Kölns erste ZeitungschefinDie Frau, die Karl Marx erklärte
- In der Serie „Frauen voran“ stellt der „Kölner Stadt-Anzeiger“ Frauen vor, die in der Geschichte der Stadt eine besondere Rolle gespielt haben.
- Viele von ihnen sind heutzutage in Vergessenheit geraten, obwohl sie zu ihrer Zeit Pionierarbeit geleistet haben.
- Diesmal geht es um Mathilde Franziska Anneke, die im Revolutionsjahr 1848 ein Zeitung in einfacher Sprache für Bürgerinnen und Bürger herausgab.
Köln – „Seht, so machen Sie’s mit Einem; da wird nun das kleine unschuldige Blättchen, die ’Neue Kölnische Zeitung’, das so sehr einfach und redlich die Wahrheit sagte, uns bei der heutigen Erklärung des Belagerungszustandes von Köln, null und nichtig gemacht.“ Als Mathilde Franziska Anneke diese Zeilen am 28. September 1848 veröffentlichte, ist ihre Situation mehr als prekär: Der Ehemann verhaftet und in den Klingelpütz geworfen, sie selber gerade ein Kind zur Welt gebracht, die von ihr mitgegründete Zeitung verboten.
Kurzerhand benennt sie das Blatt mit der revolutionären Gesinnung in „Frauen-Zeitung“ um. Die radikale Demokratin und Frauenrechtlerin will weiter gegen Kirche und preußischen Staat, für Demokratie und die Rechte von Frauen und Arbeitern schreiben.
Firmierten bei der Neuen Kölnischen Zeitung noch Annekes Ehemann Fritz sowie ein gemeinsamer Freund als Herausgeber, so tritt nun Mathilde Franziska Anneke als Alleinverantwortliche auf. „In die Verpflichtungen der beiden Männer gegen Euch, liebe Abonnenten, trete ich, ein Weib. Ich bringe Euch anstatt der Neuen Kölnischen Zeitung, die von heute an, wie man mir erzählt, nicht mehr erscheinen soll, die ’Frauen-Zeitung’.“
Ein ungeheurer Vorgang, sagt Ina Hoerner-Theodor vom Kölner Frauengeschichtsverein, „eine Frau, die sich nicht mit dem Schreiben von Briefen und Tagebüchern begnügt, sondern die Anmaßung besitzt, an die Öffentlichkeit zu gehen.“
Ein Gegenentwurf zur Zeitung von Karl Marx
Seit dem 10. September 1848 war die Neue Kölnische Zeitung wochentäglich erschienen. Die „Herausgeber“ waren zu diesem Zeitpunkt bereits in Haft beziehungsweise auf der Flucht. Alles hängt an Mathilde Franziska Anneke. Sie will eine Zeitung für die breite Masse schaffen – eine Art Gegenentwurf zur Neuen Rheinischen Zeitung des Theoretikers Karl Marx, wenn auch mit gleicher politische Gesinnung. Eine Zeitung in einfacher Sprache, die vom Leser nicht das profunde Bildungswissen eines Marx erfordert.
„Dem arbeitenden Volke zur Aufklärung zu verhelfen, wird das hauptsächliche Bestreben der Neuen Kölnischen Zeitung sein“, heißt es , in der ersten Ausgabe. „Sie wird sich bemühen, so zu schreiben, dass es auch der einfachste Arbeiter verstehen kann. Unser Wahlspruch: Wohlstand, Freiheit und Bildung für alle.“
Anneke selbst hatte zwar eine für ein Mädchen gute Bildung genossen, ist aber keine Akademikerin. Geboren wird sie als Mathilde Franziska Giesler 1817 im westfälischen Hiddinghausen, einem heutigen Ortsteil von Sprockhövel. Eine Tochter aus gutem Hause mit aufgeklärten und sozial engagierten Eltern, wie die Historikerin Karin Hockamp schreibt, die sich viel mit Anneke beschäftigt hat. Mit 19 Jahren heiratet sie den wohlhabenden Weinhändler Alfred von Tabouillot, doch der erweist sich schnell als gewalttätiger Alkoholiker.
Die Scheidung wird zum politischen Erweckungserlebnis
Mit ihrer gerade geborenen Tochter sucht sie nach nur einem Jahr das Weite. Aber erst nach drei Jahren und drei Prozessen wird die Ehe geschieden. Die Richter werfen Mathilde „bösliches Verlassen“ vor und wollen sie zwingen, zu ihrem Ehemann zurückzukehren.
Die Erfahrung wird ihr zum politischen Erweckungserlebnis. „Nach dem Ausgang eines unglücklichen Scheidungsprozesses meiner ersten Ehe, worin ich ein Opfer der preußischen Justiz wurde, war ich zum Bewusstsein gekommen und zur Erkenntnis, dass die Lage der Frauen eine absurde und der Entwürdigung der Menschheit gleichbedeutende sei“, schreibt sie im Rückblick.
Mathilde, alleinerziehende Mutter ohne finanzielle Mittel, hält sich ab 1838 mit dem Schreiben von Texten aller Art über Wasser, ist auch Mitarbeiterin der „Kölnischen Zeitung“ des Verlegers Joseph DuMont und anderer Zeitungen. In Münster , wo sie eine Zeit lang unterkommt, lernt sie ihren zweiten Mann Fritz Anneke kennen, einen wegen seiner politischer Einstellung unehrenhaft entlassenen Offizier.
1847 zieht das Paar nach Köln, wo es nach der Pariser Februarrevolution 1848 zu den führenden Aktivisten der revolutionären Bewegung wird. Köln ist in dieser Zeit die Hochburg der rheinischen Opposition. Karl Marx, der gerade gemeinsam mit Friedrich Engels das Kommunistische Manifest herausgebracht hat, siedelt nach Köln über – und wird Chefredakteur der Neuen Rheinischen Zeitung.
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Mathilde Franziska Anneke führt, gemeinsam mit ihrem Mann, in ihrer Wohnung einen Salon, „ein ästhetisches Kränzchen von lauter Communisten“, wie sie es nennt. Hier treffen sich politisch Gleichgesinnte wie Ferdinand Lassalle, Hoffmann von Fallersleben, Ferdinand Freiligrath und die Dichterin Emma Bunteschu (von Hallberg). Auch zu Karl Marx besteht Kontakt. Aus dem Kreis heraus gründet sich der Kölner Arbeiterverein, der zeitweilig mehr als 7000 Mitglieder aufweist.
Bereits 1847 hatte Anneke eine feministische Streitschrift veröffentlicht: „Das Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen“. Eine Verteidigung der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Louise Aston, die wegen ihres unangepassten Lebenswandels – sie veröffentlichte erotische Gedichte, trug Männerkleidung und rauchte auf der Straße – als gefährliche Person aus Berlin ausgewiesen worden war. „Warum sollte das Weib schweigsame Dulderin fortan noch sein? Warum noch länger die demütige Magd eines Herrn, der zum Despoten ihres Herzens geworden ist?“ , schreibt sie.
Im Revolutionsjahr 1848 schließlich bekommt Mathilde Franziska Anneke die Gelegenheit, selbst aktiv in das politische Geschehen einzugreifen – erleichtert augenscheinlich durch die „Ausschaltung“ der Männer um sie herum, wie die Autorin Christiane Kling-Mathey in dem von ihr und Irene Franken herausgegebenen Stadtwanderungs- und Lesebuch „Köln der Frauen“ schreibt.
Während Ehemann Fritz im Klingelpütz sitzt, überschlagen sich die Ereignisse. Gerade erst hat sie ihren Sohn geboren, da stürzt sich die Mutter von nunmehr zwei Kindern ins Zeitungsgeschäft. Die 31-Jährige schreibt und redigiert, organisiert Korrespondenten und Geld, kümmert sich um den Vertrieb. Die geräumige Wohnung am Rheinufer ist teilweise ausgeräumt, um einer Druckerei Platz zu machen. In einem Brief an eine Freundin schreibt sie später: „Das Blatt, die Druckerei, das Proletariat, das in Haufen zu mir gelaufen kommt, wenn’s sich um seine Rechte betrogen glaubt – Frauen sowohl wie Männer – alles oblag mir allein.“
Als die preußische Staatsmacht die Zeitung zeitweise verbietet, hebt Anneke kurzerhand die Frauen-Zeitung aus der Taufe, wohlwissend, dass auch dieser kein langes Leben beschert ist. Bereits die dritte Ausgabe wird von der Zensur eingezogen. Die Neue Kölnische Zeitung (NKöZ) kann dann doch noch einige Monate weiter erscheinen, und als die Neue Rheinische Zeitung von Marx im Mai 1849 verboten wird, setzt dieser Anneke quasi als politische Erbin ein. „Wir eröffnen dem Publikum ein Abonnement für die NKöZ“, heißt es in der letzten Ausgabe vom 19.5. 1849. Alle noch eingehenden Berichte sollten dorthin überstellt werden.
Doch im Juni endet für Anneke die Zeit in Köln. Sie reist ihrem Mann hinterher, der sich den Revolutionstruppen des Badisch-pfälzischen Feldzugs angeschlossen hat. Hoch zu Ross fungiert sie als dessen Ordonnanzoffizierin, ist Kundschafterin und Botschafterin zu Pferde. Nach der Niederschlagung des Aufstands muss das Paar fliehen und emigriert noch im selben Jahr nach Amerika.
In Milwaukee siedeln sie sich an. Anneke steigt in den folgenden Jahren zu einer führenden Vertreterin der amerikanischen Frauenrechtsbewegung auf und engagiert sich auch gegen die Sklaverei. Sie bekommt noch fünf weitere Kinder, gründet eine fortschrittliche Mädchenschule und geht nach der Trennung von ihrem Mann eine Lebensgemeinschaft mit einer Frau ein.
Mathilde Franziska Annekes Leben ist in vielfacher Hinsicht eine Revolution gewesen“, so Ina Theodor-Hoerner. Als sie 1884 stirbt, ist sie in Deutschland vergessen, in Amerika aber ist sie eine berühmte Frau.