Die Fahnder können einen großen Erfolg im Kampf gegen Pädokriminelle für sich verbuchen. Führende Hintermänner eines riesigen Missbrauchsforums sitzen in Untersuchungshaft, zwei Verdächtige stammen aus NRW.
Millionen Bilder von KinderpornografieDarknet-Plattform abgeschaltet – Mit Alkohol Mädchen zum Missbrauch gefügig gemacht
Der Name der Darknet-Plattform klang wie ein bekanntes Märchen: Alice im Wonderland. Dahinter aber verbarg sich das Grauen. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ konsumierten und verbreiteten mindestens 200.000 Pädokriminelle weltweit in den abgeschotteten Foren Bilder- und Videodateien über Kindesmissbrauch. Ein Großteil stammte offenbar aus Deutschland.
Nach vier Jahren verdeckter Nachforschungen haben die Duisburger Ermittler der Besonderen Aufbauorganisation „Zarewitsch“ (Zarensohn) zwischen dem 24. und dem 28. September mit 200 Polizeibeamten eine Bande ausgehoben, die eine der größten digitalen Kinderporno-Tauschbörsen im Darknet betrieb. Die bundesweiten Razzien wurden in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein durchgeführt. Dabei vollstreckten die Einsatzkräfte sieben Durchsuchungsbeschlüsse. Sechs Hauptakteure im Alter zwischen 43 bis 69 Jahren gingen in Untersuchungshaft. Zwei Tatverdächtige stammen aus Jüchen bei Neuss und Minden. Den Tatverdächtigen drohen Haftstrafen zwischen 2 und 15 Jahren.
NRW-Innenminister Reul: „Ermittlungskomplex, der wegen seines Umfangs schwindelerregend ist“
Bei einer Pressekonferenz am Dienstagvormittag im Duisburger Polizeipräsidium sprach Landesinnenminister Herbert Reul von einem „Ermittlungskomplex, der wegen seines Umfangs schwindelerregend ist“. Seit 2019 konnten Pädokriminelle laut dem CDU-Politiker in dem Forum „ihre abscheulichen Fantasien“ ausleben.
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Den Angaben zufolge handelt es sich um einen der größten Ermittlungskomplexe, die durch Polizei und die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW) bei der Kölner Staatsanwaltschaft seit April 2020 gegen die deutschsprachige Führungsriege geführt wurde. Gegen die andere Hälfte der maßgeblich Beteiligten im Ausland laufen die Ermittlungen noch.
Allein bei einem Tatverdächtigen fanden sich Millionen kinderpornografische Bilder
Wie aufwühlend der Vorgang auch für Polizeiprofis ist, zeigte der emotionale Beitrag Kai-Arne Gailers. Er ist der Leiter der Ermittlungskommission (EK) und schilderte sichtlich bewegt, wie er sich für die Führung der EK im Jahr 2023 entschieden hatte. Die furchtbaren Bilder über Kindesmissbrauch kannte er bereits aus einem anderen Verfahren. Als Vater kleiner Kinder habe er tagelang nicht schlafen können. Als man ihn fragte, ob er die Ermittlungen lenken wolle, besprach sich der Kriminalhauptkommissar zunächst mit seiner Familie. Auch habe er sich selbst geprüft: „Kann ich das?“ Schließlich hat Gailer diese Frage mit Ja beantwortet um nun einen großen Erfolg zu verbuchen.
Seine Schilderungen über den Aufbau der Kinderporno-Plattform lassen erahnen, welche perfiden Vorstellungen die User hinter Alice im Wonderland antrieben. Die Foren wurden auf deutscher Seite durch die inzwischen inhaftierten Beschuldigten betrieben. Einige von ihnen waren bereits einschlägig vorbestraft, manche befanden sich nur auf Bewährung in Freiheit, einige mussten sich als richterliche Auflage in eine Therapie begeben. Dennoch machten die Männer weiter. Wie Junkies neuen Stoff brauchen, kreierten sie ein Forum, um immer neues Missbrauchsmaterial zu beschaffen. Geld spielte keine Rolle.
Duisburgs Polizeipräsident Alexander Dierselhuis sprach von einer Sucht, die immer wieder aufs Neue befriedigt werden müsse. Und zwar in großen Mengen. Allein bei einem Tatverdächtigen fanden sich Konvolute in der Größe von 13,5 Terrabyte. Dies entspricht 3,4 Millionen Bilddateien. Bei einem der Inhaftierten habe man quasi die gesamte Geschichte der Kinderpornografie auf Speichermedien sichergestellt, so der Polizeichef. „Von Magnetbändern über Videokassetten bis zu Festplatten und dem USB-Stick.“ Nur dass auf modernen Datenträger weitaus mehr Material passt als in früheren Zeiten. Heißt: Das Internet, die sozialen Netzwerke und der digitale Fortschritt bei Speicher- und Kommunikationsmedien lassen die Zahlen bei der Verbreitung von Kinderporno-Dateien geradezu explodieren.
Wenige Klicks zu Missbrauchsaufnahmen
Seit Jahren berichten Experten, wie leicht man mit ein paar Klicks an die schlimmsten Missbrauchsaufnahmen gelangt. Markus Hartmann, Chef der ZAC, betonte, dass „die digitale Infrastruktur inzwischen ein zentraler Faktor“ für die Verbreitung von Kinderpornografie sei. So auch die Plattform Alice im Wonderland.
Die Betreiber kommen alle aus der pädokriminellen Szene, erläuterte EK-Chef Gailer. Die Festgenommenen hatten demnach die Rollen der Administratoren und der globalen Moderatoren unter sich aufgeteilt. Diese Männer legten ein Reglement fest: Wie gelangt man in die geheimen Chats und Foren hinein, welche Missbrauch-„Ware“ gewährt Zugang in die verschiedenen Bereiche von Alice im Wonderland. Die Wonderland-Besucher agierten unter Legenden. Je schlimmer das Material, desto mehr Reputationspunkte ergatterte der Anbieter.
Alkohol und Medikamente, um Kinder gefügig zu machen
Die Plattform glich einer verstörenden Tauschbörse, in der Mitglieder das Leid von Kindern gegen das Leid anderer Kinder einhandelten. Die Plattform verbreitete einzig Aufnahmen missbrauchter Mädchen. „Zunächst gab es Regeln“, so der Kriminalhauptkommissar. Sexuelle Quälereien durften nicht eingespeist werden. Das galt zunächst auch für Dateien von Kindern unter drei Jahren. Später aber wichen die Betreiber von ihren Vorgaben ab. Ein sogenannter „Toddler-Bereich“ entstand, der den Missbrauch von Babys abbildete. Manche Nutzer suchte denn auch Kontakt zu Leuten, die Zugang zu Säuglingen oder Kindern verschaffen könnten. In Chatrunden redeten sich die User der Plattform ihre perversen Neigungen schön und gaben sich Tipps, wie man Opfer gefügig machen könne; von Geschenken, Alkohol und Medikamenten sei dort die Rede gewesen, so Gailer. Die Mädchen seien nicht mehr als Kinder angesehen worden, „sondern rein als Sexobjekte“.
Ausgelöst wurde das Mammutverfahren durch einen Hinweis aus Bayern. Die Kripo dort hatte Verdächtige in einem anderen Kinderporno-Verfahren ausgemacht. Eine Spur führte zu einem Nutzer in Duisburg. Als die Ermittler bei ihm auftauchten, knickte der Mann ein und offenbarte seine Zugangsdaten zu Plattformen wie Alice im Wonderland. Inzwischen gelang es den Ermittlern mindestens 450 User zu identifizieren – jeden Tag steigt die Zahl.
Aber den Erfolgen geht eine mühsame Detailarbeit voraus. Da die Täter sich meist hinter falschen Namen im Darknet verstecken, müssen die Strafverfolger in kriminalistischer Feinarbeit anhand von Bildern, Dateien oder Hinweisen aus den sichergestellten Chats die wahre Identität der Personen herausfiltern, die hinter den Legenden stehen. „Hier liegt noch ein langer Weg vor uns“, erklärte Gailer. Im Livestream der Polizei Duisburg zur Pressekonferenz wandte er sich direkt an die noch unbekannten Pädokriminellen der enttarnten Plattform. „Ich weiß, dass manche zuschauen“, sagte Gailer. „Sie zerstören diese Kinder.“ Der SOKO-Chef appellierte, auszusteigen. Wenn die Polizei vor der Tür stehe, sei es für aktive Reue zu spät.