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„Offene Rechnungen im Milieu“Polizei sieht Bandenkriminalität hinter Explosionsserie in Köln

Lesezeit 3 Minuten
Mittwochmorgen kam es in der Ehrenstraße vor dem Bekleidungsgeschäft LFDY zu einer Explosion.

Mittwochmorgen kam es in der Ehrenstraße vor dem Bekleidungsgeschäft LFDY zu einer Explosion.

Eine Serie von Sprengungen erschüttert den Raum Köln – zuletzt zwei Explosionen in 48 Stunden. Die Polizei sieht kriminelle Banden am Werk und will nachts Kontrollen verstärken.

Auch wenn Polizei und Staatsanwaltschaft die Hintergründe und Zusammenhänge der Explosionen, Schüsse auf Häuser und Geiselnahmen der vergangenen Monate in Köln noch nicht genau durchschauen – eines ist sicher: „Es gibt offensichtlich im Milieu offene Rechnungen, die noch beglichen werden“, sagte der Chef der Kölner Kriminalpolizei, Michael Esser. Und: Vermutet werden Auseinandersetzungen in der organisierten Kriminalität. Spuren in die Niederlande lägen auf der Hand und ließen sich inzwischen auch schon belegen.

300 Kilo Cannabis im Juni verschwunden

„Kern des Geschehens“ sei mutmaßlich das Verschwinden von 300 Kilogramm Cannabis im Juni aus einer 700-Kilogramm-Lieferung aus den Niederlanden, sagt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer. Gelagert worden war das Rauschgift in einer Halle in Hürth. Beteiligt an der milieuinternen Auseinandersetzung sei auch eine „Gruppierung“ aus dem rechtsrheinischen Köln mit Verbindungen in die Niederlande. Offenbar gehe es nun darum, die verschwundenen 300 Kilo wieder aufzutreiben oder den Verlust mit Geld zu bezahlen. Ermittelt werde wegen bandenmäßigen Rauschgifthandels, aber die Nähe zu einer kriminellen Vereinigung sei bisher nicht belegt.

Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer und der Leitende Kriminaldirektor Michael Esser (v.r.) erklären den aktuellen Sachstand.

Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer und der Leitende Kriminaldirektor Michael Esser (v.r.) erklären den aktuellen Sachstand.

Bremer spielte damit auf die sogenannte Mocro-Mafia an, kriminelle Drogenkartelle aus den Niederlanden, die im Nachbarland schon seit langem mit öffentlichkeitswirksamen Sprengstoffanschlägen interne Konflikte regeln. „Mocro-Mafia“ sei zwar ein griffiger Ausdruck, sagte Bremer, „aber nichts, womit wir strafrechtlich operieren“.

Erstmals haben sich Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstag umfänglich zu ihren Ermittlungen zu der Sprengstoffserie geäußert. Deutlich wurde, wie mühsam die Arbeit ganz offensichtlich ist. Sowohl Täter als auch Opfer der Sprengstoffanschläge und Schüsse seien „in ihrem eigenen Interesse nicht bemüht, uns die Karten auf den Tisch zu legen“, sagte Esser. Daher laufen viele Ermittlungen verdeckt. Auch jeder noch so kleine Hinweis aus der Bevölkerung könne den entscheidenden Durchbruch bringen.

Polizei will nachts in Köln verstärkt Personenkontrollen durchführen

Mehr als 60 Beamtinnen und Beamte seien seit Wochen mit den Ermittlungen beschäftigt. Ihnen und allen übrigen Polizistinnen und Polizisten gelte sein großer Dank, betonte Esser. Auch das NRW-Landeskriminalamt, das Bundeskriminalamt und niederländische Sicherheitsbehörden seien an den Ermittlungen beteiligt. Und dennoch: Ein „herausragendes Ergebnis“ könne man noch nicht präsentieren, er könne nicht sagen, man habe den Fall gelöst, sagte Esser.

Am Montag gab es eine Explosion am Nachtclub Vanity.

Am Montag (16. September) gab es eine Explosion am Nachtclub Vanity.

Man tue aber „alles Menschenmögliche“, ergänzte Oberstaatsanwalt Bremer, um die beispiellose Serie an Gewalttaten aufzuklären. Zum Schutz vor weiteren Anschlägen werde die Polizei zudem nachts in Köln verstärkt Personenkontrollen durchführen, kündigte Esser an.

Weiter unklar bleibt, ob alle Anschläge und Schüsse seit Juni sowie die Geiselnahme in Rodenkirchen im Juli miteinander zusammenhängen – oder ob es sich möglicherweise um zwei oder mehr Tatkomplexe handelt, die untereinander nicht in Verbindung stehen. So verfolgt die Polizei bei manchen Taten auch Spuren ins Rockermilieu, zum Beispiel im Fall des brennenden BMW X6 am Mittwochmorgen in Köln-Ostheim. Unter dem ausgebrannten Wagen lag eine scharfe Handgranate.

Für 500 Euro werden Handlanger angeheuert

Der Modus Operandi bei den Sprengstoffanschlägen vor Häusern sei vielfach ähnlich, weise aber auch Unterschiede auf, sagte Esser. Klar sei: „Man kann sich diese Kriminalitätsform bestellen.“ Zum Beispiel über soziale Netzwerke wie Telegram, so heißt es, heuern die Kartelle in den Niederlanden für Beträge um die 500 Euro pro Attentat Handlanger an. Diese bekommen zum Beispiel eine bestimmte Adresse in Köln genannt, reisen für die Tat dorthin, deponieren den Sprengstoff, entzünden ihn und flüchten zurück in die Niederlande. Auftrag erledigt.

Manchmal allerdings machen die ortskundigen Handlanger auch Fehler. In Duisburg etwa explodierte am 5. Juli eine Bombe vor einem Haus, die eigentlich vor einem anderen Gebäude hochgehen sollte – der Attentäter hatte sich in der Adresse geirrt. (red)