Das „Arsch Huh“ Konzert setzte 1992 ein Zeichen gegen rechte Gewalt. Mehr als 100.000 Menschen kamen. KStA-Chefreporter Stefan Worring erinnert sich an ein Stück Kölner Stadtgeschichte.
Legendäres Konzert gegen RechtsWie „Arsch Huh“ weit über Köln hinaus strahlte
Es ist immer so eine Sache mit der Erinnerung. Selbst wenn das Ereignis einen durchaus nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat, verschwimmen die Erlebnisse mit dem über die Jahre Gelesenen, mit immer wieder gedruckten Bildern, das subjektiv Erlebte verändert sich. Vor allem, wenn der Termin schon dreißig Jahre her ist. 9. November 1992. Chlodwigplatz, Köln. Die legendäre Kundgebung von Kölnern gegen Rassismus und Neonazis, sie endet mit einem Konzert von Kölner Musikern. Vor mehr als 100.000 Menschen, die sich von der Severinstorburg drängen bis zur Bahnunterführung der Bonner Straße, auch die Ringe und die Seitenstraßen sind überfüllt. Von der Bühne sehen die wenigsten etwas.
„Arsch huh“: Legendäres Konzert in Köln gegen rechte Gewalt
Die Situation im wiedervereinigten Deutschland war zunehmend eskaliert. Immer offener hetzten Neonazis mit ausländerfeindlichen Parolen, die Zahl gewaltsamer, rassistischer Übergriffe nahm zu. Zwischen Oktober 1990 und März 1994 wurden 6785 rechtsextremistische Gewalttaten begangen. Davon waren 2948 Sachbeschädigungen, 1475 Brandanschläge, 2307 Körperverletzungen. Seit 1990 hatten Rechtsextreme 30 Menschen getötet.
Der Musiker Rolf Lammers sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ einmal über die Situation damals: „Es gab die Brandanschläge, und es war fast so wie im Song von Wolfgang Niedecken „…un selvsverständlich wie die Wetterkaat..“. Hier fliegt ein Molotow-Cocktail, hier brennt was und da brennt was. Natürlich haben wir das registriert. Aber richtig erreicht hat uns das erst, als Nedim bei uns war.“
Angst vor Rassismus war auch in Köln Alltag
Nedim, das ist der aus der Türkei stammende Musiker Nedim Hazar und übrigens Vater von Rapper Eko Fresh, der zu Besuch ist bei seinen Musiker-Kollegen und Freunden Anke Schweitzer und Rolf Lammers und sein Herz ausschüttet. Anke Schweitzer: „Nedim fühlte sich zunehmend unwohl hier in Deutschland. Er zweifelte, ober er hier noch leben will. „Nur weil ich Türke bin, kommt irgend so ein Glatzkopf und murkst mich ab“, sagte er. „Das wurde auf einmal richtig handfest.“
Aufgewühlt von dem Gespräch beschloss das Paar, aktiv zu werden – es war die Initialzündung für das, was später als „Arsch huh, Zäng ussenander“ in die Stadtgeschichte eingehen sollte. Bei einem von Karl-Heinz Pütz organisierten Musikertreffen am 22. Oktober wurde protokolliert: „Wir haben beschlossen, ein Konzert zu geben gegen Rassismus und Neonazis. Als Termin lag der 9. November nahe, der Jahrestag der Reichspogromnacht. Die Idee war – und das ist ein wichtiger Punkt –, die Akzeptanz und das Vertrauen, das uns die Menschen in dieser Stadt entgegenbringen, dazu zu nutzen, Köln widerstandsfähiger zu machen gegen die Rattenfänger von rechts.“
„Arsch huh“: CD sollte die Konzertkosten decken
Um das Konzert zu finanzieren, wurde eine CD produziert. Die Kosten wurden damals mit etwa 70 000 Mark veranschlagt. Mit reichlich Zeitdruck im Nacken traf man sich zwei Tage später im Probenkeller von Wolfgang Niedecken, die CD nahm Formen an. Pütz, Niedecken und Tommy Engel sprachen bei Oberbürgermeister Norbert Burger und Stadtdirektor Lothar Ruschmeier vor und holten sich nach einigem Hin und Her – die Stadt bevorzugte das brachliegende Areal in Deutz, auf dem heute die Arena steht – eine Genehmigung für den Chlodwigplatz.
Es kam der 9. November, der Tag des Konzertes. Man sollte dazusagen, dass es 1992 noch keine Handys gab, also auch keine Informationen, was woanders in der Stadt los war. In meiner Erinnerung standen Karl-Heinz Pütz, der Kollege Horst Piegeler und ich gegen 18 Uhr vor der Bühne auf dem Chlodwigplatz, und der war weitgehend menschenleer. Das Konzert sollte um 19 Uhr beginnen, wir begannen zu zweifeln. Wenig später änderte sich die Situation schlagartig.
Janus Fröhlich von den Höhnern, der aus den Fenstern der Severinstorburg guckte, rief plötzlich aufgeregt: „Do drusse süht et uss, als ob d'r Zoch kütt!“ Und in der Tat: Die Menschenmassen strömten aus allen Richtungen, standen auf dem Platz und in den Seitenstraßen, auf mehr als 100.000 schätzte man später die Zahl der Besucher. Demonstrationszüge aus allen Himmelsrichtungen vereinigten sich in der Südstadt.
„Arsch huh“ lockte Zehntausende in die Südstadt
Was heute unvorstellbar ist: Außer direkt vor der Bühne und an der Rückseite der Torburg gab es keine Drängelgitter, keine Absperrungen, keine Ordner, nichts. Die Schaufenster der Geschäfte waren nicht wie im Karneval durch Spanplatten gesichert. Die schmalen Straßen links und rechts der Torburg waren verstopft mit Menschen. Die wenigsten konnten einen Blick auf die Bühne erhaschen.
Ich als Fotograf musste mich vom Backstagebereich da durchdrängeln, um vom Dach eines nur zweistöckig gebauten Hauses seitlich des Platzes, wo auch die Kamera des WDR stand, Fotos von der Bühne machen zu können. Es dauerte ewig, dahin zu kommen. Deshalb gibt es auch so wenige Bilder. Irgendwann stand ich neben Frank Plasberg, der damals noch die „Aktuelle Stunde“ moderierte, an die Wand gequetscht, und obwohl wir beide über 1,90 Meter groß sind, hatten wir wirklich Angst, erdrückt zu werden. „Wann jeiht der Himmel och für mich widder op“, sangen die Höhner, und es ist aus meiner Sicht bis heute ein himmlisches Wunder, dass an diesem Tag kein Unglück passiert ist.
„Arsch huh“: Ein Zeichen weit über Köln hinaus
Derweil gingen alle Auftritte problemlos über die Bühne: Jürgen Zeltinger, Klaus Bednarz, „Cool Muul“ Hermann Rheindorf, die 4 Reeves, Marion Radtke und Viva la Diva, Elke Heidenreich, LSE, Jean Jülich, Rolly Brings, Brings, Samy Orfgen, die Höhner, Willy Millowitsch, Jürgen Becker, The Piano Has Been Drinking, Jean Pütz, Viktor Böll, die Bläck Fööss, Anke Schweitzer und Rolf Lammers, Wilfried Schmickler, BAP, Nick Nikitakis und der „1. schwule Männerchor Köln“. Es war ein politisches Statement und ein grandioses Konzert.
Der Kollege Norbert Ramme erinnert besonders an den Auftritt der 4 Reeves: „Die rappenden Geschwister Shary, Terry, Jim und Andrew Reeves traten dort erstmals auf. Hinter der Bühne sprach ich mit Jim, der später als Discosänger Karriere machte und 2016 in Berlin ermordet wurde. Jim sprach von jahrelangen Rassismus-Erfahrungen und verriet, dass er als Kind oft in der Badewanne versucht habe, seine schwarze Haut mit Kernseife heller zu waschen.“
Ergreifend fand Ramme auch die Rede von Willy Millowitsch: „Der trug zwar das gleiche weiße Dinnerjacket wie bei seinen Auftritten in der „Lachenden Sporthalle“, aber diesmal hatte er den Menschen wirklich etwas zu sagen. Seine Worte waren ehrlich, authentisch und aus dem Herzen heraus. Das konnte man spüren. An dem Abend war er tatsächlich für alle der „Kölsche Jung“. Wat willste maache.“
Historisches Konzert in Köln: Menschenmenge bis zum Horizont
Mir ist heute noch der Song und die Stimme von Anke Schweitzer präsent: „He in unserm Land, is et Zick sich zu erhevve,/ dojeje halte, op der Arbeit, op der Stroß./ Keiner darf de Hand jejen irjendeiner hevve./ und ad jarnit zum Faschiste-Jroos –/ dat läuf nit met uns!“ klang es glockenklar über die Menge. Das beschrieb genau das Gefühl der Zeit, man wollte nicht ohnmächtig zusehen, wie irgendwelche Hirnlosen unsere Heimat mit Hass und Gewalt überzogen.
Anke Schweitzer erinnerte sich später: „Wir waren total ehrfürchtig. Und als der Platz voll war, ging mir der Arsch auf Grundeis. Rolf und ich hatten den Titel „Nit met uns“ erst eine Woche vorher geschrieben, nur mit Klavier und Gesang, und dann da raus… Ich hatte nie wieder so ein Lampenfieber.“ Gut, dass die Beiden auf der Bühne standen und nicht oben auf den Zinnen der Torburg: der Anblick der Menge bis zum Horizont verschlug einem buchstäblich den Atem. Das Foto dürfte eines meiner meistgedruckten Bilder sein.
Beeindruckend fand ich auch die Einigkeit der Musiker, die sich weiß Gott nicht alle grün waren. Bei den jungen, aufstrebenden Hardrockern von Brings, den jecken Höhnern oder den eigenwilligen Pianos um Gerd Köster und Matthias Keul etwa prallten Welten aufeinander, auch wenn man das heute kaum glauben möchte.
Kölner Musikerin: „Das hat uns umgehauen“
Trotzdem standen sie zum großen Finale alle gemeinsam an den Mikrofonen. Die mittlerweile legendären Gitarrenriffs zum Motto-gebenden Song von Nick Nikitakis knallten über die Menge und dann sang jeder seine Zeilen: „Wenn mir de Arsch nit huh krieje is et eines daachs zo spät./ Arsch huh, Zäng ussenander – jetz, nit nächste Woch.“ Die Südstadt war eine gigantische Gänsehaut.
Danach waren alle fertig. Die Menge verteilte sich friedlich, die Musiker waren platt. Statt großer Feier saßen alle fast schon apatisch am Kölsch nippend in der Torburg zusammen. Den Film galt es erst einmal zu verdauen. Man ahnte, das da gerade etwas Großes passiert war. Anke Schweitzer brachte es auf den Punkt: „Das hatte uns alle ziemlich umgehauen.“