Besuch im Museum Schnütgen in KölnSind Engel Transgender-Wesen?
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In ihrer Serie „Auf den Punkt” legt die Ex-Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner regelmäßig in die Wunde, prangert Bausünden und Schlampereien im Kölner Stadtbild an.
Über das Geschlecht von Engeln lässt sich trefflich streiten, aber nicht über ihre Schönheit.
Ein Besuch im Museum Schnütgen in Köln.
Köln – Ich bin kulturentwöhnt. Ich möchte endlich wieder über etwas anderes reden als über Missbrauch und Corona. Und ich bin voller Tatendrang. Für Leserinnen und Leser, denen es ähnlich geht, ist diese Kolumne gedacht – und dazu auch als Einladung ins Museum Schnütgen, das nicht nur eine wunderbare Sammlung beherbergt, sondern auch angenehm temperiert ist.
Als Thema habe ich „Engel“ gewählt. Auch Menschen, die es mit dem Christentum nicht so haben, sind Engel etwas Vertrautes. Schon in der alttestamentlichen Überlieferung haben Engel verschiedene Aufgaben: Als Boten Gottes überbrücken sie die Distanz zwischen Himmel und Erde. Als dienstbare Geister bilden sie den himmlischen Hofstaat, das Gefolge am Throne Gottes. Als Streiter treten sie für Gottes Sache ein.
Jeder Mensch hat einen Engel
Für das hierarchische Denken des Mittelalters war es selbstverständlich, dass auch die himmlischen Scharen streng geordnet und nach Rang gegliedert sind. An der Spitze stehen namentlich genannte Erzengel mit jeweils einer Spezialaufgabe: Gabriel ist als Verkündigungsengel unterwegs. Michael tritt als Kämpfer gegen Satan auf. Raphael wiederum ist als Begleiter des Tobias im alttestamentlichen Buch Tobit der Urtyp des Schutzengels. Ich finde die Vorstellung der christlichen Frömmigkeit ja ausgesprochen tröstlich, dass jeder Mensch einen Engel als Behüter hat. Und jemanden, der auf einen aufpasst, kann man in Zeiten von Corona nun wirklich gebrauchen.
Auf den Spuren der Engel im Museum Schnütgen gehen Sie am besten erst einmal quer durch die Sammlung und ganz hinten ins Gebäude der ehemaligen Basilika Sankt Cäcilien. In der ersten Apsis-Vitrine rechts zeigt das „Harrach-Diptychon“ aus der Zeit Karls des Großen (747/748 bis 814), eines der ältesten und schönsten Exponate der gesamten Sammlung, Engel in verschiedenen Funktionen: den Erzengel Gabriel mit dem antiken Botenstab bei der Verkündigung an Maria; einen Schutzengel hinter der Krippe in der Weihnachtsszene. Interessant ist, dass die Engel auf den Elfenbein-Tafeln bereits geflügelt sind. In den ersten Jahrhunderten war der christlichen Kunst diese Form der Darstellung nicht geläufig.
Nur wenige Meter entfernt im Kirchenschiff sehen Sie zwei wunderschöne Cherubim aus dem frühen 13. Jahrhundert. Sie stehen auf Rädern, was auf den Thron Gottes verweist, der vom Propheten Ezechiel im Alten Testament als durch die Luft rollender Wagen beschrieben wird. Sehr gut sichtbar sind die an den Körper angelegten Flügelpaare.
Zarte, geflügelte Wesen beweinen die Toten
Einen Erzengel Michael ohne Flügel, aber als idealen christlichen Ritter im Kampf mit einem Drachen können Sie am Abgang zur Krypta links bewundern. Die Rüstung der auffallend schlanken Engelsgestalt ist besonders detailreich wiedergegeben. Man sieht die Schnallen für die Rüstungspartie, die Becken und Oberschenkel schützen soll. Unter dem Panzer schaut das Kettenhemd hervor. Der Schild ist allerdings etwas klein ausgefallen, das Schwert abgebrochen.
Dass Flügel zum heute gängigen Bild von Engeln gehören, hat auch mit dem Motiv der antiken „Genien“ zu tun. Sie spielen eindeutig in die Gestaltung vieler Grabmäler des 19. Jahrhunderts – etwa auf Melaten – hinein, wo zarte, geflügelte Wesen die Toten beweinen.Gefühle zeigen Engel in der christlichen Kunst übrigens erst ab dem Hohen Mittelalter. Beim Tod eines Menschen – insbesondere natürlich beim Kreuzestod Jesu – weinen sie. Bei der Geburt oder anderen fröhlichen Ereignissen geben sie ihrer Mitfreude Ausdruck, indem sie zum Instrument greifen. Musizierende Engel sind eine Erfindung des 14. Jahrhunderts. An den Chorpfeilern des Doms zum Beispiel haben wir gleich ein ganzes Engelsorchester. Auch im Museum Schnütgen begegnen Sie diesem Engelstyp häufig.
Kinderengel, um noch eine weitere Darstellungsform zu nennen, kommen ebenfalls erst vergleichsweise spät in Mode. Spätgotische Altäre zeigen sie in der Begleitung älterer Engel, aber auch beim Herumtoben und Faxenmachen – wie das bei Menschenkindern auch so ist. Die Renaissance fügt dann das antike Motiv des Putto hinzu: Fortan können Kinderengel auch nackt sein. Durch Raphaels „Sixtinische Madonna“ haben sie es zu Weltruhm und zum Kitschmotiv gebracht. Noch weiter reduziert, sieht man von diesen Putti am Ende nur mehr den Kopf, umgeben von einem Flügelpaar.
Über die Frage, welchen Geschlechts so ein Engel sei, haben mittelalterliche Theologen trefflich gestritten. Ich finde ja die Vorstellung, dass Engel Transgender-Wesen sind, in mehrfacher Hinsicht spannend. Das könnte sogar manche Verkrampfung in kirchlichen Debatten lösen.
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Machen Sie sich einmal den Spaß und überlegen Sie, ob die Prachtengel mit ihren üppigen Locken am Treppenaufgang zur Empore rechts nun Jünglinge oder doch junge Frauen sind. Ich wüsste es nicht zu sagen, auch wenn die beiden in Diakonengewänder und schwere Chormäntel gehüllt sind – wie Geistliche der Barockzeit. Da erinnert gar nichts mehr an die Antike oder das Alte Testament. Die farbliche Fassung hat sich wunderbar erhalten. Das sanfte Wangen-Rouge ist einfach hinreißend.
Im Nebenraum der Empore stoßen sie dann noch auf eine wunderbare Neuerwerbung des Museums: zwei Vierpässe aus Alabaster aus der Zeit um 1400. Mit höchster Fertigkeit als Hochrelief aus dem Stein geschlagen, kommt der Verkündigungsengel bei der Jungfrau Maria geradezu hereingerauscht – ein sensationell schönes Stück! Allein dafür lohnt sich der Besuch bei den Engeln. Bleiben Sie bis dahin gut behütet!