Notfallseelsorger Bernd Flamming hat seine Frau in der Corona-Krise verloren – an einem inoperablen Hirntumor.
Durch seinen Beruf und seine eigenen Erfahrungen mit Trauer, kann er mit dem Tod umgehen. Doch was nun von ihm verlangt wird, lässt ihn verzweifeln.
Er darf seine Frau nicht angemessen beerdigen. Deswegen möchte er kämpfen – für seine große Liebe. Wir haben mit Flamming gesprochen.
Köln – Bernd Flamming ist ein Kämpfer. Ein Kerl wie ein Baum, der Krise kann. Einer, dem das Leben viel Leid zugemutet hat, und der daraus das entwickelt hat, was die Wissenschaftler Resilienz nennen: Also die Fähigkeit, an Krisen und Leid nicht zu zerbrechen, sondern sie zu bewältigen und sogar als Ressource zu nutzen für die eigene Entwicklung. Doch das, was das Leben ihm jetzt abverlangt, das lässt den 70-jährigen Theologen in diesen Ostertagen verzweifelt zurück: „In mir ist ein Gefühl aus großer Trauer und ohnmächtigem Zorn.“
Flamming hat vor wenigen Tagen in der Corona-Krise seine Frau Gabriele verloren. „Sie war die Liebe meines Lebens. Wir waren weit über 40 Jahre verheiratet.“ An ihrem Bett harrte er Tage und Nächte aus, als sich der Tod schon ins Zimmer geschlichen hatte und immer näher rückte. Dass er sie gehenlassen musste, das für sich genommen, sei furchtbar, der schlimmstmögliche Schicksalsschlag. Dass die Behörden ihm aber in Zeiten von Corona verbieten, würdig von seiner geliebten Frau Abschied zu nehmen, das macht ihn verzweifelt und wütend zugleich.
Trauergottesdienst in Corona-Krise verboten
„Ich habe mir nicht vorstellen können, dass mir Politiker untersagen können, in einem Trauergottesdienst und einer Bestattung gemeinsam mit den engsten Angehörigen und Freunden von meiner geliebten Frau Abschied zu nehmen.“ Mit diesem Verbot werde Trauernden eine Verletzung zugefügt, die niemals heilt. Bei einer Bestattung hätten nur er und sein Sohn dem Sarg folgen dürfen, ohne Zeremonie, ohne Enkel, Familie, engste Freunde. Ihn erinnert das an die anonymen Bestattungen der so genannten „Unbedachten“, von denen er viele als Seelsorger erlebt hat, und wo das Gefühl bleibe, dass da ein Leben einfach verbuddelt werde.
Der Vollzug von Trauerritualen, der in allen Kulturen zu den elementaren Rechten des Menschen zähle, werde durch Erlasse verboten. „Das nehme ich nicht hin“, sagt er.Flamming kennt den Tod und die existenzielle Einsamkeit des Menschen . Mit 15 Jahren musste er erleben, wie seine Mutter nach sechs missglückten Suizidversuchen beim siebten Versuch schließlich starb. Neun Jahre alt war er, als sie sich das erste Mal die Pulsadern aufschnitt. Nach dem Tod seiner Mutter kam er ins Heim. Kämpfte sich durch bis zum Schulabschluss, studierte evangelische Theologie, vergleichende Religionswissenschaften und Erziehungswissenschaften. Sterbehilfe war das Thema der Diplomarbeit. „Vom Leben versteht er nix, aber vom Tod, da hat er Ahnung“ habe sein Studienfreunde gefeixt.
Der Notfallseelsorger bleibt, wenn die Polizei schon weg ist
Seine Geschichte nahm er mit ins Leben und machte aus dieser Prägung eine Begabung als Krankenhausseelsorger, als Notfallseelsorger. Er ist es, der in Köln mit dem Polizisten an der Haustür klingelt und der bleibt, wenn der Beamte längst schon wieder weg ist. Wenn die Todesnachricht wie eine surreale Schockwelle im Raum steht, wenn Eltern gesagt bekommen haben, dass ihr Kind vom LKW überfahren wurde, sich der Ehepartner aus dem achten Stock gestürzt hat oder die Studentin unter die Gleise der KVB geraten ist. Er harrt mit ihnen aus. Oft viele Stunden.
Manchmal die ganze Nacht. Ungezählte Male. „Ich habe gemerkt, dass ich das kann. Ich kann das gemeinsam aushalten und Beistand leisten.“ Seine eigene Leidenserfahrung habe ihn befähigt, nachzuvollziehen, was in dem anderen vorgeht. Und er weiß auch, wie wichtig Trauerrituale in diesen existentiellen Situationen sind.
Und noch ein Gefühl kennt er als Heimkind ohne Familie: das Alleinsein. Sein erstes Weihnachten als Student im Wohnheim hat er nie vergessen. Von den 165 Zimmern waren alle dunkel. Nur sein Zimmer war erleuchtet. So allein, schwor er sich, wollte er sich nie mehr fühlen. Dann traf er Gabriele. „Ich weiß noch, wie ich meinem Freund sagte: Ich hab’ die Frau getroffen, die ich heiraten werde.“ Wie sie denn heiße, habe er zurückgefragt. „Das weiß ich noch nicht.“ Er hatte Gabriele nur gesehen. „Aber ich wusste, dass sie die Frau meines Lebens wird.“ Irgendwann wusste sie das auch.
Inoperabler Hirntumor ist die Diagnose
Ihr gemeinsamer Weg vereint die Geschichte von zwei Menschen, die wie Flamming sagt, verschiedener nicht sein konnten und die mit innerer Großzügigkeit das geschafft haben, was er „Einheit in Verschiedenheit“ nennt. Er war der Entschiedene, der Fels. Sie die bedingungslos Verlässliche, die ihm, dem Verwundeten, damit das gab, was er brauchte, um seine Energie und Kraft zu entfalten.
Auch als seine Frau im November von einem Tag auf den anderen die Diagnose inoperabler Hirntumor erhält. „Meine Kraft reicht für uns beide“, sagte er zu ihr – pflegte sie, wusch sie, fütterte sie als ihre Kräfte schwanden und sie durch den Tumor immer mehr Fähigkeiten verlor. „Ich habe sie auf Händen getragen.“ So wie damals, ganz am Anfang ihrer Ehe. Es ist nicht so, dass er, der Theologe, nicht mit seinem Gott hadert.
Die Klage, das Schreien, all das sei ihm nahe, da sei er ganz bei Hiob und auch bei der Karfreitagsklage von Jesus am Kreuz. Und doch vermag er Gott im Leid an seiner Seite zu empfinden. Beides schließt sich für ihn nicht aus. Für ihn geht nichts verloren und er hat das sichere Gefühl, dass seine Frau weiter existiert bei Gott und ihre Liebe über den Tod hinausgeht.
Gesundheitsdiktat über die Würde des Menschen im Tod gestellt
In Frage steht für ihn nicht sein Glaube an Gott, sondern der an den Rechtsstaat. „Was ist das für ein Freiheitsbegriff, der die Gesetze über die Menschlichkeit stellt?“ Hier werde ein Gesundheitsdiktat über die Würde des Menschen im Tod gestellt. Er hat alles versucht: Er hat eine Kirche ausgesucht, in der die 25 geladenen Gäste drei Meter voneinander hätten sitzen können. Verweigert. Er fand eine Trauerhalle, die nur aus einem Dach bestand – also rundherum offen war. Verweigert. „Die Anwesenden wären weiter voneinander getrennt gewesen als die Mitglieder des Stadtrates bei ihrer Sitzung im Gürzenich.“ Der Pfarrer war bereit, sich über das Verbot hinwegzusetzen. „Aber als ich erfahren habe, dass sich alle Besucher der nach dem Bundesseuchengesetz strafbar gemacht hätten, habe ich zurückgezogen. Die Verantwortung kann ich nicht übernehmen.“
Jetzt steht die Urne beim Bestatter. Corona hat geschafft, dass es wieder da ist, das Gefühl von damals aus dem Studentenheim. „Ich sitze hier in meinen vier Wänden. Ich trauere um meine tote Frau, die ich nicht in angemessener Weise betrauern darf. Mir laufen Tränen über das Gesicht. Ich bin alleine.“ Es habe in seinem Leben viel Ohnmacht erfahren, sagt er, aber diese möchte er nicht hinnehmen. Flamming wird beim Verwaltungsgericht Klage einreichen, um auf diesem Weg eine würdige Feier zu erstreiten. Sechs Wochen gebe ihm der Gesetzgeber eine Frist, dann müsse seine Frau nach dem Bestattungsgesetz bestattet sein. Auch der Antrag, diese starre Befristung wegen Corona zeitlich aufzuweichen, wurde abgelehnt. Kämpfen will er. Gegen die Zeit. Gegen den Staat. Das sei er der Liebe seines Lebens schuldig.