Kölner Lokalbetriebe in der KriseNaturkostladen findet praktische Zwischenlösung
Köln – Lebensmittellieferdienste gewinnen in Zeiten des Coronavirus völlig neue Bedeutung, sie haben plötzlich Hochkonjunktur. Bequem, kontaktlos, stressfrei, die perfekte Lösung für alle die, die auf Außenkontakte weitestgehend verzichten müssen oder möchten. Doch der Lieferservice der großen Supermärkte hat einen kleinen Schönheitsfehler: Der Kunde muss Waren für einen zweistelligen Mindestbetrag bestellen, sonst wird es für den Händler unrentabel.
Diese Vorbedingungen machen die Bestellung für Alleinstehende oder ältere Menschen oftmals unmöglich und so sind sie schnell aus dem praktischen Lieferservice raus. Für den Kölner Süden ist das jetzt anders. Der Naturkostladen Vita Verde aus Rodenkirchen hat diese Lücke erkannt und beliefert ab sofort auch Kunden, die vielleicht nur ein Kilo Kartoffeln und drei Orangen brauchen.
Kölner Naturkostladen liefert klimaneutral
Und: Die Lieferung ist nicht nur kostenfrei, sondern auch noch klimaneutral, denn die Ware kommt per Rad bis vor die Haustür. „Ich bin im Netz auf den Hashtag #NachbarschaftsChallenge gestoßen. Auf dieser Plattform, die eine Wienerin gegründet hat, suchen viele Menschen in Corona-Zeiten nach Hilfe und andere, die gerne helfen, bieten ihre Dienstleistungen an. Diese Idee fand ich sehr gut, deshalb habe ich sie spontan meinem Chef vorgestellt. Und das mit Erfolg: Seit Montag letzter Woche kann sich jeder, der sich unsicher fühlt und Sorge hat aus dem Haus zu gehen, an uns wenden.
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Wir liefern in einem Umkreis von fünf Kilometern, in die Südstadt, nach Sürth, Rondorf und Weiß,“ sagt Constance Thomson, die bei Vita Verde für den Online-Handel zuständig ist. Für diesen kostenfreien Lieferservice per Fahrrad stehen sechs Mitarbeiter zur Verfügung und bei Bedarf würde auch der Chef, Basile Teberekides, in die Pedale treten. Bezahlen kann man in bar bei Lieferung an der Haustür, oder per Überweisung, wenn eine kontaktlose Bezahl-Variante bevorzugt.
Wein und Oliven kommen mit dem Rad
Zu kaufen gibt es im Vita Verde neben griechischem Olivenöl, Oliven, Trockenfrüchten und Wein aus kontrolliertem biologischen Anbau, auch Bio-Gemüse und Obst aus der Region.
„Das ist unser kleiner Beitrag der Solidarität in diesen schwierigen Zeiten. Wir möchten die belastende Situation für die älteren Rodenkirchener etwas entschärfen, ihnen ein praktikables Lieferangebot machen“, so die 28–jährige Thomson.
Lindenthaler Händler sind erfinderisch
Auch Lindenthaler Geschäftsleute haben sich etwa einfallen lassen, um die Corona-Krise zu meistern. Das Spielwarengeschäft Rabe etwa liefert die gewünschten Produkte nach Hause. Die Edel-Second-Hand- und Abendmode-Boutique Cologne Couture bietet einen Lieferservice für „Stay-home-wear“, frisch gewaschene oder gereinigte Kleidung die kostenfrei zur Anprobe geliefert wird.
Was nicht passt, holen Mitarbeiter auch wieder ab. Inhaberin Bettina Spillmann bietet ihren Kunden auch an, per Facetime Klamotten zu zeigen, die sie ihnen bringen kann. Wenn sie sich entschieden haben, was sie behalten wollen, können sie per Banküberweisung bezahlen.Die Goldschmiedemeisterwerkstatt Ingo Telkmann an der Landgrafenstraße bietet einen Schmuckservice-Notdienst.
Wenn beispielsweise eine Lieblingskette gerissen oder Ring zu groß, holen Mitarbeiter den reparaturbedürftigen Schmuck für eine Gebühr von 9,90 Euro ab und bringen ihn spätestens nach zwei Tagen wieder zurück. Ab einem Auftragswert von 50 Euro ist die Lieferung kostenfrei.
Auch viele andere Geschäftsleute im Viertel bietet einen Lieferservice an. Um welche Geschäfte es sich genau handelt, steht auf der Homepage. (se)
Mülheimer Cafébetreiber mit großer Existenzangst
Keine Gäste, kein Umsatz. So einfach lautet die Formel, auf die zahlreiche Besitzer von Bars, Kneipen und Restaurants ihre Situation derzeit herunterbrechen können. Die Gastronomen leiden besonders unter den aktuellen Einschränkungen des sozialen Lebens aufgrund der Coronavirus-Pandemie. Denn „Geselligkeit ist die Basis unseres Geschäfts“, formuliert etwa Andreas Herzog, Betreiber des Musikcafés „Limes“ an der Mülheimer Freiheit, das offensichtliche Problem.
Ihm und seiner Partnerin Nina Kos ist bewusst, dass alle Menschen unter „Covid 19“ und seinen Auswirkungen leiden. Die massiven Einschränkungen, das von Kanzlerin Merkel geforderte „möglichst weitreichende Zurückfahren aller sozialen Kontakte“ bedeuteten für die beiden ebenso wie für hunderte andere Lokal-Inhaber in ganz Köln allerdings sehr schnell eine existenzielle Bedrohung. „Bei uns finden oft Livekonzerte, Tischkicker-Turniere und Poetry-Slams ebenso wie gesellige Familien-Nachmittage mit Kaffee und Kuchen statt“, führt Herzog weiter aus, „es gibt hier in Mülheim nicht allzu viele Ausgeh-Angebote und weil wir uns nicht in Köln-Hahnwald befinden, verhandeln wir seit zwölf Jahren hart, damit jeder sich ein Bier bei uns leisten kann.“
„Wie es weitergeht, ich weiß es nicht“
Diese enge Verzahnung des Kneipenbetriebs mit Kulturangeboten als Konzept war nie einfach, so der 52-Jährige. „Wie es weitergeht, ich weiß es nicht“, räumt Herzog ein. Für Kos und Herzog sowie für viele Läden dieser Art und Größe sei es „ein Drahtseilakt, Rücklagen zu bilden. Jedes Jahr ist eine neue Herausforderung“, sagt Herzog, auch ohne Corona. Er habe zwar Verständnis für die beschlossenen Schutzmaßnahmen, hoffe aber momentan einfach darauf, dass sich die Situation bald wieder normalisiert, „auch wenn es danach erst mal nicht aussieht“, so der Gastronom.
Es gibt allerdings auch Versuche, Läden wie das „Limes“ in dieser besonderen Zeit nicht allein zu lassen. So haben die enge Vernetzung im Veedel und der persönliche Kontakt zu vielen Stammkunden dazu geführt, dass Freunde und „treue Gäste“ ein Spendenkonto für das Lokal eingerichtet haben, berichtet Nina Kos. Hilfsinitiativen sind auch für mehrere Läden im gesamten rechtsrheinischen Köln ins Leben gerufen worden.
Wertmarken und Gutscheine als Zwischenlösung
In Kalk bieten seit einigen Tagen unter anderem die „Hopla Bar“ an der Steprathstraße, das „Nobiko“, ein veganes japanisches Restaurant an der Josephskirchstraße, aber auch die Restaurant-Kneipe „Trash Chic“ an der Wiersbergstraße oder das kleine Kino „Lichtspiele Kalk“ an der Kalk-Mülheimer-Straße Wertmarken an, die Gäste ab fünf Euro oder mehr als Gutscheine im Internet kaufen können. „Nach der Wiedereröffnung können sie dann eingelöst werden“, sagt Resul Toprak, langjähriger Betreiber des Hopla „Uns liegt es fern, um Almosen zu bitten. Nicht nur wir müssen uns um unsere Existenz sorgen“, teilt Toprak in einem Rundbrief mit. Trotzdem seien gerade die kleinen Betriebe der Szene besonders betroffen.
Eine weitere Möglichkeit, sogar stadtweit geliebte Läden, Bars und Clubs zu unterstützen, hat sich der im Kölner Kulturbetrieb seit Jahren aktive Andree Böhle ausgedacht. Seine Initiative unter dem Titel „Be My Quarantine“ verfolgt die Idee, einen gemeinsamen Verkauf von Solidaritäts-T-Shirts und anderen Produkten unter einem gemeinsamen Banner zu schaffen, bei dem die Kunden beim Bestellvorgang definieren können, dass das Geld ihrem Lieblingsladen zugute kommt.
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„Die grundsätzliche Idee ist, eine Datenbank mit Designs unter dem Slogan „Be my Quarantine – Support your local scene“ zu erstellen, mit denen dann jeder Betroffene eigene Artikel herstellen und verkaufen kann, um die finanziellen Auswirkungen der Krise abzufedern“, erläuterte Böhle, in Köln besser bekannt als „Friese“, kürzlich dem Musikmagazin „Visions“ das Konzept.Beim Design der Soli-Shirts können Kunden zwischen verschiedenen Vorlagen wählen und beim Bestellprozess angeben, wen sie unterstützen möchten. Mitmachen können bei „Be my Quarantine“ alle interessierten Betreiber und Läden Kölns.
Im Fall des „Limes“ würde dann etwa noch ein Logo der Bar als Nackenprint aufgedruckt, erläutert Andreas Herzog, der sich dort bereits angemeldet hat. „Eine gute Aktion, die wirklich etwas bewirken kann - danke dafür!“, sagt der Wirt aus Mülheim. „Jeder, der uns kennt, weiß, dass es uns echt schwer fällt, um Hilfe von außen zu bitten. Egal welche Krise, bisher haben wir es immer geschafft, die Kurve zu kriegen. Doch was jetzt schon klar ist, egal wie das hier aus geht, aus eigener Kraft schaffen wir es diesmal nicht.“
Solidarität für den Akazienhof
Eigentlich haben Michael und Sonja Esser alles richtig gemacht. Die wirtschaftliche Existenz der vierköpfigen Familie steht auf drei Säulen, doch das Coronavirus kann offensichtlich auch recht stabile Fundamente kaputt machen. „Uns hat es gleich dreimal getroffen“, sagt der 38-jährige Chef des Akazienhofs in Grengel.
Nach der Schließung von Kitas und Schulen brach die verlässliche Auslieferung von 360 Essen pro Tag weg. Ein paar Tage später wurden die Gaststätten geschlossen. Esser musste 18 Veranstaltungen absagen, darunter eine große Hochzeit.Zuletzt machten die Behörden das Hotel dicht, erst für Touristen, dann auch für Geschäftsreisende. „Wir sind von Hundert auf Null gestürzt.“ Wenn ihn jemand frage, wie es morgen weiter geht, könne er nur antworten: „Ich denke nur noch von Tag zu Tag.“
Viele Kosten laufen weiter
Seine Frau und er hätten „jede Minute Existenzangst“, man schlafe nicht mehr und grübele nur noch darüber nach, wie man über die Runden kommen könnte. Heizung und Wasser sind abgestellt, private Sparverträge zur Altersvorsorge gekündigt, für Angestellte wurde Kurzarbeit beantragt und auch mit dem Vermieter wurde eine gute Vereinbarung geschlossen. Er hat die Miete reduziert und noch dazu gestundet. „Das ist eine Riesenhilfe. Er will uns nicht verlieren.“
Und doch: Viele Kosten laufen weiter. Wie und wie lange sie bezahlt werden können, ist unklar. „Wir hoffen, dass wir irgendwie aus der Nummer raus kommen.“ Der Akazienhof ist eine Institution in Porz, Stammlokal für mehrere Karnevalsvereine und die Ortsgemeinschaft. Hier schaut man FC-Spiele und feiert Karneval, Oktoberfest und vieles mehr. „Wir sind eine Kultureinrichtung“, sagt Esser selbstbewusst. Jahrelang habe man sich mit der „Kulturförderabgabe“ herumschlagen müssen, die Hoteliers in Köln von ihren Gästen kassieren und an die Stadt abgeben müssen. Nun sei es an der Zeit, dass die Stadt auch die kulturelle Arbeit der Gastronomie anerkenne.
Es ist nicht die einzige Idee, die er zur Entlastung hat. Steuersenkungen, Zuschüsse und vor allem unbürokratische, einfache Verfahren seien wichtig. Kredite, die zugesagt werden, würden nicht helfen. „Das heißt nur, dass man den Galgen etwas später aufstellen kann. Was jetzt weggebrochen ist, holen wir nicht mehr rein.“ Michael Esser befürchtet, dass „für die Großen Pakete geschnürt werden“ und die kleinen Unternehmen „Kanonenfutter“ und „Bauernopfer“ werden. Das gelte auch für die Stadt Köln, die eine Senkung von Steuervorauszahlungen angeboten hat. „Da kriege ich die Wut. Wir sollen unsere Vorauszahlungen senken. Wir können überhaupt keine Steuern mehr zahlen.“
Gastronomie in Köln am Limit: „Jeder Cent zählt“
Doch neben Verzweiflung, Frust und Wut kann man in diesen Tagen im Akazienhof wie auch in anderen Lokalen der Stadt auch sehr positive Regungen spüren. „Wir erleben sehr viel Solidarität“, berichten die Essers. Aushilfen hätten angeboten, auf Gehalt zu verzichten, wenn sie wieder öffnen könnten. Auch der Zuspruch aus den Vereinen, deren „Stammquartier“ der Akazienhof ist, mache Mut. Das habe animiert, etwas Neues auszuprobieren. Auch im Akazienhof gibt es nun ein tägliches Essensangebot. Man kann Vorbestelltes abholen oder es sich innerhalb von drei Kilometern von einem „Schnitzel- und Burger-Taxi“ vorbeibringen lassen.
Vor einer Woche habe man zusammen gehockt und überlegt, was man machen kann. Mit Flyern und Postings im Internet wurde Werbung gemacht, sodass es bereits am nächsten Tag losgehen konnte. Esser klopfte mit seiner elfjährigen Tochter 40 Schnitzel, die dann von 17 bis 20 Uhr am Nebeneingang unter strengen, selbst auferlegten Hygienevorschriften ausgegeben wurden. „Es ist richtig, dass die Leute ihre Kontakte zurückfahren. Aber dieser kleine Kontakt ist für uns überlebenswichtig, weil jeder Cent zählt.“