AboAbonnieren

„Über uns redet keiner“Warum Inklusionskinder in Köln das Nachsehen haben

Lesezeit 4 Minuten
Inklusion

Zu wenig wohnortnähe Inklusionsplätze.

Köln – Für Kinder und Eltern der Kölner Viertklässler waren die letzten Monate des Schulanmeldeverfahrens belastend: Aber am Ende habe man auch denen, die bis zum Schluss noch keinen Platz hatten, einen Platz an einem Gymnasium in „zumutbarer Entfernung“ vermitteln können, hatte die Stadt verkündet. Als zumutbar definierte die Stadt einen Schulweg von 30 Minuten pro Strecke.

Eva-Maria Thoms versteht die Riesenwut der Gymnasialeltern in Bezug auf das Anmeldeverfahren und die langen Schulwege. „Aber für Familien mit Inklusionskindern ist das Alltag. Jedes Jahr wieder. Und da redet keiner drüber, weil sie sich nicht so lautstark wehren“, konstatiert Thoms, die als Sprecherin des Vereins „Mittendrin“ Kölner Familien seit vielen Jahren beim Thema Inklusion berät.

Betroffene Kinder müssen teilweise durch ganz Köln

Die betroffenen Kinder müssten sogar teilweise noch viel weitere Wege quer durch die Stadt zurücklegen – ohne aufgrund ihrer Einschränkung dazu in der Lage zu sein. Darum soll zum Abschluss des leidigen Themas Anmeldeverfahren der Fokus auch nochmal ausdrücklich auf diese Gruppe gerichtet werden. Denn: Der Kampf darum, einen Inklusionsplatz an einer Gesamtschule in bewältigbarer Nähe zu bekommen, ist mit Glücksspiel nur unzureichend beschrieben - weil es in Köln viel zu wenig Inklusionsplätze an Gesamtschulen gibt und gleichzeitig die Zahl der Kinder mit Förderbedarf immer weiter zunimmt. Es ist inzwischen jedes zehnte Kölner Kind. Tendenz weiter steigend.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die erste Ungerechtigkeit besteht darin, dass die betroffenen Familien vom vermeintlichen Vorteil der Mehrfachanmeldungen nicht profitieren konnten. Inklusionskinder, die an mehreren Gesamtschulen in vertretbarer Nähe angemeldet wurden, hatten dort nicht einfach überall die gleichen Chancen.

Denn: Einen bevorzugten Anspruch auf einen Platz gibt es in Köln für Inklusionskinder nur für die räumlich am nächsten gelegene Gesamtschule. Ein Beispiel zeigt, was das in der Praxis bedeutet: In diesem Jahr haben sich 40 Kinder mit Inklusionsbedarf an der Ehrenfelder Heliosschule angemeldet. Die hatte aber nur zwölf Plätze für Inklusionskinder. Die 28 anderen haben eine Absage bekommen – das entspricht 70 Prozent der dort angemeldeten Inklusionskinder. Unter ihnen etliche, für die eben genau die Heliosschule die nächstgelegene Schule war.

Viele Absagen für Inklusionsplätze in Köln

Selbst wer von ihnen dann zum Beispiel zusätzlich noch an der von dort aus nächstgelegenen Gesamtschule Wasseramselweg in Vogelsang angemeldet war, hatte nur sehr geringe Chancen. Denn dort kamen ja auch erstmal nur die zum Zuge, für die wiederum der Wasseramselweg die nächstgelegene Gesamtschule war. Von daher hagelte es auch hier Absagen für Inklusionskinder.

In diesem Jahr bekamen von den 389 an einer Gesamtschule angemeldeten Inklusionskindern nach Angaben der Bezirksregierung 121 keinen Platz auf einer Gesamtschule angeboten. Das ist knapp ein Drittel. Aber für viele von denen, die einen Platz angeboten bekamen, war dieser eben nicht an der nächstgelegenen Gesamtschule. Nicht selten wurden sehr weit entfernt liegende Plätze im Stadtgebiet zugewiesen. „Da gibt es Familien, die ihre Kinder auf die andere Rheinseite bringen sollten oder die quer durch die Stadt fahren müssten“, sagt Thoms. Dass am Ende alle Kinder – unter Einbeziehung der Real- und Hauptschulen – einen Platz an einer Kölner Schule angeboten bekommen haben, löst das Problem ihrer Ansicht nach nicht.

Keine Chance auf Fahrdienst für benachteiligte Kinder in Köln

Denn: Der Großteil dieser Kinder hat aufgrund seiner Beeinträchtigung überhaupt keine Chance, den Weg allein in öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Ein Fahrdienst zu einer Regelschule werde von der Stadt für die betreffenden Kinder in aller Regel nicht bewilligt, beklagt Thoms. Früher habe die Stadt das großzügiger ausgelegt. Aber das sei vorbei, da das Land NRW wohl die Maßgabe ausgegeben habe, dafür kein Geld mehr auszugeben. „Allenfalls die alleinerziehende in Vollzeit beschäftigte Mutter im Schichtdienst, die morgens um 7 oder 8 Uhr ihren Dienst antreten muss und kein Auto besitzt, hat vielleicht eine Chance.“ Oder aber, wenn die zeitliche Entfernung, die sie ihr Kind zur Schule fahren muss, deutlich mehr als 45 Minuten pro Strecke betrage. Das werde über Google Maps ganz minutiös ermittelt – aber natürlich ohne das Einkalkulieren von Berufsverkehr.

Viele Familien könnten das tägliche Bringen und Holen mit dem Auto quer durch die Stadt schlicht zeitlich und organisatorisch nicht leisten. Ihr einziger Ausweg: Die Anmeldung an einer Förderschule. Da gibt es standardmäßig den Anspruch auf einen Fahrdienst, der die Kinder morgens holt und nachmittags bringt. Selbst viele, die es zunächst auf einer weit entfernten Gesamtschule versuchen würden, zögen „angesichts der immensen Belastung durch das Bringen und Holen irgendwann die Reißleine und wechseln auf die Förderschule.“ Ihr Fazit: „Man gibt vor, Inklusion vorantreiben zu wollen. Aber in der Realität tut man nichts dafür, sie auch zu ermöglichen.“