Feldzug gegen das KorsettKölnerinnen kämpften gegen das Modediktat der Wespentaille
- In der Serie „Frauen voran“ stellt der „Kölner Stadt-Anzeiger“ Frauen vor, die in der Geschichte der Stadt eine besondere Rolle gespielt haben.
- Viele von ihnen sind heutzutage in Vergessenheit geraten, obwohl sie zu ihrer Zeit Pionierarbeit geleistet haben.
- Diesmal geht es um die Kleiderreformerin Clara Sander, die mit ihrem Verein gegen das Korsett kämpfte. Das Marterinstrument raubte den Frauen den Atem und sorgte regelmäßig für Ohnmachtsanfälle.
Köln – „Man kann sich heute kaum die Narrheit vorstellen, die sich in der Frauenkleidung zeigte, wie sie um die Jahrhundertwende war. Die Gestalt der Frau glich damals einer Sanduhr. Was in der Körpermitte zusammengepresst wurde, quoll unterhalb und oberhalb hervor. Hüften und Büste mussten voll und rund sein. Wo etwas fehlte, wurde durch eine Polsterung nachgeholfen.“ Die Erinnerungen der Kölner Kleiderreformerin Clara Sander, aufgeschrieben im Londoner Exil, wohin die Jüdin vor den Nazis geflüchtet war, zeigen plastisch, was das Modediktat den Frauen der damaligen Zeit abverlangte.
Die Dame von Stand trug lange Kleider mit Schleppe, Stöckelschuhe, weit ausladende Hüte, die mit langen Nadeln an der Friseur befestigt waren, und vor allem: ein Korsett, das sie einzwängte und ihr den Atem nahm. Selbst vor Schwangeren machte das Marterinstrument nicht halt. Nicht umsonst war Riechsalz, das gegen Ohnmachtsanfälle und Schwindel helfen sollte, weit verbreitet.
Gegen den Wespentaillen-Wahn hatte sich 1897 in Berlin der „Deutsche Verband zur Verbesserung der Frauenkleidung“ gegründet und damit eine Bewegung in zahlreichen Städten losgetreten. In Köln rief Clara Sander 1903 gemeinsam mit einigen Mitstreiterinnen einen gleichnamigen Verein ins Leben. Sie warben für einen Kleidungsstil, der den Frauen ihre Bewegungsfreiheit wiedergab, betrieben ein Beratungsbüro, organisierten Ausstellungen und gaben sogar eine eigene Zeitschrift heraus.
Die Kölner verspotteten die Kleider als „Naakspunjel“
Bei den Kölnern, die die locker sitzenden Gewänder der Kleiderreformerinnen als „Naakspunjel“, als Nachthemden, oder Reformsäcke verspotteten, stießen sie damit allerdings zunächst auf wenig Gegenliebe.
Auch dem anspruchsvollen Modeempfinden von Clara Sander konnte das typische Reformkleid nicht gerecht werden. Noch als über 80-Jährige schwärmte sie in ihren Memoiren mit dem Titel „Alte Geschichten“ von der Eleganz und der Schönheit der Kleider, die sich die weiblichen Familienmitglieder schneidern ließen.
Überhaupt war Clara Sander das Rebellentum nicht in die Wiege gelegt. Geboren als Clara Loeser 1871 in Frankfurt, wuchs sie in Lüttich auf, wo ihr Vater kaufmännischer Direktor einer Zinkhütte war. Zu ihrer behüteten Kindheit und Jugend gehörten das Kindermädchen und die Klavierstunden am Konservatorium ebenso wie die Sommerfrische in Spa und später die Bälle und Theaterbesuche. Doch Sander litt unter den gesellschaftlichen Zwängen, die unverheiratete Frauen ihres Standes zum Nichtstun verurteilten. „So schlug ich die Zeit tot und war mit mir selbst und der Welt unzufrieden. … Soziale Arbeit war Sache der Mütter. Die wohlbehüteten Töchter durften sich nur im Haus betätigen. Um aus diesem engen Kreise herauszukommen, verlobte ich mich mit 21 Jahren mit Vetter Gustav.“
Die Verlobung mit dem deutschen Rechtsanwalt Gustav Sander wurde zwar wieder gelöst, aber einige Jahre später heiratete das Paar und zog nach Köln. Die Sanders bekamen drei Kinder, darunter Tochter Bertha, der das Kölner NS-Dokumentationszentrum 2013 eine eigene Ausstellung widmete. Die begabte Innenarchitektin musste 1936 mit ihrer Mutter vor den Nazis fliehen, was ihrer Berufskarriere ein Ende setzte.
In Köln schließlich fand Clara Sander das Betätigungsfeld, das sie so vermisst hatte. Seit Jahren hatten vor allem Ärzte immer wieder vor den gesundheitlichen Gefahren des Korsetts gewarnt und die Folgen der Schnürung für innere Organe und Brustkorb betont. Clara Sander selbst hatte sich auch als junges Mädchen nie dem Diktat der Wespentaille unterworfen und so war die Gründung des Vereins zur Verbesserung der Frauenkleidung nur folgerichtig.
Die Knechtschaft der Mode
Eine ihrer wichtigsten Mitstreiterinnen wurde Else Wirminghaus, Gattin des Syndikus der Handwerkskammer Köln, über die sie schrieb: „Als sie die Organisation unseres Vereins für Verbesserung der Frauenkleidung in die Hand nahm, bekam die Sache Gestalt. Sie selbst hatte keine Ahnung von Kleideranfertigung, aber sie war fest überzeugt davon, dass eine Emanzipation der Frau unmöglich war, solange sie die Knechtschaft der Mode ertrug und durch die Einschnürung der Körpermitte sich allerhand Gebrechen zuzog, die sie im Wettbewerb mit dem Mann ins Hintertreffen brachte.“
Eine der ersten Aktionen des Vereins war eine öffentliche Versammlung in einem Nebenraum des Gürzenich. 100 interessierte Frauen kamen und zahlten jeweils einen Mitgliedsbeitrag von zwei Mark. Mit dem Geld mietete der Verein ein paar Souterrain-Räume am Deutschen Ring, dem heutigen Ebertplatz. Jeden Donnerstag war die Beratungsstelle geöffnet und die Frauen verliehen Schnittmuster und berieten in Kleiderfragen.
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Dass sie mit dem „primitiven Schnitt“ des Reformkleides, eines losen, von den Schultern getragenen Gewandes mit Bolerojäckchen, nicht weit kommen würden, war Clara Sander bewusst. „Wir im Westen wussten ganz gut, dass wir, um die Wespentaille abzuschaffen, etwas bieten mussten, was schneidertechnisch ebenso gut war wie die Pariser Kleidung.“
Also engagierten die Kölnerinnen einige Modezeichnerinnen, die eine Kleiderform entwarfen, die „gut um die Hüften anschloss, also nicht herumschlotterte“. Mit einer belgischen Modezeichnerin veranstaltete der Verein eine Ausstellung im Hotel Disch mit 20 Kleidern, die sie auf Puppen zogen. Das Interesse war groß und brachte erneut Geld in die Kasse, weil kurzerhand alle Besucherinnen, die die Kleider sehen wollten, als zahlende Mitglieder rekrutiert wurden.
Der Auftritt von Ausdruckstänzerin Isadora Duncan sorgte für einen Skandal
Einen weiteren Coup landete der Verein 1904. Else Wirminghaus, die sich nicht nur für die Kleiderreform, sondern auch für die gesunde „Körperkultur der Frau“ interessierte, lud die amerikanische Ausdruckstänzerin Isadora Duncan nach Köln ein. Die Vorführung sollte im größten Konzertsaal Kölns in der Bürgergesellschaft stattfinden. Doch als die Herren der katholischen Gesellschaft erfuhren, dass Isadora Duncan in kurzer Tunika und barfuß auftreten sollte, wollten sie die Darbietung verbieten.
Die Frauen ließen sich jedoch nicht beirren. Clara Sander erinnert sich: „Der Tanz hatte kaum begonnen, ich saß in stummem Staunen über das Wunder Isadora Duncan, der Saal war verdunkelt, da berührte mich jemand an der Schulter. Es war der Saaldiener. Ich erschrak heftig. ’So’, dachte ich, ’jetzt ist das Unglück da. Jetzt kommt die Polizei und befiehlt, dass wir sofort Schluss machen mit der kurzen Tunika und den nackten Beinen.’ Aber der Schreck ging vorüber. Der Diener meldete, dass soeben von Baronin Oppenheim ein großes Blumenarrangement abgegeben worden sei und was damit geschehen solle.“
Trotz hoher Unkosten erwirtschaftete der Verein mit der Tanzvorführung einen Gewinn von 600 Mark, die er in die Gründung einer eigenen Zeitschrift steckte. Die erste Ausgabe von „Die neue Frauenkleidung“ erschien am 1. Januar 1905 und schon drei Jahre später wurde das Lokalblatt zum offiziellen Organ des deutschlandweiten Verbandes zur Verbesserung der Frauenkleidung befördert.
Der Verein geriet in politisch rechtes Fahrwasser
Mit der politischen Ausrichtung von Verein und Zeitschrift allerdings konnte Clara Sander als Jüdin, die im Ausland aufgewachsen war, bald nicht mehr einverstanden sein. Im Zuge der damals populären Lebensreform-Bewegung, die zumindest in Teilen völkisch-national orientiert war, und auf Betreiben von Else Wirminghaus geriet der Verein zunehmend in zweifelhaftes politisches Fahrwasser, wie Annette Nottelmann in „10 Uhr pünktlich Gürzenich“ schreibt, einer Publikation des Kölner Frauengeschichtsvereins.
In einem Aufsatz zur „Rassehygiene“ erhob Wirminghaus 1911 den Vorwurf, dass „die Frau die Forderungen der Mode über die ihres natürlichen Berufes gestellt und die Kräfte ihres Körpers auf Kosten ihrer mütterlichen Fähigkeiten“ gestellt habe. Von angemessener Berufskleidung sei immer seltener die Rede gewesen, so Nottelmann. „Die Frau besser auf die Mutterschaft vorzubereiten, wurde spätestens seit 1911 zentrales Anliegen des Vereins.“ Die Verbandszeitschrift wurde umbenannt und trug fortan auch den Begriff der Frauenkultur im Namen.
Clara Sander schrieb in ihren Erinnerungen dazu: „Ich war im Ausland groß geworden, war noch sehr oft in Belgien und wusste, dass der Ausländer mit der deutschen Kultur nicht ganz einverstanden war. Ich selbst gebrauchte das Wort ganz selten, widersprach aber der mir in allen Angelegenheiten weit überlegenen Frau Wirminghaus nie.“ 1920 wurde die Zeitschrift vom Bayerischen Verlag in Leipzig übernommen und der Vertrag mit den beiden Kölnerinnen aufgelöst.