Kölner Corona-Protokolle„Ein Künstler hielt Druck nicht aus und nahm sich das Leben“
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„Die Krise macht etwas mit uns“ heißt es oft. Was das ist, erfahren wir am besten, wenn wir Menschen begleiten.
In der Serie „Kölner Corona-Protokolle“ erzählen ab sofort regelmäßig fünf Menschen, was die Pandemie mit ihnen macht: Sie gefährdet ihre Gesundheit, ihre Freiheit, ihren Beruf und ihre Träume.
In dieser Folge erzählt Künstlerin Marie Köhler von ihren Erlebnissen in der Krise.
Köln – Als es mit Covid losging, hatte ich Sorge, meine nächste Miete nicht mehr zahlen zu können und bald kein Geld mehr zum Einkaufen zu haben – alle Aufträge brachen innerhalb weniger Tage weg, große Rücklagen hatte ich keine. Zudem machte ich mir viele Gedanken darüber, das Virus zu bekommen, da ich Asthma habe und zur Risikogruppe gehöre. Ich habe dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Mail geschrieben und in der Zeitung von meinen Sorgen erzählt (hier lesen Sie mehr) – in der Folge habe ich ungefähr 200 Hilfsangebote bekommen, das war überwältigend. Da es unzähligen von Künstlern ähnlich ging wie mir, wollte ich nicht, dass nur mir geholfen wird. Ich habe den Menschen, die helfen wollten, geschrieben, es wäre schön, wenn sie ein bisschen warten könnten: Innerhalb von zwei Wochen habe wir dann mit einigen befreundeten Künstlerinnen das Projekt Artist in the box entwickelt: Eine Internetplattform, auf der rund 50 Künstlerinnen und Künstler ihre Werke verkauft haben – und jeder am Verkauf eines Objekts partizipiert hat.
Am Anfang war die Nachfrage riesig, es gab sehr viele Menschen, die die Initiative unterstützt haben. Finanziell gerettet hat es keinen, aber es hat uns das Gefühl gegeben: Wir halten zusammen. Wir kommen da durch, wenn wir solidarisch sind.
„Ein Künstler aus meinem Bekanntenkreis hat sich das Leben genommen“
Jetzt, neun Monate später, hat sich gezeigt: Leider ist längst nicht jeder durchgekommen. Viele meiner Künstler-Freunde arbeiten inzwischen als Paketzulieferer und in der Pflege – was früher Nebenjob war, ist jetzt ihr Hauptjob. Ein Künstler aus meinem Bekanntenkreis konnte dem Druck, die 9000 Euro Soforthilfe zurückzahlen zu müssen, nicht standhalten: Er hat sich vor einigen Wochen das Leben genommen. Ich bin ein sehr optimistischer Mensch – ich kenne aber viele, die mit den Nerven am Ende sind. Das alles zu sehen, ist sehr traurig.
Wir gestalten unsere Berichterstattung über Suizide und entsprechende Absichten bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Falls Sie sich dennoch betroffen fühlen, lesen Sie bitte weiter:
Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote.
Telefonseelsorge
Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de
Kinder- und Jugendtelefon
Das Angebot des Vereins "Nummer gegen Kummer" richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Samstag nehmen die jungen Berater des Teams "Jugendliche beraten Jugendliche" die Gespräche an. nummergegenkummer.de.
Muslimisches Seelsorge-Telefon
Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 – 44 35 09 821 zu erreichen. Ein Teil von ihnen spricht auch türkisch. mutes.de
Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention
Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de
Längst haben wir Post erhalten, dass wir 7000 der 9000 Euro zurückzahlen müssen – eigentlich bis zum Ende des Jahres. Ich kenne keinen, der das kann. Es ist eine große Belastung, mit einem Schuldenberg ins neue Jahr zu gehen – die prekäre finanzielle Lage ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum die Stimmen aus der Kunst- und Kulturszene so leise waren in den vergangenen Monaten: Viele waren mit sich selbst und ihrem finanziellen Überleben beschäftigt, mit gestundeten Mieten, Rechnungen und der Frage, wie es weitergehen soll. Dass am Anfang vor allem über die Lufthansa und die Autoindustrie gesprochen wurde und nur sehr wenige Kreative in Talkshows zu hören waren, fand ich befremdlich: In Krisen war es bislang immer die Kultur, die die Dinge mental verarbeitet hat, die mit ihren Stücken und Bildern und Objekten Fragen aufgeworfen, Orientierung gegeben und Trost gespendet hat. Jetzt waren wir mit unserer Kunst: nicht wirklich relevant. Und kaum einer war zu sehen.
„Ich fühle mich nicht als Opfer“
Um relevant zu sein, muss man aber sichtbar bleiben. Wenn jemand etwas sagte, dann wie der Trompeter Till Brönner eher ein wenig oberflächlich, oder wie Herbert Grönemeyer, der die Millionäre aufforderte, ein paar Tausend für die Kultur zu spenden, fast ärgerlich romantisch. Da geht mir der gute Wille einfach nicht weitgenug.
Ich fühle mich nicht als Opfer der Pandemie oder des Systems. Die Politik hat schnell gehandelt und versucht, niemanden zurückzulassen: Aber es hat sich deutlich gezeigt, wer und was in Deutschland als wichtig empfunden wird – und wer und was etwas weniger. Die Kultur schien plötzlich nicht mehr so wichtig zu sein. Wenn sich diese Priorisierung in künftigen Etats und Zuschüssen niederschlägt, wird sich die Kunstszene stark ausdünnen. Und der Verlust von Kunst und Kultur hat große Auswirkungen auf ein Gesellschaftliches miteinander.
Viele Künstlerinnen und Künstler überschulden sich gerade auch deswegen, weil sie Angst haben, aus der Künstlersozialkasse zu fallen: Wer Arbeitslosengeld II beantragt, dem droht den Anspruch auf die Leistungen der Sozialkasse zu verlieren – und auch wenn es heißt, dass man nach der Pandemie wieder zurückkehren könne in die Kasse, ist der Unsicherheitsfaktor groß: Wer einmal erlebt hat, wie schwer es sein kann, in die KSK zu kommen, weiß, dass man da als freischaffender Künstler auf keinen Fall rausfallen möchte.
Wie die meisten Freunde und Bekannte habe ich nicht weniger gearbeitet dieses Jahr, im Gegenteil: Mit meiner Kollegin Juliane Herrmann habe ich ein Magazin für unser internationales Fotografenaustauschprojekt Beyond geschrieben, das sich mit post-kolonialen Strukturen in der Gegenwart beschäftigt und auf kommenden Sommer verschoben werden musste.
Ich habe im Auftrag der Stadt Köln zusammen mit dem Filmemacher Lionel Somé einen Experimentalfilm über die Rolle von Kolonialsoldaten im Zweiten Weltkrieg gemacht, und schon vor dem ersten Lockdown angefangen, Masken zu nähen – was bis heute gut funktioniert.
Mit 18 habe ich eine Schneiderlehre gemacht, in dem Beruf wollte ich nie arbeiten, jetzt haben mir die Masken, die ich modisch gestalte, mit einem Filter ausstatte und in Läden von Bekannten verkaufen lasse, geholfen, Miete und Einkäufe zu finanzieren.Das Jahr 2021 ist voller Aufträge, von denen einige wegen der Pandemie aber auf der Kippe stehen. Das Jahr hat mich selbstbewusster gemacht, es auch schaffen zu können, wenn die Lage aussichtslos scheint, aber auch ziemlich müde. Jetzt sammle ich neue Kräfte und dann kann es losgehen.