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Pfarrer Meiering„Ich frage inzwischen gar nicht mehr, ob Leute Christen sind“

Lesezeit 6 Minuten

Dominik Meiering leitet vier Pfarreien.

  1. Seit 1. September leitet und koordiniert Dominik Meiering die katholischen Innenstadtpfarreien in Köln.
  2. Im Interview spricht der Pfarrer unter anderem über seine Arbeit, die Attraktivität der katholischen Kirche und den Bedarf an zusätzlichen katholischen Kitas in der Innenstadt.

KölnHerr Pfarrer Meiering, die 100 Tage seit Ihrer Einführung als Pfarrer für die Innenstadt sind vorbei. Wie haben Sie sich im neuen Amt eingefunden?

Schwer zu sagen. Es gibt ja nichts, wo ich hineinfinden konnte. Es ist spannende Pionierarbeit in einem Team von vielen Haupt- und Ehrenamtlichen. In keiner anderen deutschen Stadt findet man auf so dichtem Raum eine derartige Vielfalt kirchlichen Lebens wie in Köln-Mitte. Wir haben hier 26 Kirchen, 15 davon fallen in meine direkte Zuständigkeit als leitender Pfarrer, für die anderen bin ich koordinierend tätig. Da gibt es – etwa in Sankt Agnes oder Sankt Severin – lebendige Orte gewachsener Pfarrfamilien. Die Kunststation Sankt Peter oder die Wallfahrtskirche Sankt Maria in der Kupfergasse sind Zentren für zahlreiche Menschen mit ganz spezifischen Interessen. Man könnte noch manche sehr lebendige Orte nennen. An anderen Stellen aber erfahren die Menschen, dass die Kirche, wie sie sie kannten, ein Stück stirbt. Da ist das Suchen spürbar, verbunden mit der Frage: Wie geht es eigentlich weiter mit der Kirche?

Was antworten Sie darauf?

„Prüfet alles und behaltet das Gute!“, heißt es in der Bibel. Wir wollen die Vielfalt erhalten, parallel dazu aber soll Neues entstehen und wachsen. Für unser Leben als Kirche gilt derzeit leider noch allzu oft, was kürzlich ein Gesprächspartner als „Prinzip Thermoskanne“ bezeichnet hat: Nach innen schön warm, aber keine Ausstrahlung nach außen.

Interessieren sich die Leute „außen“ überhaupt noch dafür?

Täuschen Sie sich nicht! Ich erfahre große Bereitschaft, die kirchliche Zukunft für Köln-Mitte mitzugestalten. Und nach wie vor erlebe ich einen hohen Anspruch an die Kirche – in sozialen Belangen, aber auch in der Suche nach Rat, Hilfe und Unterstützung. Institutionell und persönlich bleiben wir gefragt, weil viele Menschen um die Bedeutung von Glauben und Kirche wissen, auch wenn sie selber keine Christen sind. Ich frage inzwischen auch gar nicht mehr danach.

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Wo und wie erleben Sie das denn?

Wenn es darum geht, Menschen in existenziellen Situationen zu begleiten, wird dies am kraftvollsten erlebbar – beim Tod eines geliebten Menschen, bei einer Eheschließung, nach der Geburt eines Kindes. Wir halten in der Kirche einen kulturellen Schatz an Formen und Erfahrungen vor, der Menschen bereichern kann. Menschen und Institutionen fragen aber auch im Hinblick auf die großen Gesellschaftsthemen wie etwa Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden oder Freiheit nach uns. Diese Themen haben alle mit etwas mit „Glauben“ zu tun. Und damit haben wir einfach eine jahrhundertelange Erfahrungsgeschichte.

Aber die Distanzierung schreitet insgesamt unverkennbar voran. Selbst im „hillijen“ Köln sind die Christen inzwischen in der Minderheit. Die Zahl der Kirchenaustritte ist 2018 um fast ein Viertel gestiegen. Im Zuge des Missbrauchsskandals wirkt es so, als wäre Kirche in allem, was sie tut, bei vielen komplett unten durch.

Keine Frage, wir erleben derzeit einen dreifachen Verlust: an Motivation, an Vertrauen und an Glauben. Das ist die Negativ-Perspektive. Ins Positive gewendet, sage ich: Wir stehen vor der Herausforderung, sich Vertrauen im Kontakt zu den Menschen neu zu erarbeiten; Menschen einzuladen und sie zu motivieren, den Glauben neu, kraftvoll zu leben. Die Kunst wird für uns darin bestehen, in die Lücke zwischen Abwendung von der Kirche und bleibender Wertschätzung zu kommen und den Menschen einen neuen Blick auf Kirche zu ermöglichen. Ich bin mir sicher, die Menschen sind ansprechbar und sogar bereit, sich zu beteiligen. Nicht nur das große Engagement in der Flüchtlingskrise hat das sehr deutlich gezeigt. Und Viele sind es inzwischen auch leid, ihre ganze Zeit mit Netflix und YouTube zu verbringen.

Welche Angebote wollen Sie konkret dagegensetzen?

Die Menschen sollen erfahren, dass Kirche eine Relevanz, eine Bedeutung für mein Leben haben kann. Und dass es sinnvoll und heilsam sein kann, zu glauben. Dafür gibt es zum Beispiel die Idee, das Thema „Gastfreundschaft“ einmal so durchzudeklinieren, dass wir weniger den Eindruck eines „Closed Shop“ machen. Jeder ist willkommen, so wie er ist. Auch die Gründung neuer Gottesdienstgemeinden ohne klassische Pfarreianbindung ist vorgeschlagen. Oder der Aufbau eines Netzwerks Spiritualität. Oder die Entwicklung eines Kirchortes, an dem das caritative Handeln der Kirche noch einmal besonders sichtbar wird. An einer der bestehenden Kirchen?

Darüber werden wir reden. Wir werden insgesamt das Rad nicht neu erfinden, aber wir wollen profilierter und erkennbarer sein. Und dafür ist es wichtig, die Handvoll Ideen herauszufiltern, die helfen, die Relevanz von Glauben und Kirche transparent zu machen.

Aber war dafür wirklich dieses neue Gebilde namens „Sendungsraum Köln-Mitte“ nötig, in dem alle Pfarreien aufgehen sollen, wenn es gleichzeitig heißt, das sei ganz und gar keine Fusion?

Ich verwende den Begriff „Sendungsraum“ kaum, weil die Menschen ihn nicht verstehen. Es geht darum, dass wir als Christen „in die Welt gesandt“ sind. Aber wenn „die Welt“ – und hier denke ich ganz konkret an die mehr oder weniger kirchenferne Stadtgesellschaft in Köln – unser Dasein als Kirche als wertvoll und relevant erkennen soll, müssen wir eben auch die Sprache der Welt sprechen und keinen formelhaften Kirchendialekt. In der Sache glaube ich, dass wir für Köln-Mitte einen wichtigen Schritt in die Zukunft getan haben. Wir haben nun die gute Situation, dass nicht mehr jeder für sich allein brasselt und herumbastelt, sondern dass wir unsere Kräfte bündeln und die Aufgaben gemeinsam angehen.

Welche Aufgaben zum Beispiel?

Wir müssen uns perspektivisch Gedanken machen, wie wir mit der außergewöhnlichen Fülle an Kirchen in Köln umgehen wollen. Nur mal zum Vergleich: Auf einem Areal, auf dem in Köln die besagten 26 Kirchen stehen, finden Sie in einer Stadt wie Chicago vielleicht drei. Deshalb braucht es neben einer Profilierung der Gemeinden auch Konzepte etwa für die romanischen Kirchen, mit denen wir deren dauerhafte Öffnung ebenso sicherstellen wie die Erschließung für Besuchergruppen und Touristen mit qualifizierten Führungen. Wir werden diesen Ball auch an die Stadt und das Bistum spielen. Hier tragen viele eine Verantwortung. Das gilt auch im Hinblick auf die katholischen Kindergärten in der Innenstadt. Wir hatten im vergangenen Jahr doppelt so viele Anfragen katholischer Familien, wie wir Kinder aufnehmen konnten.

Das heißt, Sie wünschen sich zusätzliche Gruppen oder neue katholische Kitas in der Innenstadt?

Ich meine, darüber muss gesprochen werden.

Welche Bedeutung hat für Sie in alledem das ökumenische Miteinander, das im vorigen Jahr durch den „Kommunionstreit“ der Bischöfe einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt war?

Für mich ist es absolut undenkbar, dass wir uns in einer konfessionellen Wagenburg verschanzen. Wir müssen uns aufeinanderzubewegen und gemeinsame Wege gehen.