Zwei Menschen waren 2009 bei dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln ums Leben gekommen.
Vier AngeklagteLandgericht stellt Verfahren zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs vorläufig ein
Die strafrechtliche Aufarbeitung eines der größten Unglücke in den vergangenen Jahrzehnten in Köln steht kurz vor dem Abschluss. Im Zusammenhang mit dem Einsturz des Historischen Stadtarchivs hat das Landgericht Köln die Strafverfahren gegen die Zahlung von Geldauflagen vorläufig eingestellt. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die vier verbliebenen Angeklagten haben die hierfür erforderliche Zustimmung erteilt, wie das Gericht am Dienstag, 6. August, mitteilte.
Sollten die Angeklagten die Auflagen erfüllen und das Geld zahlen, stellt das Landgericht die Strafverfahren endgültig ein. Eine erneute Hauptverhandlung fände dann nicht mehr statt, heißt es weiter. Der Bundesgerichtshof hatte 2021 die Urteile gegen vier Beschuldigte aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurück an das Landgericht Köln verwiesen.
Archiv-Einsturz Köln: Strafverfahren vorläufig eingestellt
Am 3. März 2009 war es bei Bauarbeiten für die Nord-Süd-Stadtbahn zum Einsturz des Stadtarchivs sowie zweier Häuser gekommen. Dabei kamen zwei Menschen zu Tode. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von 1,2 Milliarden Euro. Zudem kam das Trümmerfeld am Waidmarkt einer kulturellen Katastrophe gleich. Viele Urkunden, Briefe und andere Dokumente der Stadtgeschichte wurden verschüttet und teilweise zerstört.
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Einer der beiden Männer, die vor 15 Jahren ums Leben kamen, war Marvin Pagels Halbbruder Kevin. Pagel sagt am Dienstag zur Entscheidung: „Ich kann verstehen, dass das Gericht das Verfahren beenden möchte, aber angesichts der Länge des Verfahrens empfinde ich diese Lösung als nicht ganz gerecht. Es wirkt wie die einfachste Lösung. Angesichts der langen Zeit hätte man sich jetzt auch die Zeit nehmen können für die Aufklärung.“
Bis heute ist der Einsturzort eine Dauerbaustelle, die geplante U-Bahn fährt immer noch nicht. Auch die juristische Aufarbeitung des Geschehenen zieht sich schon mehr als 15 Jahre hin. 2017 legte die Anklage der Staatsanwaltschaft den Bauleitern L. und G. zu Last, dass sie deutlichen Hinweisen auf Mängel beim Bau einer Schlitzwand nicht nachgegangen seien. Dadurch sei die Wand undicht gewesen und große Wasser- und Bodenmassen gerieten in die Baugrube. Das hatte fatale Konsequenzen: Die Erde sackte ab und das Archiv und das Nachbargebäude stürzten ein.
Zudem wurde der Bauüberwacher A. angeklagt, durch Unterlassen fahrlässig den Tod der zwei Hausbewohner herbeigeführt zu haben. Er habe unter anderem Fehler bei der Herstellung einer Schlitzwand erkennen müssen, hieß es damals.
In einem ersten Prozess 2018 hatte das Gericht die beiden Bauleiter vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen freigesprochen. Demnach haben sie zwar ihre Sorgfaltspflichten missachtet, die festgestellten Pflichtverletzungen sind laut Gericht für den Einsturz der Gebäude und den Tod der beiden Menschen jedoch nicht ursächlich gewesen. Es verurteilte den Bauüberwacher zu acht Monaten auf Bewährung.
In einem zweiten Prozess verurteilte das Gericht den Angeklagten H. 2019 wegen fahrlässiger Tötung zu einer einjährigen Bewährungsstrafe. Als Oberbauleiter und Urlaubsvertreters des Bauleiters habe er laut des Urteils bei der Errichtung der Schlitzwand seine Sorgfaltspflichten verletzt.
Archiv-Einsturz in Köln: Bundesgerichtshof hebt Urteile auf
Nachdem die Staatsanwaltschaft Revision gegen die zwei Freisprüche eingelegt hatte, hob der Bundesgerichtshof am 13. Oktober 2021 nicht nur diese Urteile auf, auch die Verurteilungen der beiden anderen Angeklagten wurden aufgehoben. Der Bundesgerichtshof bezeichnet sich als die Spitze der Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte. Der Bundesgerichtshof urteilte, das Landgericht habe maßgebende Umstände außer Betracht gelassen – vor allem die gehäufte Zahl an Zwischenfällen auf der Baustelle sowie die fehlende Abstimmung unter den Abteilungen bei dem Prozess gegen die beiden Bauleiter L. und G.
Durch die nun veröffentlichte Entscheidung des Landgerichts müssen L. und G. jeweils 5000 Euro zahlen, H. und A. jeweils 2000 Euro. Doch dazu kommen weitere Kosten. Demnach sollen die vier Angeklagten jeweils seine Verteidiger selbst zahlen und auch die Kosten der Nebenkläger übernehmen – letztere betragen nach aktuellem Stand mehr als 58.000 Euro.
Die Kosten für das Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof sind aber noch nicht eingerechnet, die Summe wird also noch steigen. Die mehr als 58.000 Euro werden aber laut eines Gerichtssprechers nicht zu gleichen Teilen auf die vier Angeklagten verteilt, weil die Verfahren eine unterschiedlich hohe Anzahl an Nebenklägern und damit Kosten hatten.
Zur mutmaßlichen Höhe, die die vier Angeklagten jeweils zahlen müssen, schreibt das Gericht: „Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die individuellen Zahlungsverpflichtungen der Angeklagten jeweils einen mittleren fünfstelligen Betrag erreichen werden.“
Die Geldauflagen erhält der Förderverein des Archivs, sein stellvertretender Vorsitzender Werner Grosch sagte: „Natürlich ist es großartig, dass das Geld über den Förderverein dem Archiv zugutekommt.“
Laut Gericht könne den vier Beschuldigten „lediglich eine mittelbare Verantwortlichkeit für die Havarie der Baugrube zum Vorwurf gemacht werden“. Auch die Ausführungen in den Verfahren sämtlicher Sachverständiger seien den vier Angeklagten bei der Frage nach möglichen Überwachungsfehlern zugute gekommen.
Für die unmittelbare Schadensursache werden demnach zwei weitere ehemalige Mitangeklagte verantwortlich gemacht, ein Baggerfahrer und ein Polier. Sie hätten das bei der Errichtung der Schlitzwand „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit schadensursächliche Hindernis“ nicht beseitigt und die Bauleitung und Bauüberwachung „bewusst getäuscht“. Bei diesem „Hindernis“ handelte es sich um einen Steinblock mit einem Durchmesser von 60 Zentimetern.
Der Baggerfahrer ist inzwischen verstorben; der Polier erkrankte während der Hauptverhandlung 2018 so stark, dass er verhandlungsunfähig wurde. Die ihm vorgeworfene Tat ist dadurch verjährt. Das Gericht begründet seine Entscheidung unter anderem damit, dass das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung gesunken sei: Der Einsturz liege mehr als 15 Jahre zurück und die Frage nach der technischen Ursache sei hinreichend aufgeklärt worden.
Noch ist die Einstellung nur vorläufig, erst in einem weiteren Beschluss stellt das Gericht das Verfahren ein – und zwar wenn die vier Angeklagten ihre Geldauflagen bezahlt haben. Laut eines Sprechers des Gerichts haben sie dafür Zeit bis zum 31. Oktober. In knapp drei Monaten könnte die strafrechtliche Aufarbeitung des Archiveinsturzes also erledigt sein.
Vergleich über 600 Millionen Euro
Neben der strafrechtlichen Aufarbeitung hatte die Stadt Köln auch die Arbeitsgemeinschaft (Arge) Los-Süd auf 1,07 Milliarden Euro Schadenersatz verklagt. Die Arge hat für die Stadt die Nord-Süd-U-Bahn gebaut. 2020 einigten sich die Arge und die Stadt auf einen Vergleich über 600 Millionen Euro. Der Vergleich stellte sicher, dass der Bau weitergeht. Die Stadt ging den Vergleich „vor der Perspektive eines zeitlich nicht absehbaren, zumindest aber mehrjährigen Klagefahrens sowohl hinsichtlich des Schadensgrundes als auch der Schadenshöhe“ ein.
Damals sagte KVB-Chefin Stefanie Haaks: „Wir können jetzt wieder davon ausgehen, dass ein Ziel, 2027/2028 wieder in Betrieb gehen zu können, in greifbare Nähe kommt.“ Das hat nicht funktioniert. Laut einer Sprecherin gehen die Baubeteiligten von einer „möglichen Fertigstellung des Rohbaus“ in geschätzt etwa acht Jahren aus. Das wäre 2032.
Einen konkreten Termin kann die KVB demnach nicht seriös kommunizieren. Demnach ist noch unklar, wie lange es nach der Fertigstellung des Rohbaus noch bis zur Inbetriebnahme dauert. Möglicherweise könnte der Zeitraum durch Ausdehnung der Arbeitszeit auf eine Sechs-Tage-Woche verkürzt werden. Zur Erinnerung: Der Baustart für den Tunnel fand 2004 statt, 2011 sollte die Bahn fahren.