Innenstadt – „Dank für Examen“, steht auf einer Tafel, „In Dankbarkeit und Verehrung“ auf einer anderen, und auf einer dritten: „Dank für Hilfe in großer Not.“ Wer die Vorhalle von St. Georg betritt, stößt auf Dankesbezeugungen. Sie stehen auf Votivtafeln oder sind auf die Wände gekritzelt.
Alle richten sich an den heiligen Judas Thaddäus, der dort als Steinskulptur mit verwittertem Anstrich betet. „Wichtige Anlaufstelle“ und „Ort niedrigschwelliger Religiosität“ nennt Hermann-Josef Reuther die Vorhalle; zugleich sei sie ein „Sorgenkind“, weil die Kritzeleien den Respekt vor dem geweihten Ort vermissen ließen.
Schäden durch Bau der Nord-Süd-Stadtbahn
Weitaus größere Sorgen haben ihm allerdings die Schäden durch den Bau der Nord-Süd-Stadtbahn bereitet. Doch zurzeit überwiegt Feierlaune: St. Georg, die einzige erhaltene Säulenbasilika des Rheinlandes, begeht in diesem Jahr ihr 950-jähriges Jubiläum. Am 3. Mai beginnt aus diesem Anlass eine Vortragsreihe; weitere Veranstaltungen folgen.
Die gedrungen wirkende Kirche im Georgsviertel, die Heimat der Seelsorge für Hörbehinderte im Erzbistum ist, hat manches knapp überstanden. Mitte des 19. Jahrhunderts musste sie wegen Einsturzgefahr geschlossen bleiben, 1927 drohte sie erneut zusammenzubrechen, und im März 1945 wurde sie in großen Teilen zerstört, etwa die Vorhalle aus der Renaissancezeit, die Vierung mit den Querarmen und die Barockhaube auf dem Westchor, der heute ein Walmdach trägt.
Erzbischof Anno II. war es, der im Jahr 1059 an der Stelle, wo eine dem römischen Märtyrer Caesarius geweihte Kapelle stand, ein Chorherrenstift ansiedelte. Er ließ die Kapelle abreißen und durch eine dreischiffige Säulenbasilika mit zwei Chören, flacher Holzdecke und Querschiff bauen. 1067 wurde sie fertiggestellt, 1074 geweiht. In der Zwischenzeit hatte der Erzbischof die Reliquien des Heiligen Georg aus der Abtei St. Pantaleon hierher überführen lassen.
Gratgewölbe von St. Georg aus dem 12. Jahrhundert
1150 wurde die Flachdecke durch ein Gratgewölbe ersetzt; aus statischen Gründen war es nötig, zwischen den Säulen, die zum Teil aus der Römerzeit stammten, zusätzlich zwei Pfeiler zu errichten. Durch die Jahrhunderte folgten weitere Um- und Anbauten. So trug man im 18. Jahrhundert die beiden Querhausarme ab und malte den Innenraum barock aus.
Über eine nördlich gelegene Vorhalle war St. Georg lange Zeit mit der Pfarrkirche St. Jakob verbunden; diese verschwand, als 1825 die Georgstraße angelegt wurde. Das Verschwinden drohte dann auch der Stiftskirche: In den 1920er Jahren war von Abriss die Rede. Doch von 1927 bis 1930 wurde sie instand- und in den romanischen Bauzustand zurückversetzt.
Die Restaurierung nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte bis 1964. Danach wurde der Innenraum noch zweimal saniert, 1978 und zuletzt 2000. Umso leichter habe sich erkennen lassen, welche Schäden durch den U-Bahn-Bau hinzugekommen seien, sagt Pastor Reuther. Tiefe Risse, zum Beispiel im leicht abgesackten Westchor, hätten sich gebildet, bedingt durch zweierlei: die Bohrungen für die Bahnstrecke und die unterirdische Erschütterung beim Einsturz des Stadtarchivs.
Zwei Anwälte habe die Arbeitsgemeinschaft der betroffenen Kirchen zur Schadenswiedergutmachung eingeschaltet – laut Reuther ein schwieriges Unterfangen, denn „wie sich Stadt und KVB verhalten, ist abgeschmackt bis zynisch“. Dass St. Georg zurzeit teilweise eingerüstet und mit Planen verhängt ist, hat einen anderen Grund. Weil Feuchtigkeit eingedrungen war, wird die Fassade aus Tuffstein abgedichtet, und das Dach wird neu mit Schiefer gedeckt. Noch unklar ist, was mit einem stark beschädigten Pfeiler in der Krypta geschehen soll.
Namenspatron ist Drachentöter Georg
Auf den Namenspatron der Kirche weist die spitzgiebelige Fassade der Vorhalle gleich zweimal hin: Sowohl im Mosaik unter dem Rundbogen des Eingangs als auch im Steinrelief darüber ist der Märtyrer und Drachentöter zu sehen, einmal neben Anno II., das andere Mal zusammen mit ihm und Maria mit dem Jesuskind. Von der Halle gelangt der Besucher ins Langhaus, in dem rote, mit Würfelkapitellen versehene Sandsteinsäulen und die zwei Pfeiler aufragen.
In beiden Richtungen sind ganz hinten, in der Mitte beider Chöre, Kruzifixe zu erkennen. Über dem Altar des Ostchors hängt die vervollständigte Kopie eines 1067 geschaffenen Triumph-Kreuzes, dessen Original im Museum Schnütgen aufbewahrt wird. In der Wand des Westchors steht ein Gabelkruzifix, ein Pestkreuz aus dem 14. Jahrhundert: Aus der drastischen Darstellung des ausgemergelten, mit blutenden Wunden übersäten Leibes Christi hofften die Kranken in ihrem Elend Trost zu schöpfen.
Romanischer Taufstein und dreiflügliges Altarbild
Zur weiteren Ausstattung zählen ein romanischer Taufstein aus dem 13. Jahrhundert, ein dreiflügeliges Altarbild, das 1556 bis 1658 in der Werkstatt von Barthel Bruyn d. J. entstanden ist und im Zentrum die Beweinung Christi zeigt, sowie sechs bunte, in expressionistischem Stil gehaltene Bleiglasfenster, die Jan Thorn-Prikker um 1930 entworfen hat.
Nördlich schließt sich an die Kirche ein Innenhof an, der an einen Kreuzgang erinnert und in dem die Opfer des letzten, schwersten Luftangriffs auf Köln am 2. März 1945 ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, unter ihnen Heinrich Fabry, der lange an St. Georg als Pfarrer gewirkt hat.
Hermann-Josef Reuther, der heutige Pfarrer, ist zugleich Leiter des Diözesanzentrums für Hörbehinderte. Seit Jahrzehnten gestalten hier Gehörlose, Schwerhörige und Hörende gemeinsam das Leben der integrativen Gemeinde. „Wir setzen das fort, was in den meisten Fällen in den Elternhäusern vorgegeben ist: die Kombi aus Hörenden und Nichthörenden“, sagt Reuther. So gibt es Lektoren, die mündlich das Wort Gottes vortragen, und solche, die dies in Gebärdensprache tun, einen Gebärden-Chor und Musikangebote für Hörende.
Gemeinsam feiert man die Gottesdienste in der mit technischen Hörhilfen ausgestatteten Kirche, in der die Sonntagsmesse mit vielen visuellen Elementen gestaltet und in Gebärdensprache übersetzt wird. Auch Pfarrer Reuther beherrscht sie – und hat in ihr auch Gedichte eingeübt: „Das ist eine Mordsarbeit, aber eine Lust. Es ist schön.“