Köln – „Bringst Du mir noch eins, Hase?“ – diese Aufforderung kann nur ins Leere laufen. Selbst wenn Früh-Kölsch die aktuelle Werbung mit dem Zauberwort „bitte“ versehen hätte, ginge die Frage an den falschen Adressaten. Denn freundlich-entgegenkommend ist der Hase per se nicht, und so niedlich-gesellig, wie uns die kulleräugige Verwandtschaft im Supermarktregal glauben lässt, ist Meister Lampe erst recht nicht. Er ist ein Einzelgänger. Noch dazu einer, der sich gerade in dieser Jahreszeit gerne mal mit einem Nebenbuhler prügelt. Und zwar so richtig. „Die reißen sich dabei die Haare aus“, betont Professor Theo Pagel, der als Zoochef mit tierischen Gewohnheiten naturgemäß bestens vertraut ist.
Während die kleinsten Kölner in diesen Tagen mit riesen Lauschern die Geschichten von dem lieben Eiertransporteur aufsaugen, erzählt der Zoologe vom wirklichen Charakter unseres Ostermaskottchens: von seinem eher scheuen Wesen, seinem allerdings machohaften Auftreten in der Paarungszeit, von der „Rammelwolle“, die bei Rivalenkämpfen durch die Luft fliegt und davon, dass der Stress mit der Aufzucht des Nachwuchses natürlich an den Häsinnen hängenbleibt.
Hase startet im Affentempo durch
Nun ist der „Lepus europaeus“, anders als Wildkaninchen, die „nackt und blind zur Welt kommen und in Höhlen aufwachsen“, schon von Geburt an ein kleiner Hase, der rumhoppeln kann und quasi im Schnelldurchgang gesäugt wird. Abgesehen von den wesentlich längeren Hängeohren und den kräftigeren Hinterläufen unterscheidet sich der Feldhase dadurch vom Kaninchen, mit dem er gerne in einem Topf geworfen wird, dass er nicht WG-mäßig im unterirdischen Bau wohnt, sondern in kleinen Kuhlen auf dem Feld. Pagel: „Dort duckt er sich ab und bleibt ganz lange sitzen.“ Bekannt ist er vor allem dafür, dass er in einem Affentempo durchstarten „und dabei urplötzlich die Richtung ändern kann.“ Daher der Begriff Haken schlagen.
Seit Jahren steht der Feldhase in Deutschland auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten. Doch erst vor wenigen Tagen hat der Deutsche Jagdverband (DVJ) Zahlen vorgelegt, wonach sich die für Unterkühlungen anfälligen Tiere dank des trockenen Frühjahrs im vergangenen Jahr wieder stärker vermehrt haben. Besucher des Kölner Zoos müssen jedoch nach wie vor mit falschen Hasen Vorlieb nehmen. „Wir haben nur noch eine Sorte“, sagt der Zoodirektor und erzählt eine Anekdote aus dem Jahr 2010, als der damalige Dompropst Norbert Feldhoff das „Hippodom“ heißende Flusspferd-Areal einweihte, und man ihm damals die Patenschaft für den „Meisner Widder“ übertrug. Diese in Koexistenz mit Meerschweinchen lebenden Tiere haben selbstverständlich ebenso ihre Fans wie die Exoten.
Kein Kandidat für Kuscheleinheiten
Apropos Fans: Alina Schwert und ihr Freund Thomas Breuer werden spätestens nach den Feiertagen wieder die Möbel umstellen. Nicht in der ganzen Wohnung, sondern nur hinter der ersten Tür rechts, im Hasenzimmer, das alle zwei Wochen verändert wird, um ja keine Langeweile bei den Bewohnern aufkommen zu lassen. Dass Becky und ihr Kumpel Piet über mehr Lebensraum verfügen, als manch ein Kölner Student, ist durchaus gerecht. Denn ohne das braun-weiße Kaninchen wären die 34-Jährige und ihr Freund gar nicht erst zu ihrer Südstadt-Adresse gekommen.
Nachdem Beckys vorherige Besitzer zweibeinigen Nachwuchs bekommen hatten und das Tier nicht mit in ihre größere Wohnung nehmen konnten, hatten sie vor etwa einem Jahr liebevolle Kaninchen-Kümmerer gesucht und in der Ärztin und dem Elektrotechnik-Ingenieur die Idealbesetzung für Tiere und Wohnung gefunden.
Alina Schwert ist nicht nur Humanmedizinerin, sondern auch Kaninchen-Expertin. Seit ihrer Kindheit hat es immer wieder Hasentiere in ihrem Leben gegeben, die meistens über den Tierschutz – etwa aus Tiermessie-Haushalten – zu ihr kamen. Im Gegensatz zur fünfjährigen Becky ist das jüngere Löwenköpfchen Piet noch ziemlich scheu und beileibe kein Kandidat für Kuscheleinheiten auf der Couch. Das schwergewichtigere Mädel wagt sich eher zur Versorgerin vor; insbesondere dann, wenn diese mit der Sonnenblumenkern-Dose raschelt.
Sie produzieren eigene Energie-Drops
Streng genommen bräuchten die beiden Fellnasen keine extra Leckerli, denn die produzieren sie selbst. Hasen und Kaninchen, erklären Professor Pagel und die Kinderradiologin übereinstimmend, erzeugen einen separaten, viel Vitamin C enthaltenden Blinddarmkot, den sie quasi wie Energiedrops futtern. Diese und ihre richtige Nahrung können sie sich allerdings nicht mit Hilfe ihrer Vorderpfoten zuführen; einer der Gründe, weshalb sie anders als die diesbezüglich talentierteren Mäuse zu den Hasenartigen und nicht zur Gruppe der Nager gehören.
Piet und Becky, die kurioserweise wie ein Hund mit dem Schwänzchen wedeln kann, haben dafür andere Talente: Sie schaffen es mühelos bei einem eigentlich für Katzen gedachten Spielzeug die entsprechenden Schubladen zu öffnen, um an gekaufte Belohnungsdrops zu kommen. „Die intellektuelle Herausforderung sollte auch für Hasen gegeben sein“, witzelt Thomas Breuer. Als Elektrotechnik-Ingenieur musste er natürlich eine Reihe von Dingen wie Mehrfachsteckdosen verstecken, um den beiden Tieren im Falle eines Ausbüxens kein gefährliches Spielfeld zu liefern. Allerdings fühlen sich die beiden auf ihren Hanfmatten oder in ihren von Insassen der JVA Werl gezimmerten Holz-Bungalows sichtlich wohl. Dank Fenchel, Basilikum, Staudensellerie und Dill dürfte auch ihr Speiseplan abwechslungsreicher sein, als der manch eines Studenten. Außerdem entfällt die Gefahr, dass Greifvögel oder Marder zu Besuch kommen und die WG dezimieren könnten.
Wie ihre in freier Natur lebende Verwandtschaft sind Piet und Becky dämmerungsaktiv. Ein leises Zähneknirschen verrät, dass sie sich gerade wohlfühlen. Wenn der Hase knirscht, dann schnurrt er also. Natürlich würde das Paar ihren beiden WG-Kumpels gerne mehr Freigang gönnen. Alina Schwert: „Wir wären auch bereit, mehr Hasen zu nehmen, wenn wir dafür ein Haus mit Garten angeboten bekämen.“