Kölner Corona-Protokolle„Wir arbeiten für weit weniger als Mindestlohn“
- „Die Krise macht etwas mit uns“ heißt es oft. Was das ist, erfahren wir am besten, wenn wir Menschen begleiten.
- In der Serie „Kölner Corona-Protokolle“ erzählen regelmäßig fünf Menschen, was die Pandemie mit ihnen macht.
- In dieser Folge berichtet Künstlerin Marie Köhler, warum im Kulturbereich noch nichts wieder normal ist – auch wenn das so scheint – und was sie ungerecht findet.
Köln – Museen, Theater und Kinos haben wieder geöffnet, auch die Ausstellung zu unserem Projekt „Beyond III – (post)koloniale Gegenwart“ kann nach mehreren coronabedingten Verschiebungen endlich stattfinden – wir freuen uns sehr auf die Vernissage am Donnerstag ab 17 Uhr im Alten Pfandhaus am Karthäuserwall. Einige Bekannte, die ich vor Corona alle paar Wochen getroffen habe, werde ich nach eineinhalb Jahren zum ersten Mal wieder sehen!
Nach außen hin sieht es so aus, als liefen Kunst- und Kulturbetrieb wieder relativ normal – das stimmt aber leider überhaupt nicht. Juliane Herrmann und ich haben für unser Beyond-Projekt insgesamt 10 Künstlerinnen und Künstler aus Afrika und Westeuropa eingeladen, sind aber auf zum Teil unüberwindbare bürokratische Hürden gestoßen: Zwei Künstlerinnen aus Südafrika sind wegen Corona mit einem so genannten Travel-Ban belegt – nur wer geimpft ist, darf momentan aus Südafrika nach Deutschland kommen. Da Südafrika wenig Impfstoff hat, sind die beiden noch nicht voll geimpft. Für mich werden sie dadurch ausgegrenzt.
„Warum dürfen Fußballer reisen, Künstler aber nicht?“
Unsere Versuche, mit Hilfe von offiziellen Einladungen und Interventionen beim Ministerium und beim Auswärtigen Amt trotzdem Visa zu bekommen, sind gescheitert. Ich finde es schreiend ungerecht, dass die beiden nicht nach Deutschland reisen dürfen. Nicht nur, weil der Impfstoff global völlig ungleich verteilt ist, sondern auch, weil mit verschiedenen Maßen gemessen wird: Profifußballer dürfen mit Ausnahmegenehmigungen reisen, Künstlerinnen, die sich mit kolonialen Machtstrukturen beschäftigen, nicht. Deutsche dürfen übrigens nach Südafrika reisen – egal, ob sie Künstlerin, Versicherungsmaklerin oder Fleischfachverkäufer sind.
„Westeuropäische Überheblichkeit“
Wir waren in den vergangenen Wochen ständig damit beschäftigt, unsere Künstlerinnen und Künstler trotz Corona-Auflagen irgendwie nach Köln zu bekommen. Paul Shemisi aus dem Kongo stand mit frischem PCR-Test und Schengen-Visum am Flughafen, durfte aber nicht durchs Gate, weil ihm ein so genannter Go-Pass fehlte, den man seit kurzem braucht, um zum Beispiel in Belgien den Flieger zu wechseln. Im Moment drängt sich der Eindruck auf, dass die EU das Reisen auch dann noch bürokratisch erschweren wird, wenn Corona im Griff ist – und sich die aus der Geschichte bekannte westeuropäische Überheblichkeit so weiter fortpflanzt.
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Solche Unverhältnismäßigkeiten und Ungerechtigkeiten führen zu Frustration – und gesellschaftlichen Folgen, die sich zum Beispiel in Fluchtbewegungen zeigen und immer gravierender werden. Bei unserem Projekt – der Ausstellung sowie einer Podiumsdiskussion am 19. August zum Thema „Dekolonialisierung des Denkens// Was kann die Kunst?“ geht es uns nicht um internationale Politik, sondern um Denkstrukturen von jedem von uns.
Wodurch sind unsere Bilder von afrikanischen Ländern und ihren Menschen geprägt? Wie werden sie in Medien, in Spielfilmen, Büchern und Reportagen, dargestellt? Wie betrachten wir die Welt, unser Gegenüber und uns selbst?
„Koloniale Denkstrukturen in unseren Köpfen“
Uns ist oft nicht bewusst, dass in unseren Köpfen noch koloniale Denkstrukturen existieren – weil wir nicht hinterfragen, wo unsere Vorstellungen und Denkweisen herkommen. Wenn wir bei ein paar Besucherinnen und Besuchern dahin kommen, dass sie dies tun, dann ist unser Projekt nicht umsonst. Klingt naiv, müssen wir auch sein, sonst könnten wir einpacken.
Daran gezweifelt, ob ein internationaler Künstler*innenaustausch die Sache Wert ist, haben Juliane und ich in der Corona-Zeit nie, aber wir stellen den Zeit- und Nervenaufwand in Frage: Wegen der Auflagen und Absagen hat sich unsere Arbeitszeit vervielfacht. Wir haben „Beyond“ zwar mit Hilfe von Förderungen refinanziert bekommen, arbeiten aber als Kuratorinnen weit unter Mindestlohn, was die Frage nach einem Mindestlohn für bildende Künstler*innen aufwirft, der dringend nötig wäre.
Größere Wertschätzung
Was Honorare betrifft, hat die Corona-Pandemie immerhin ein Gutes: Meistens akzeptieren die Auftraggeber inzwischen unsere Tagessätze, statt uns wie früher üblich runterzuverhandeln. Dass wir eineinhalb Jahre lang nur wenig eigene Einnahmen hatten, ist bei fast jedem angekommen. Die Wertschätzung ist also gestiegen – und das tut gut.
Starr vor der vierten Welle
Zuversichtlich sind von meinen Kolleginnen und Kollegen trotzdem momentan nur wenige: Wir stehen in einer Art Starre vor der vierten Welle – in Köln liegt die Inzidenz schon wieder bei 50. Für unser Dialogforum kann das bedeuten, dass nur 25 statt 100 Besucherinnen kommen dürfen. Oder wir nur Geimpfte oder Genesene reinlassen dürfen – was Menschen, die noch keine Gelegenheit für eine Impfung hatten oder es aus gesundheitlichen Gründen nicht dürfen, ausgrenzen würde.
An einen normalen Kunstbetrieb wird in den nächsten Monaten nicht zu denken sein. Und danach? Schon jetzt hört man aus Städten wie München, dass im Kulturbereich gespart werden soll. An der Kultur wird immer zuerst gespart – auch wenn sie uns mehr über uns zu erzählen hat als zum Beispiel der Fußball. Ich stelle mich darauf ein, dass es nicht einfacher wird. Einfach hinnehmen werde ich es nicht. Und so bleibe ich zuversichtlich.