Minderjährige wüssten oft nicht, wo in der digitalen Welt die Gefahren lauern, erklärt der Spezialist Eric Dieden.
Kölner KriminalpolizeiCybercrime im Klassenchat: Wenn Kinder zu Tätern werden
Es geht an diesem Abend um Klassenchats voll mit strafrechtlich relevanten Inhalten. Um „Sexting“, das der Kölner Polizist und Cybercrime-Experte Eric Dieden jenen, die in einer anderen Zeit erwachsen geworden sind, als „Petting auf digitalem Weg“ erklärt. Dieden beschreibt, wie aus dem harmlos wirkenden Tausch digitaler Nacktfotos unter zum ersten Mal verliebten Teenies Straftatbestände wie das Erstellen, Besitzen und Verbreiten von kinderpornografischem Material werden können. Nämlich dann, wenn die großen Gefühle großem Streit gewichen sind und die Bilder gegen den Willen des anderen an Dritte geschickt werden.
Es geht auch um zockende Kinder, die Minecraft spielen oder Fortnite, und die dabei „Cybergrooming“ ausgesetzt sind, den Anbahnungstricks von Straftätern, die so an Bilder und Kontakte der Kinder gelangen. Es geht um pornografische Videos im Netz und wie sie die Sexualvorstellung Zwölfjähriger prägen können. Und es geht um Eltern, die stolz digitale Bilder ihrer Kinder in den Sozialen Medien teilen, auch „Sharenting“ genannt, und dabei die Gefahren eines Missbrauchs unterschätzen.
Kinderpornografie: Die Täter sind oft unwissende Minderjährige
Strafrechtliche relevante Delikte in der digitalen Welt sind ein zunehmendes Problem, das nicht vor Minderjährigen haltmacht. „Ihre Kinder werden in irgendeiner Form betroffen sein“, prophezeit Dieden. Sei es als Opfer oder als (oft unwissende) Täter. „Weil sie sehr jung sind und viel im Netz.“
Alles zum Thema Polizei Köln
- Aufmerksame Zeugen in Vingst und Kalk Kölner Polizei stellt drei mutmaßliche Einbrecher auf frischer Tat
- Fehler bei NRW-Spezialeinheiten SEK stürmte 17 Mal Wohnungen von Unschuldigen
- Alt werden in Leverkusen Polizei warnt Senioren vor den Gefahren des Internets
- Asylpolitik nach Attentaten Ein Besuch im Kölner Therapiezentrum für traumatisierte Geflüchtete
- Staatsschutz ermittelt Radmuttern an Pkw von Pulheimer SPD-Politiker gelöst
- „Fatalismus“, „resigniert“, „unglücklich“ Kölner Parteien und OB-Kandidaten kritisieren Reker-Aussagen
- Hochwertige Rennräder gestohlen Polizei Köln sucht Zeugen nach Einbruch in Deutzer Fahrradgeschäft
Leichte Kost ist das nicht, was Dieden und sein Vortragskollege Sebastian Fitting, Rechtsanwalt in Diensten der Beschwerdestelle von eco, dem Verband der Internetbranche, am Montagabend im Rahmen der „Kölner Präventionsgespräche“ zu bieten haben. Die Vortragsreihe wird vom Kriminalpräventiven Rat Köln in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Köln zu wechselnden Themen veranstaltet.
Dieden und Fitting müssen schon zum zweiten Mal ran, ihr Thema – „Cybercrime im Klassenzimmer“ – wird besonders nachgefragt. Die 55 Plätze für den kostenlosen Vortrag waren am Montag zum zweiten Mal ausgebucht. Ein ähnliches Online-Angebot der Kölner Polizei kam bei seiner letzten Ausgabe im September auf mehr als 10.000 Youtube-Klicks. Kölner Schulen können sich einen entsprechenden Vortrag bald auch ins Haus holen. Einzige Voraussetzung: mindestens 20 Prozent der Eltern sind interessiert und wollen zuhören. Eine entsprechende Info werde in den nächsten Tagen vom Schulamt an alle Kölner Schulen verschickt, kündigte Dieden an.
Beispiele, die an der Brisanz des Themas keinen Zweifel lassen, haben die Experten einige mitgebracht. Und gleich zu Beginn sorgt der Polizist mit diesem Hinweis für ein erschrockenes Luftanhalten unter den anwesenden Eltern: „An mich stellen Sie bitte keine Fragen zu einem konkreten Sachverhalt, denn für mich gilt der Strafverfolgungszwang. Bleiben Sie hypothetisch. Zeigen Sie mir keine Fotos. Wenden Sie sich lieber an den Kollegen, der hat da mehr Spielraum.“
eco-Beschwerdestelle kann die Löschung von Inhalten veranlassen
Fitting prüft bei der eco-Beschwerdestelle gemeldete Internet-Inhalte. Sind sie nur widerlich oder strafrechtlich relevant? Handelt es sich um Kinderpornografie, Volksverhetzung, verfassungsfeindliche oder jugendgefährdende Inhalte, lässt eco diese von den jeweiligen Providern löschen. Bei den Meldungen handele es sich zu 95 Prozent um Kinderpornografie, sagt Fitting. Und Dieden ergänzt, dass ein großer Teil der Täter minderjährig sei. Dahinter stecke dann oft Unwissenheit.
Dieden zeigt eine Folie. Die Überschrift: Klassenchat 7c. Darunter: nichts. „Was sehen sie?“, fragt der Polizist – und antwortet selbst: „Nichts, genau. Die Straftaten in diesem Chat waren so hart, dass eine Darstellung hier in diesem Vortrag wieder eine Straftat gewesen wäre.“ Gewalt, Kinderpornografie, Extremismus, Volksverhetzung – das alles finde sich in den Chatgruppen Minderjähriger. Und das nicht selten. Dieden war lange für die Sicherung forensischer Daten zuständig. Er hat viele Handys ausgelesen und viele schwer zu ertragende Inhalte gesehen.
Die Polizei muss ermitteln, oft wäre Aufklärung aber wichtiger
Sind aufmerksame Kinder in der Chatgruppe dabei, die ihre Eltern informieren, oder aufmerksame Eltern, die einen Blick auf die Inhalte werfen, gehe oft eine „Echauffierungsspirale“ los, sagt Dieden: Die Mutter schickt das Bild, zum Beispiel das einer unbekleideten Zwölfjährigen, das jemand unter der Toilettenwand hindurch fotografiert hat, an den Vater, die Klassenlehrerin, die Elternsprecher und vielleicht noch die Eltern des Urhebers oder der Urheberin. „Auch eine Straftat“, sagt Dieden auf seine trockene Art. Verbreitung von kinderpornografischem Material. Damit sind dann alle anderen im Besitz kinderpornografischen Materials. „Ebenfalls strafbar.“
Nun kann in so einem Fall eine Strafanzeige erfolgen. Dann kommt die Polizei und ermittelt. „Mein Job ist die Strafverfolgung, ich löse keine Probleme“, sagt Dieden. Die Tragik hinter seinem Bericht: Oft wissen die Kinder und Jugendlichen und teilweise auch ihre Eltern nicht, was in der digitalen Welt strafrechtlich relevant ist und was nicht. „Ich möchte nicht gegen Kinder ermitteln, nur weil ihnen das Wissen fehlt“, sagt Dieden. Damit er das nicht tun muss, müssten Eltern sich informieren und ihren Kindern beibringen, wie die digitale Welt funktioniert. „Genauso, wie sie ihnen beibringen, im Straßenverkehr klarzukommen“, sagt Dieden.
Wichtig ist dem Experten auch das Thema „Cybergrooming“. Er fragt: „Was glauben sie, wo Menschen, die Interesse an jungen Menschen haben, sich rumtreiben?“ Und verweist auf die Spiele-Welten, in denen Kinder und Jugendliche heute große Teile ihrer Freizeit verbringen. Kriminelle, die Kontakte zu Kindern anbahnen, geben sich dort zum Beispiel selbst als minderjährig aus, verschenken Spielinhalte, geben positive Kommentare zur Spielleistung des Kindes ab, schaffen ein Abhängigkeitsverhältnis. Irgendwann schickt das Kind dem Fremden möglicherweise Bilder von sich oder stimmt gar einem realen Treffen zu. „Davon bekommen sie möglicherweise nichts mit“, warnt Dieden.
Sein nächster Punkt: „Das Internet erklärt ihren Kindern, was Sexualität ist und wie sie auszusehen hat“, sagt Dieden: „Es prägt die Sexualvorstellungen eines Zwölfjährigen. Es gibt vor, welche Praktiken ich als Frau anbieten muss.“ Sein Rat an die zum wiederholten Mal an diesem Abend erschrocken schweigenden Eltern im Raum: „Ja, man kann mit Kindern über Pornografie reden. Wenn nicht, tut es ein anderer.“
Zum Abschluss erzählt Dieden noch von „einem Server in den russischen Internetgefilden“. Auf diesem lägen völlig legale Kinderbilder. Versehen mit Kommentaren, die der Polizist nicht wiedergeben will. Sein Appell: „Es ist nicht entscheidend, was wir uns denken, wenn wir Bilder unserer Kinder in den Sozialen Medien teilen.“ Auf die Bildersammlung auf diesem russischen Server sei beim letzten Check bereits 14 Millionen Mal zugegriffen worden. Damit schließt sich der Kreis zum Beginn des Vortrags, den Dieden mit einem Video der Deutschen Telekom gestartet hatte. Es heißt „Nachricht von Ella“ und erzählt, wie aus den sorglos von Eltern geteilten Bildern eines Mädchens mithilfe von Künstlicher Intelligenz digital eine ältere Version von Ella erschaffen wird, die ihre Eltern dann per Videobotschaft sehr eindringlich bittet: „Beschützt meine digitale Privatsphäre.“