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„Sehnlichst den Tod herbeigewünscht“Tochter spritzt Mutter Überdosis Insulin – Vier Jahre Haft

Lesezeit 3 Minuten

Die beschuldigte Krankenpflegerin und Schöffin mit ihrem Verteidiger Christoph Grabitz im Landgericht Köln stärker gepixelt

Weil sie das Leben ihrer demenzkranken Mutter unwürdig fand, hat eine 62-Jährige versucht, sie mit Insulin zu töten. Einen Mordversuch konnte das Gericht darin nicht erkennen.

Versuchter Mord an der demenzkranken Mutter – so lautete der Vorwurf, für den einer 62-jährigen Frau vor dem Kölner Landgericht der Prozess gemacht worden ist. Am Mittwoch war davon keine Rede mehr. Die 5. Große Strafkammer unter Vorsitz von Peter Koerfers verurteilte die Angeklagte wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu einer vierjährigen Haftstrafe. Der Staatsanwalt hatte vor zweieinhalb Wochen sechs Jahre Freiheitsentzug beantragt und zur Begründung unter anderem gesagt: „Sie hat sich sehnlichst den Tod der Mutter herbei gewünscht.“

Kühles Verhältnis, aber Tochter kümmerte sich

Die Verurteilte, die mehrere Kinder hat, war über 30 Jahre lang in der ambulanten und dann stationären Pflege tätig. Für ihre Mutter sei sie als Einzelkind die „engste Bezugsperson“, sagte Koerfers. Zwar seien zwischen den beiden Frauen Spannungen aufgekommen, und eine gewisse Kühle habe das Verhältnis bestimmt, doch stets habe sich die Tochter um die Mutter gekümmert. 2009 setzte deren Demenz ein. „Es fiel ihr schwer, den Abbau der Mutter zu erleben. Sie entwickelte eine innere Distanz“, so Koerfers.

Ende 2022 zog die Mutter, die zwei Suizidversuche unternommen hatte, in ein Pflegeheim ein. Dort ließ sie sich nach Überzeugung des Gerichts gehen, „schimpfte laut, bedrohte Mitpatienten und Pflegepersonal“. 2018 hatte sie eine Patientenverfügung unterschrieben, die allerdings wenig konkret war.

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Frau äußerte Gedanken von „Lebensüberdruss“

Im Prozess hatten mehrere Zeugen ausgesagt, die Frau habe wiederholt „Lebensüberdruss“ geäußert. In anderen Momenten äußerte sie, sie würde gerne noch schöne Tage erleben. Den Verfall der Mutter vor Augen, habe die Angeklagte im Herbst 2023 entschieden, die Demente zu töten – aus Mitleid wegen des „erbärmlichen Zustands der Mutter“, wie es in der schriftlichen Einlassung der 62-Jährigen heißt.

Nicht aufgeklärt wurde, ob die 62-Jährige, die als Pflegekraft Zugang zu Medikamenten hatte, ihrer Mutter schon am 3. September 2023 Insulin injizierte. Die Mutter überstand den hypoglykämischen Schock. Danach googelte die Angeklagte nach einschlägigen Informationen, etwa zum „idealen Mord“ mit Insulin. In diesem Fall wurde das Verfahren eingestellt.

Die Kammer geht davon aus, dass die Pflegerin später in einer Vase für Trockenblumen, die im Zimmer stand, Insulin-Pods deponierte. Als sie bei einem Besuch Mitte Januar dieses Jahres die Mutter in einem anscheinend desolaten Zustand vorfand, ahnte sie offenbar nicht, dass die Patientin vorher vom Personal Beruhigungsmittel bekommen hatte. Da sei sie zur Tat geschritten, hieß es in der Urteilsbegründung. Die heute 88 Jahre alte Mutter erlitt eine lebensbedrohliche Unterzuckerung, Krampfanfälle, kam in eine Klinik– und überlebte.

Mit Blick auf die Debatte über Sterbehilfe und Tötung auf Verlangen hob Koerfers hervor, entscheidend komme es auf Selbstbestimmung und Eigenverantwortung an, auf die Fähigkeit zum reflektierten Abwägen. Der Sterbewille müsse klar erkennbar, dauerhaft und gefestigt sein. Genau dies sei bei der hochgradig dementen Frau nicht der Fall gewesen. Das habe die Angeklagte in ihrer Beschuldigtenvernehmung selber eingeräumt.