Kölner Afghanen sind verzweifelt„Es wird schlimmer als das letzte Mal“
Köln – Es sind schlimme Tage, die auch afghanische Kölner und Kölnerinnen derzeit erleben. Sie sehen Bilder im TV und Internet von Menschen, die sich an startende Flugzeuge klammern. Lesen Berichte von Chaos in der afghanischen Hauptstadt Kabul und Meldungen von Protesten und Toten in Asadabad. Nosratullah Gholami kann derzeit nicht schlafen, weil er dauernd an seine Familie denkt. „Ich werde verrückt“, sagt der 29-Jährige.
2016 ist der junge Mann, der zu der von den Taliban bedrohten Minderheit der schiitischen Hazara gehört, selbst aus Afghanistan geflohen. Zurückgelassen hat er seine Frau und seine heute sechsjährige Tochter, die er zum letzten Mal gesehen hat als sie sieben Monate alt war.
Familie versteckt sich im Keller
Frau und Tochter hätten sich aus einer Provinzstadt in die Hauptstadt Kabul aufgemacht und versteckten sich dort vor den Taliban, die von Haus zu Haus gingen und Kontrollen durchführten. Ausreisen könnten sie nicht, weil sie keinen Zugang zu den wenigen Flugzeugen hätten, die Menschen aus dem Land bringen. Weil die Grenzen nach Pakistan und in den Iran zumindest bis Donnerstag geschlossen waren, könnten sie Afghanistan auch nicht über den Landweg verlassen. „Meine Frau weint immer, sie hat keine Hoffnung.“ Zu seinem Bruder habe er den Kontakt verloren, ein Schwager sei verhaftet worden, drei weitere verschwunden.
Ähnlich geht es der Kölnerin Moschda Ebrahimi (33). „Afghanistan brennt. Es ist schrecklich, zusehen zu müssen, wie die Menschen umgebracht werden.“ Sie selbst ist mit einem Teil ihrer Familie vor den Taliban 1997 geflohen, da war sie gerade einmal sieben Jahre alt. Die Taliban hatten eine Bombe in das Haus der Familie geworfen, weil ihre Mutter für die Regierung gearbeitet hatte. Ein Bruder starb, ihre Mutter verlor ein Bein.
Besonders die Frauen würden nun wieder unter dem Regime der Islamisten leiden. „Es wird schlimmer als das letzte Mal“, glaubt Ebrahimi. Die Taliban kontrollierten die Straßen, schlügen Journalistinnen und Frauenrechtaktivistinnen. In Städten wie Kandahar, die sich schon etwas länger in der Hand der Taliban befinden, müssten sich Frauen verschleiern, dürften sie nicht mehr auf die Straße gehen oder arbeiten. Ihre Familie verstecke sich derzeit in einem Keller. Hoffnung, dass sie es außerhalb des Landes schafft, hat Ebrahimi nicht. „Es sterben Menschen und die Welt schaut zu.”
Rund um die Uhr auf ein Lebenszeichen warten
Auch die beiden jüngeren Brüder des 24-Jährigen Pflegers Hussein Hassani, verstecken sich in einem Keller in Kabul. „Sie sind bei meiner Tante, haben Angst. Es gibt Gerüchte, dass die Taliban junge Männer zwingen, bei ihnen einzutreten. Dabei hat mein jüngster Bruder jetzt das erste Mal eine Pistole gesehen, er ist total verstört von der Gewalt um ihn herum.“
Seine Geschwister seien vor zwei Monaten aus dem Iran nach Afghanistan abgeschoben worden, wollten dann Asyl in der Türkei beantragen. „Aber die Taliban zündeten vor wenigen Wochen eine Bombe bei den Botschaften. Seitdem arbeitet dort niemand mehr. Jetzt sitzen meine Brüder fest.“ Er sei 24 Stunden am Tag online, schaue nur noch Nachrichten und warte auf Lebenszeichen seiner Brüder. Für seine Familie sei er gerade eine große Hoffnung, er kann regelmäßig Geld schicken.
Hassani, der seit zehn Jahren in Köln wohnt, wurde selbst Ende 2019 fast abgeschoben, trotz seiner Abschlüsse, Ausbildung und Deutschkenntnisse. „Hier in Deutschland hast du aber durch all die Bürokratie immer noch Hoffnung. Man kann sich immer an ein Gericht wenden, so habe ich mir meine Niederlassungserlaubnis erkämpft. So etwas gibt es in Afghanistan jetzt nicht mehr. Dort regieren die Dummen und die Gewalt.“
„Wir müssen jetzt aufnehmen, aufnehmen und aufnehmen“
Die Situation seiner Familie ließe ihn zwar schlaflos zurück. „Aber die Situation der Frauen ist das Schlimmste. Sie haben gerade erst gelernt, was es bedeutet, freier zu sein. Das ist jetzt vorbei.“ Er hoffe, dass man aus Deutschland mehr für sie tun kann, als nur zuschauen. „Wir müssen laut werden und unsere Stimmen auch hier erheben, um die Politik zu erreichen. Denn dort werden die Entscheidungen getroffen und den Leuten geholfen.“
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Bei Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats, laufen derzeit die Telefondrähte heiß. „Es ist der Teufel los“, sagt er. Der Flüchtlingsrat erhalte Anfragen aus der ganzen Bundesrepublik. „Alle haben Angst um ihre Angehörigen, alle sind völlig ratlos.“ Auf der anderen Seite fehlten die Ansprechpartner. Es gebe keine deutsche Botschaft mehr in Afghanistan, keine Regelungen wie man die verzweifelten Menschen aus Afghanistan herausholen könne. Dabei sei Eile geboten. „Wir müssen jetzt aufnehmen, aufnehmen und aufnehmen.“ Visa-Verfahren müssten in Deutschland durchgeführt werden, Geduldete Geflüchtete einen Schutz vor Abschiebungen erhalten.
„Es drohen Vergewaltigungen und Tod"
Auch die Initiative Afghanistan Not Safe, die AG Bleiben, der AK Politik sowie der Verein Mosaik Köln-Mülheim fordern, Menschen aus Afghanistan aus humanitären Gründen aufzunehmen, besonders Frauen und Kinder. „Diese Frauen sind in den Augen der Taliban jetzt allein, denn ihre Männer im Ausland gelten als Verräter“, heißt es in einem Schreiben an das Land NRW.
„Ihnen droht die Zwangsverheiratung mit Taliban-Kämpfern, ihnen droht Vergewaltigung und Tod. Was mit ihren Kindern passieren wird, daran wagen wir nicht einmal zu denken.“ Gefährdete Personen müssten auf eine entsprechende Liste des Auswärtigen Amtes gesetzt werden und für Betroffen und hier lebende Afghanen und Afghaninnen psychosoziale Beratungsangebote geschaffen werden.