DiskriminierungWarum Kölner Jugendliche noch immer unter ihrem Coming-out leiden
Köln – Ihr Coming-out kam zu Hause und in der Schule nicht gut an. Als Jamie (Name geändert) ihren Eltern erklärte, dass sie lesbisch ist, reagierten diese mit Schweigen und Ablehnung. „Für meine Mutter brach eine Welt zusammen“, sagt die 16-Jährige. Der Vater ignoriert das Thema, ihr 17-jähriger Bruder wurde schon mal handgreiflich.
In der Schule reagierten Mitschüler und sogar ein Lehrer mit Spott und diskriminierenden Sprüchen. So viel Mobbing geht nicht spurlos an einer jungen Frau vorbei: Jamie verletzte sich selbst, hatte Selbstmordgedanken. Mittlerweile ist sie in Therapie.
Mobbing nach Coming-out
Ein Beispiel von vielen, wie das Jugendzentrum Anyway in einer Umfrage unter queeren Jugendlichen herausgefunden hat. Demnach wurden 58 Prozent der Befragten wegen ihres Coming-out gemobbt, 38 Prozent auf der Arbeit oder in der Schule. Jeder Vierte hat aufgrund seiner sexuellen Orientierung bereits körperliche Gewalt erfahren, die meisten durch Fremde und Mitschüler, aber etwa 25 Prozent auch durch ihre Eltern.
29,6 Prozent der Jugendlichen haben bereits einmal an Selbstmord gedacht, 17 Prozent haben versucht, sich zu töten. Die Daten wurden im Sommer 2019 unter 742 Jugendlichen erhoben, darunter 150 aus Köln. Die Umfrage gilt als nicht repräsentativ, wirft aber einen Blick auf die Lebenswelt der jungen LGBT-Szene.
Diskriminierung wegen sexueller Orientierung
„Die Zahlen haben uns nicht überrascht, sie stimmen mit vielen anderen Studien überein“, sagt Falk Steinborn, der die Umfrage durchgeführt hat. In den vergangenen Jahren habe sich wenig geändert. Tatsächlich haben etwa in einer Studie des Deutschen Jugendinstituts (2015) knapp 64 Prozent der Befragten gesagt, dass sie wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert wurden, 34 Prozent fühlten sich ausgegrenzt.
Das könnte Sie auch interessieren:
Der Leiter des Anyway, Jürgen Piger, fordert, dass in Köln das Thema queere Jugendliche bindend in die Lehrpläne aufgenommen wird. Bislang gebe es zwei Projekte vom Anyway und dem Verein Schlau Köln, die über sexuelle Vielfalt in Workshops aufklären, die selbst von Jugendlichen durchgeführt werden. Es sei aber dem Engagement einzelner Lehrer zu verdanken, wenn das Thema Eingang in den Unterricht finde. 79 Prozent der Jugendlichen sagten in der Umfrage des Anyway, das genau dies nicht im Unterricht geschehe.
Knapp 60 Prozent der queeren Jugendlichen werden gemobbt
Ähnlich äußerte sich Uwe Weiler vom Kölner Schwulen- und Lesbentag (Klust). „Mobbing macht viel in Menschen kaputt.“ Wenn knapp 60 Prozent der queeren Jugendlichen gemobbt würden, müsse auch eine Stadt wie Köln gegensteuern. Weiler, der für den Klust auch in der Stadtarbeitsgemeinschaft Lesben, Schwule und Transgender sitzt, fordert ebenfalls, die Unterrichtspläne zu ändern. „Da ist nun das Land gefragt.“ Und die Politik. „Aus den Ratsausschüssen muss jetzt Druck gemacht werden.“
Vielleicht müsste es auch mehr Einrichtungen wie das Anyway geben. Leon Gruß ist heute 19 Jahre alt, sein Coming-out hatte er mit 15. Zuvor hatte er eine schwere Zeit der Selbstfindung durchgemacht. Auf das Jugendzentrum war er auf Youtube aufmerksam geworden. Es kostete ihn viel Überwindung, das Anyway aufzusuchen. Heute arbeitet er im Thekenteam.
Kontakt zur Beratungsstelle und zu anderen queeren Jugendlichen
„Das Anyway hat mich sehr unterstützt“, sagt er. „Ich habe gesehen, dass ich nicht der Einzige bin, dem es so geht.“ Dass aber auch im vermeintlich so weltoffenen Köln queere Jugendliche mit Diskriminierung zu tun haben, erzählt er am Ende des Gesprächs.
Als er vor zwei Jahren eines Abends die Tür der Einrichtung abgeschlossen hatte, lauerten ihm mehrere junge Männer vor dem Anyway auf, beschimpften ihn und schlugen auf ihn ein. Leon Gruß konnte sich in eine Straßenbahn retten. „Ich war perplex, dass so etwas in einer Stadt wie Köln passiert“, sagt er. „Aber im Nachhinein hat auch das mich stärker gemacht.“