„Die Krise macht etwas mit uns“ heißt es oft. Was das ist, erfahren wir am besten, wenn wir Menschen begleiten.
In der Serie „Kölner Corona-Protokolle“ erzählen ab sofort regelmäßig fünf Menschen, was die Pandemie mit ihnen macht: Sie gefährdet ihre Gesundheit, ihre Freiheit, ihren Beruf und ihre Träume.
In dieser Folge erzählt Klimaaktivistin Pauline Brünger von ihren Sorgen und Gedanken in der Corona-Krise.
Köln – Der März war krass. Plötzlich hieß es quasi völlig aus dem Nichts: Das war jetzt dein letzter Schultag. So mit zwölf Jahren Schule abzuschließen, das fand ich ganz schrecklich. Dass wir am Ende doch in einer kleinen Gruppe im Rahmen einer Feier das Abiturzeugnis überreicht bekommen haben, das war mir sehr wichtig. Im Nachhinein war ich überrascht, wie schnell die Schule – so lang der Mittelpunkt meines Lebens - weit weg war und wie schnell ich den enormen Druck verdrängt habe, den Schule auf mich ausgeübt habe.
Wie schnell man dann melancholisch zurückschaut. Vielleicht geht das vielen so und das ist der Grund, warum sich an Schule nichts ändert. Oder man sagt sich als Erwachsener: Ich musste da durch, sollen sich die Jungen da ruhig auch durch quälen.
Ich sehe das ganze System Schule heute sehr kritisch: Diese Reduzierung auf Noten und Druck, das Neugier quasi abwürgt. Ich habe mich für vieles interessiert und wäre gerne bei vielen Themen mehr in die Tiefe gegangen. Aber immer wenn es spannend wurde, mussten wir schnell zum nächsten Thema wechseln, um den Lehrplan abzuhaken. Ich wünsche mir mehr Freiheit, mehr gemeinsam Reflektieren, mehr eigenes Denken. Aber das ist in Schule nicht vorgesehen. Wir mussten nur das wiedergeben, was andere erwartet hatten. Nach dem Abi wäre ich gerne gereist, mit Interrail Richtung Bosnien und Herzegowina. Das ging nicht. Irgendwann hole ich das nach…
10.000 Teilnehmer bei Demonstration in Köln
Die Arbeit bei Fridays for Future hat in all den Monaten nicht geruht. Ich organisiere die Streiks bei uns in Köln und habe den Social-Media-Auftritt für Fridays for Future Deutschland gemanaged und als Corona kam, hatte ich nur den Gedanken: Diese Pandemie darf nicht den Kampf gegen die Klimakrise verdrängen.
Es war schwer, dass wir öffentlich total runtergeredet wurden und es hieß, wir seien öffentlich nicht mehr wahrnehmbar, obwohl wir die ganze Zeit inhaltlich und an Kampagnen gearbeitet haben. Es war dann ein großartiges Gefühl, wenn wir es trotzdem geschafft haben, den Fokus der Öffentlichkeit wieder auf die Klimakrise zu lenken: Erst gingen coronakonform im Juli in über 50 deutschen Städten junge Leute gegen das Kohleausstiegsgesetz auf die Straße. Und am 25. September, also quasi im letzten Moment, bevor das aufgrund der zweiten Welle nicht mehr möglich war, standen wir hier in Köln vor dem Streik zusammen und ich hatte richtig Panik, dass nach den ganzen Monaten der Pandemie niemand mehr kommt.
Und dann kamen allein hier in Köln mehr als 10.000 Teilnehmer, dreimal so viel wie ursprünglich angemeldet. Wir mussten immer mehr Kreidestriche auf die Straße malen, um die Abstände zu markieren. Diese Demo im September gehört zu den größten Momenten des Jahres: Die Gewissheit, wir sind weiter da.
Ich habe Angst, dass die Menschen, wenn Corona überstanden ist, erst mal keine Lust und keine Kraft haben, sich gleich mit der nächsten Krise zu beschäftigen und weiter schlechte Nachrichten zu hören. Dass sie erst mal die Nase voll haben von Veränderungen, die ja auch die Klimakrise erfordert. Aber verdrängen hilft nicht sondern macht alles nur noch schlimmer. Meine einzige Hoffnung ist eine starke Klimabewegung. Wenn ich Angst habe vor der Zukunft, dann ist eine Demonstration ein wichtiges Ventil. Aktivismus ist für viele eine Art Selbstermächtigung, die diese Ohnmacht überhaupt aushaltbar macht. Ich habe dann das Gefühl, ich kann was machen. Digitaler Protest macht es schwieriger, deutlich zu machen, dass da Menschen hinter stehen.
„Die Sichtbarkeit auf der Straße fehlt so sehr“
Wir machen ganz viel: Kampagnen, Newsletter, politische Lobbyarbeit. Aber diese Gemeinsamkeit und Sichtbarkeit auf der Straße, das fehlt so sehr.
Gerade im Jahr der Bundestagswahl, wo wichtige Weichen gestellt werden.Jetzt studiere ich seit Oktober in Düsseldorf im ersten Semester einen Studiengang, der Philosophie, Politik und Wirtschaft kombiniert. Ich finde es sinnvoll, dass man die Disziplinen nicht voneinander getrennt sieht. Die Philosophie denkt die großen ethischen, moralischen Fragen, die Politik gestaltet konkret. Alles läuft derzeit digital. Meine Kommilitonen habe ich nur selten gesehen.
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Studentenleben gibt es keins, mit dem Lernen ist man sehr allein und die Selbstverantwortung ist nochmal gestiegen: Der Prof hat 14 Vorlesungen online hochgeladen und ich muss selbst entscheiden, wann ich mir die anhöre. Im Februar soll ich meine Klausuren bestehen. Stand heute weiß ich noch nicht recht, wie das gehen soll. Eigentlich habe ich ein Studentenzimmer in Düsseldorf. Aber da zieht mich nichts hin, weil da halt keiner ist. Ich wohne wieder bei meiner Familie und hätte nie gedacht, dass ein Tag in der Unibibliothek, wo ich echte andere Studierende sehe, mal das Highlight meiner Woche sein würde.
Ich habe einerseits Angst, dass die Menschen, wenn Corona vorbei ist, erst mal keine Lust haben, sich gleich mit der nächsten Krise zu beschäftigen. Meine einzige Hoffnung ist andererseits eine starke Klimabewegung.
Aktivismus ist eine Art Selbstermächtigung, die die Ohnmacht aushaltbar macht, weil ich etwas mache. Diese Gemeinsamkeit und die Sichtbarkeit auf der Straße fehlen sehr. Gerade im Jahr der Bundestagswahl. Seit Oktober studiere ich Philosophie, Politik und Wirtschaft. Alles läuft digital. Der Prof hat 14 Vorlesungen hochgeladen und ich musste selbst entscheiden, wann ich mir die anhöre. Im Februar soll ich meine Klausuren bestehen. Ich weiß noch nicht, wie das gehen soll...