plötzlich wird es laut auf der Zülpicher Straße nahe der Dasselstraße. Menschenmassen laufen rufend und wild gestikulierend auf die Straße. Innerhalb weniger Sekunden sind mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei vor Ort. So beschreibt es eine Ärztin, die in der Nacht zum vergangenen Samstag privat unterwegs war und anonym bleiben möchte. Es ist der Moment, in dem ein 18-Jähriger gegen 2.30 Uhr bei einer Auseinandersetzung mit einem Messer lebensgefährlich verletzt wird. Er überlebt die Nacht nicht.
Die Ärztin habe sich bei den Einsatzkräften noch als solche zu erkennen gegeben, bei den medizinischen Erstmaßnahmen geholfen, bis kurze Zeit später Rettungskräfte eintrafen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Einsatzort bereits mit Polizeiband abgesperrt gewesen, Tücher dienten als Sichtschutz. „Die Rettungskräfte und die Polizei haben sich absolut vorbildlich verhalten“, sagt die junge Frau. „Ich weiß, dass dies vielleicht kein Trost für die Hinterbliebenen darstellt, aber ich weiß, dass alles Erdenkliche und Menschenmögliche für diesen jungen Mann getan wurde.“
16-jähriger Tatverdächtiger in U-Haft
Noch in der Nacht nahmen Polizisten fünf Männer in der Nähe des Tatorts vorläufig fest. Gegen einen 16-Jährigen verdichtete sich anschließend der Tatverdacht. Ihm wird vorgeworfen, den 18 Jahre alten Jugendfußballer mit einem Messerstich in den Oberkörper tödlich verletzt zu haben. Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin Haftbefehl wegen Totschlags – inzwischen befindet sich der 16-Jährige in Untersuchungshaft. Die anderen vier Männer wurden wieder aus dem Polizeigewahrsam entlassen. „Sie gelten als nicht dringend tatverdächtig“, sagte Staatsanwältin Lisa Klefisch. Dennoch richte sich das Verfahren gegen alle fünf.
Ob sich der Tatverdacht gegen den 16-Jährigen bestätigen wird, ist unklar. Zwar sei der Jugendliche laut Staatsanwaltschaft in der Vergangenheit polizeilich in Erscheinung getreten, insbesondere wegen Eigentums- und Körperverletzungsdelikten – doch bisher bestreite er, die Tat in der Nacht auf Samstag begangen zu haben. „Es wird weiterhin in alle Richtungen ermittelt“, so Staatsanwältin Klefisch. Das Verfahren müsse „mit besonderer Beschleunigung“ geführt werden. Das gibt Paragraf 72 des Jugendgerichtsgesetzes vor.
Zülpicher Straße zurzeit kein Kriminalitätsbrennpunkt
Die Studentenmeile ist weder in den vergangenen Wochen noch vor den beiden Lockdowns durch Gewaltverbrechen negativ aufgefallen. Inwieweit die tödliche Auseinandersetzung mit dem Zustand der Zülpicher Straße in Verbindung steht, ist spekulativ. „Die Polizei Köln betrachtet die Zülpicher Straße zurzeit nicht als Kriminalitätsbrennpunkt“, sagte Polizeisprecher Ralf Remmert am Montag auf Anfrage. Die Kriminalitätsbelastung sei im Vergleich zu den Ringen oder dem Neumarkt geringer.
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Die Einsatzkräfte berichteten allerdings von einer „sehr hohen Auslastung“ der Straße. „Das liegt nach ersten Einschätzungen auch daran, dass Diskotheken auf den Ringen entweder pandemiebedingt noch geschlossen haben oder zumindest deutlich weniger Gäste zugelassen sind und Besucher andere Möglichkeiten suchen“, so Remmert. Es sei naheliegend, dass die Feiernden zur Zülpicher Straße abwanderten. Die Polizei zeige dort daher verstärkt Präsenz. Auch am Samstag seien die ersten Einsatzkräfte wenige Minuten nach der Tat vor Ort gewesen.
Fastfood-Restaurants und Bars ziehen „anderes Publikum“ an
Bezirksbürgermeister Andreas Hupke, der selbst vor Ort wohnt, sagte, er beobachte eine Aggressivität, die er sonst nur von den Ringen kenne. „Die Zülpicher Straße ist ein Indikator dafür, wie brachial sich der öffentliche Raum in der Innenstadt insgesamt negativ verändert hat“, so der Grünen-Politiker. Fastfood-Restaurants und Bars würden alteingesessene Läden verdrängen und ein anderes Publikum anziehen. Die Innenstadt sei von den vielen feiernden Menschen überlastet. „Die Stadt muss da jetzt erfahrene Streetworker reinschicken“, sagte Hupke.
Stadtdirektorin Andrea Blome sagte, diese Eskalation von Gewalt überschreite „jegliche Toleranzgrenze“. „Ich werde mich kurzfristig mit der Polizei, den städtischen und den lokalen Akteuren zusammensetzen, mit dem Ziel, eine gemeinsam getragene lokale Agenda sowie kurzfristig wirkende Maßnahmen zu entwickeln“, so Blome.
Ein Wirt berichtete, dass er sein Restaurant auf der Zülpicher Straße mittlerweile bereits um 23 Uhr schließe und grundsätzlich keine alkoholischen Getränke mehr verkaufe. „Sonst muss ich Angst haben, dass die mir den Laden kaputt machen.“ Nicht ohne Grund stünden nun – anders als früher – vermehrt Türsteher vor den Bars.