Kölner Dezernent über Schulbau„In der Vergangenheit ist zu wenig gemacht worden“
- Robert Voigtsberger ist seit dem Sommer neuer Kölner Dezernent für Bildung, Jugend und Sport.
- In seinem ersten großen Interview spricht der 38-Jährige über die Herausforderungen der wachsenden Stadt.
- Der ausgebildete Sportwissenschaftler hält die Ausbaupläne des 1. FC Köln im Grüngürtel aus fachlicher Sicht für „nachvollziehbar“.
Köln – Herr Voigtsberger, was ist die größte Herausforderung für einen neuen Schul-, Sport und Jugenddezernenten in Köln?Robert Voigtsberger: Die Stadt ist von einem starken Wachstum geprägt. In den vergangenen drei Jahren ist Köln um fast 20.000 Menschen gewachsen. Bis zum Jahr 2030 wachsen wir um über 40.000 Menschen. Das entspricht andernorts der Größe einer Stadt. Das muss man sich vor Augen halten, wenn wir darüber sprechen, wie die Bildungslandschaft, das Angebot für Jugendliche oder die Sportinfrastruktur mitwachsen müssen. Bei den Unter-Dreijährigen haben wir sogar ein Wachstum von 25 Prozent seit 2005. Damit verbinden sich gleich mehrere große Herausforderungen.
Es wird zurzeit heftig darum gerungen, wie viele Flächen man für Neubauten in einer wachsenden Stadt verbrauchen darf. Was ist Ihre Meinung?
Ich denke, dass wir mehr innovative Lösungen brauchen, indem wir schauen, wie man die vorhandenen Flächen optimal nutzen kann. Ein Beispiel sind kleinere Bildungslandschaften, aber auch zum Beispiel die Öffnung von Schulhöfen als zusätzlichen Bewegungsraum. Das würde ich gerne an einigen Stellen ausprobieren, um Erfahrungen zu sammeln.
Was sagen Sie zur Debatte um die Ausbaupläne des 1. FC Köln im Grüngürtel?
Zurzeit werden die vielen Tausend Eingaben und Argumente aus der Bürgerschaft abgewogen. Dann entscheidet die Politik. Aus sportfachlicher Sicht ist der Wunsch des 1. FC Köln nach einer optimierten Infrastruktur nachvollziehbar. Da ist vieles nicht mehr zeitgemäß und beengt. Und wenn wir über begrenzte Flächenkapazitäten sprechen, muss man wissen, dass ein Kunstrasenplatz 2000 Stunden im Jahr genutzt werden kann, ein Natur-Rasenplatz aber nur circa 800.
Trotzdem geht durch den Bau eines Sportplatzes eine Grün- oder Brachfläche verloren. Bremst der Klimaschutz die Sportstadt aus?
Die Interessen des Sports und der Umweltschutz dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Unterstützung der vielen engagierten Ehrenamtlichen in den Sportvereinen, die sich täglich um das Gemeinwohl kümmern, ist mir sehr wichtig. Bei ihrer Arbeit verbinden sich Gemeinschaft, Aktivität und Solidarität. Das ist ein wichtiger sozialer und integrativer Anker in unserer Stadtgesellschaft. Wenn Köln Sportstadt sein will, geht es nicht nur um die großen Namen, sondern auch um die vielen kleinen Vereine und den Breitensport.
Viele Kinder lernen nicht mehr schwimmen. Braucht die wachsende Stadt auch mehr Schwimmbäder?
Alle Strukturen müssen mitwachsen.
Jedes fünfte Kind in Köln ist von Armut betroffen, in einigen Stadtteilen sogar jedes zweite. Wie können Sie Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit für Kinder und Jugendliche sichern?
Wenn wir über Chancengleichheit sprechen, müssen wir ehrlich sein: Es kann nicht nur um die Frage gehen, ob alle Kinder die gleichen Chancen haben. Man muss sich auch anschauen, ob denn alle Kinder gleichermaßen in der Lage sind, ihre Chancen auch zu nutzen.
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Was kann die Stadt dafür tun?
Wir müssen niedrigschwellige Angebote da platzieren, wo sie notwendig sind. Wir planen zukünftig ein Familienbüro in Kalk, um Angebote zu bündeln und verständlich machen. Ökonomische Armut können wir als Stadt nicht verhindern. Das wird auf anderen Ebenen entschieden. Wir können aber Beiträge zur Prävention von Armut leisten. Überprüfen muss man, ob die vielen Angebote gut ineinandergreifen und wirken. Ich möchte mit meinen Kolleginnen und Kollegen ein Strategiepapier entwickeln, das wir bis zum Ende des Jahres in die politische Diskussion einbringen. Wir brauchen hochwertige Angebote vor Ort, dazu gehört auch eine hochwertige Schulinfrastruktur.
Davon sind wir an vielen Orten noch weit entfernt. Wie würden Sie den aktuellen Zustand der Kölner Schulen beschreiben?
Es gibt 261 Schulen in städtischem Eigentum – da ist die Qualität sehr unterschiedlich. Die Stadt hat eine Prioritätenliste erstellt mit über 200 Maßnahmen, die nicht nur Neubauten, sondern Erweiterungen und Generalsanierungen betreffen. Bis Ende des Jahres werden wir ein weiteres Beschleunigungspaket auf den Weg bringen. In den vergangenen Jahrzehnten ist zu wenig gemacht worden. Das kann man nicht schönreden. Wir haben da alle viel Arbeit vor uns, und da möchte ich betonen, dass die Zusammenarbeit mit dem Kollegen Greitemann (Baudezernent, Anm. d. Red.) und seinem Team wirklich gut klappt.
Ihre Vorgängerin Agnes Klein hat gesagt, die Strukturen der öffentlichen Verwaltung sind nicht in der Lage, mit dem Tempo des Wachstums Schritt zu halten...
Das sehe ich auch so. Deshalb arbeiten wir bei den Beschleunigungspaketen auch mit privaten Total- und Generalunternehmern. Im Kita-Bereich fahren wir sehr erfolgreich mit der Zusammenarbeit mit privaten Investoren. Anders geht es nicht. Neben der Wohnungsbau- und Klimaoffensive brauchen wir eine Schulbauoffensive. Wir müssen deutlich schneller werden. Mehr als fünf Jahre darf ein Schulbau vom Planungsbeschluss bis zur Fertigstellung nicht dauern.
Zur Person
Robert Voigtsberger ist im April vom Kölner Stadtrat zum Dezernenten für Bildung, Jugend und Sport gewählt worden. Der 38 Jahre alte ausgebildete Sportwissenschaftler war zuvor Dezernent in der Kleinstadt Stolberg bei Aachen. Voigtsberger ist verheiratet und Vater zweier Kinder. (red)
Aber die Kinder, die einen Schulplatz brauchen, sind ja jetzt schon in großer Zahl da. An Gesamtschulen wurden mehr als 700 Kinder abgelehnt, an Gymnasien kommt man nur über die Runden, weil man die Klassen vergrößert und zusätzliche Klassen bildet, ohne für sie zu bauen. Was sagen sie den Familien, die Angst haben, keinen Schulplatz zu finden?
Die Schwierigkeiten, die Eltern bei der Kita- und Schulplatzsuche erleben, bedauere ich außerordentlich. Als Vater von zwei Grundschülern kann mich da gut hineinversetzen. Wenn man ehrlich sein will, muss man aber auch sagen: Diese Herkulesaufgabe ist nicht von heute auf morgen zu lösen. Aber da, wo es möglich ist, müssen wir mit Interimslösungen und Übergangslösungen arbeiten. Ich werde bis Ende des Jahres eine überarbeitete Schulentwicklungsplanung vorstellen, die stärker auf die kleinräumige Bevölkerungsprognose in den einzelnen Stadtteilen eingeht.
Wie können denn Übergangslösungen aussehen?
Wir müssen uns anschauen, ob es Räume gibt, die sich als Teilstandorte von bestehenden Schulen eignen. Wir werden prüfen, wie man mit modularen Bauten weitere Zwischenlösungen ermöglicht. Um das Offene Ganztagsangebot an den Grundschulen auszubauen, werden wir über neue Kooperationsmodelle nachdenken. Nahegelegene Infrastrukturen zum Beispiel im Bereich des Sports könnten sich in die offene Ganztagsbetreuung einbringen.
Es gibt Hauptschulen, wo keine 20 Kinder mehr angemeldet werden. Planen Sie weitere Schulschließungen, um den Raum für Angebote von Gymnasien und Gesamtschulen nutzen zu können?
Auf Grundlage der überarbeiteten Schulentwicklungsplanung werden wir uns das genau ansehen. Ich bin keiner, der mal eben das Auslaufen von Schulen bekanntgibt. Klar ist aber, dass für uns der Elternwille entscheidend ist und wir deshalb mehr Gesamtschul- und Gymnasial-Plätze brauchen. Wichtig ist für mich aber auch: Wir brauchen keine neue Schulformdebatte.
Ist das nicht für jemanden, der Schulpolitik macht, zu wenig, nur den Elternwillen zu erfüllen?
Das Schulgesetz verlangt, dass wir den Elternwillen erfüllen. Und das ist die Leitlinie für einen kommunalen Schuldezernenten.
Wie wird die Schullandschaft in zehn, 15 Jahren aussehen?
Wenn man sieht, wie sich Eltern seit Jahren entscheiden, stellt man einen deutlich spürbaren Trend in Richtung eines zweigliedrigen Systems von Gesamtschule und Gymnasien fest.