Kölner Corona-Protokolle„Unsere Steuerberaterin rät uns, Insolvenz anzumelden“
- „Die Krise macht etwas mit uns“ heißt es oft. Was das ist, erfahren wir am besten, wenn wir Menschen begleiten.
- In der Serie „Kölner Corona-Protokolle“ erzählen ab sofort regelmäßig fünf Menschen, was die Pandemie mit ihnen macht: Sie gefährdet ihre Gesundheit, ihre Freiheit, ihren Beruf und ihre Träume.
- In dieser Folge gewährt Dieter Edling einen Einblick in sein Leben als Gastronom in der Pandemie. Aus dem Archiv.
Köln – Ein Café zu besitzen, war immer mein Lebenstraum. Im Juni 2014 habe ich ihn gemeinsam mit meiner Frau verwirklich und das Café Tapku auf der Nussbaumer Straße in Neuehrenfeld eröffnet. Ich mache alles selbst: Kuchen, Torten und Kekse, Limonaden, Marmeladen und Tapas. Nach 20 Jahren als Vertriebler für eine Großbäckerei im Außendienst, einem schweren Burnout und der Erfahrung, dass man in einem Betrieb sehr leicht ersetzt wird, wenn man nicht zu 100 Prozent funktioniert, habe ich in das Lokal meine ganze Leidenschaft und Hoffnung gesetzt. Die ersten Jahre waren schwer, wir mussten viel in das Lokal investieren, Kredite aufnehmen, einen Businessplan schreiben, Kunden überzeugen.
Irgendwann hat die Handwerkskammer einen Nachweis verlangt, dass ich überhaupt Kuchen und Torten verkaufen darf – mit 50 habe ich nebenbei eine Ausbildung zum Konditor beigebracht, gelernt hatte ich das Backen von meiner Oma. Ab Mitte 2019 lief der Laden ziemlich gut, wir konnten Schulden tilgen, im Winter haben wir überlegt, uns zu vergrößern, vielleicht sogar in ein leerstehendes Lokal auf der Landmannstraße umzuziehen – da sind die Pachten viel höher, die Lage ist aber deutlich besser.
Kölner Dieter Edling: „Ich musste der letzten 450-Euro-Kraft kündigen“
Dann kam Corona, der erste Lockdown, wir mussten dichtmachen, wurden von 100 auf Null ausgebremst. Fast zeitgleich hat sich an meinem rechten Auge die Netzhaut gelöst, ich musste operiert werden und sollte mich möglichst ruhig verhalten – dabei mussten meine Frau und ich überlegen, wie wir das Café retten können.
Es ging dann nach sechs Wochen langsam wieder los mit Außer-Haus-Verkauf von Kuchen, Torten, Tapas, im Frühsommer haben wir Schutzwände für die Gäste gebaut; da das Haus wegen einer Sanierung eingerüstet war, konnten wir über Monate keine Terrassenplätze anbieten – das hat uns zusätzlich ins Kontor geschlagen. Die Umsätze brachen dauerhaft ein, Ende August musste ich der letzten 450-Euro-Kraft kündigen.
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Zwischendurch hatte sich die Netzhaut des rechten Auges erneut abgelöst, ich musste wieder und wieder operiert werden – sechsmal insgesamt im vergangenen Jahr.
Auf dem rechten Auge sehe ich momentan nur hell und dunkel, auf dem linken Auge habe ich immerhin noch 80 Prozent Sehkraft, aber die Unsicherheit über die Sehkraft hat dazu beigetragen, dass ich zwischendurch wahnsinnig deprimiert war und nicht wusste, wie es weitergehen soll.
„Selbst und ständig, das stimmt schon“
Wenn man alles selbst kocht und backt, die Buchhaltung macht, einkauft und zusammen mit der Frau für alles verantwortlich ist, arbeitet man sehr, sehr viel. Selbst und ständig, das stimmt schon. Die Dame von der Lebensmittelüberwachung, die uns regelmäßig überprüft, sagt immer: „Sie müssten sich auf eine Sache konzentrieren, Herr Edling, sonst zerreißt es sie irgendwann.“ Die Menschen aus dem Viertel haben unser Konzept aber lieb gewonnen, vor allem die Kuchen, Torten und Kekse, deswegen wollen wir das nicht ändern. Trotzdem gab es im vergangenen Jahr immer wieder Phasen, wo ich alles hinschmeißen wollte. Weil ich einfach nicht mehr konnte, die Seheinschränkung mich verunsicherte und die Pandemie nicht aufhören wollte.
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Unsere Steuerberaterin rät uns seit Herbst, Insolvenz anzumelden – es sei schlicht nicht abzusehen, ob wir die Schulden irgendwann wieder ausgleichen könnten, ob die Umsätze überhaupt je wieder so sein werden wie vor der Krise. Aber der freie Arbeitsmarkt reißt sich nicht um einen fast 54-Jährigen, der schwer sehbehindert ist. Und die Arbeit macht so viel Spaß!
Als haben wir uns vorläufig und bislang immer wieder entschieden, weiter zu kämpfen. Es gab ja auch Erlebnisse, die Hoffnung gemacht haben: Im Frühjahr konnten wir nur etwa ein Drittel des normalen Umsatzes durch Außer-Haus-Verkauf einfahren, aber es gab viele gute Gespräche mit Nachbarn und Stammkunden, die uns Mut gemacht haben. Im November und Dezember haben wir über den Verkauf von Keksen und Marmeladen sogar mehr Umsatz gemacht – da gab es viele, die uns auch unterstützt haben, weil sie gesehen haben, dass wir auf dem Zahnfleisch gehen und alles tun, um nicht Pleite zu gehen. Über die Weihnachtstage war es dann schwer: Wir hatten ein paar Tage geschlossen und zu viel Zeit zum Nachdenken. Zwischen die Nachrichten über täglich neue Infektionsrekorde und die Verlängerung des Lockdowns hat sich ein Schreiben gemischt, wonach ich von der Soforthilfe aus dem Frühjahr fast die Hälfte zurückzahlen muss.
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Die Überbrückungshilfe für November habe ich noch nicht beantragt, weil ich noch nicht weiß, ob ich Insolvenz anmelden werde oder nicht. Auch über einen möglichen KfW-Kredit habe ich noch nicht entschieden. Meine Frau arbeitet wieder woanders auf 450-Euro-Basis, die Steuerberaterin rät immer wieder, besser möglichst bald Schluss zu machen mit dem Café. Aber soweit bin ich noch nicht.