Grünen-Chefin Martin„Ich will für Köln Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit“
- Christiane Martin, Vorsitzende der Grünen im Kölner Stadtrat, spricht im Interview über die Arbeit mit der CDU, kommunale Klimapolitik und die Kienitz-Wahl.
Frau Martin, fast ein Jahr ist es her, dass die Grünen die Kommunalwahl gewonnen haben. Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie seitdem erreicht haben?
Wir sind froh, dass wir jetzt fast alle Strukturen geschaffen haben, die wir brauchen. Die Dezernate sind so gut wie vollständig besetzt. Jetzt können wir richtig loslegen mit den Themen, die uns bewegen, die wir voranbringen wollen. Das ein oder andere konnten wir schon auf den Weg bringen.
Zum Beispiel?
Wir haben im Bündnis den Antrag gestellt, Köln bis 2035 klimaneutral zu machen. Und die Verwaltung im Rat beauftragt, bis Ende des Jahres einen konkreten Maßnahmenplan hierzu aufzustellen. Das Ziel ist ambitioniert, aber es ist realistisch.
Wie wird die Stadt das schaffen?
Ich setze große Hoffnung in das neu geschaffene Klimadezernat und in das Verkehrsdezernat, beide Stellen haben wir besetzt. William Wolfgramm als Dezernent für Umwelt, Klima und Liegenschaften sowie Ascan Egerer als Verkehrsdezernent werden die Dinge schnell angehen, davon bin ich überzeugt. Und die neuen Radwege zum Beispiel auf der Magnusstraße zeigen, dass auch jetzt schon Bewegung drin ist.
Es ist ein Stückchen Radweg.
Ja, aber aus vielen Stückchen wird ein Stück. Ich wünschte mir auch alles schneller und radikaler. Aber im ersten Jahr als Fraktionsvorsitzende musste ich lernen, dass manche Dinge einfach nicht schneller gehen, wir haben nicht auf alles direkten Einfluss. Und es braucht auch politische Mehrheiten.
Überzeugt das, was Sie bisher auf den Weg bringen konnten, die Leute in Ihrer Partei, die das Ratsbündnis kritisch sehen?
Ich habe diese kritischen Stimmen in letzter Zeit nicht mehr gehört. Eine breite Mehrheit unserer Partei unterstützt ja das Bündnis – denn die inhaltlichen Vereinbarungen, die wir mit der CDU und Volt getroffen haben, sind eine sehr gute, eine sehr Grüne Arbeitsgrundlage. Die lauten Kritiker haben die Zuständigkeiten und Dezernatszuschnitte kritisiert, nicht die Inhalte.
Im Haushalt sind nun 20 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich für den Klimaschutz eingeplant…
… was mich sehr freut.
Das haben wir uns gedacht. Aber ist die Summe wirklich mehr als ein Symbol?
Ja, unbedingt. Und es ist ja nicht das einzige Geld, das wir für Klimaschutz ausgeben. Es ist ein Investitionsschub für das neu geschaffene Dezernat für Klima, Umwelt und Liegenschaften, damit können wir spürbar mehr bewegen.
Bei der Verkehrswende stockt es dennoch. Schieben Sie das auf CDU oder die langsame Verwaltung?
Beide Akteure machen uns das Leben nicht immer leicht. Ich will für Köln Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit, flächendeckend. Paris macht das aktuell. So eine Regel ist nicht nur gut für das Klima, sondern auch kinder- und verkehrsfreundlich. Köln ist das auf der Straße ehrlich gesagt nicht. Von uns Grünen wird erwartet, dass wir die Zustände ändern. Wir versuchen alles – politisch gibt es aber eben nicht für alles Mehrheiten.
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Es ist gerade bei den Verkehrsthemen oft ein hartes Ringen mit der CDU. Wir kommen hier – auch unterstützt von Volt – schon weit, aber nicht immer so weit, wie wir es uns wünschen. Doch wir wären mit anderen Bündnispartnern nicht weiter gekommen, das haben wir ausgelotet. Und klar, auch in der Verwaltung läuft immer noch vieles zu langsam, aber dort nehme ich einen Wandel wahr.
Wo sehen Sie diesen Wandel?
In Ehrenfeld werden die Haltestellen der Linie 13 jetzt endlich barrierefrei. Und im Zuge dessen legt die Verwaltung an der Nußbaumerstraße eine Vorzugsvariante vor, in der zugunsten des Radverkehrs eine Autospur wegfällt. Das ist nur ein kleiner Schritt, aber diese Justierung ist zukunftsweisend. Perspektivisch wollen wir hier einen lückenlosen Fahrradgürtel. Heute ist der Gürtel ein einziges Flickwerk für Radfahrer.
Neubauten sind für das Klima katastrophal und dennoch notwendig. Wie wollen Sie dieses Dilemma lösen?
Eigentlich dürfen wir angesichts der deutlich spürbaren Auswirkungen des Klimawandels keinen einzigen Quadratmeter mehr versiegeln. Gleichzeitig müssen wir in einer wachsenden Stadt aber auch bauen, um genug Wohnungen und Schulen zu haben. Dieses Dilemma ist schwer lösbar. Wir müssen dort, wo wir bauen, die Klimafolgen von Anfang an mitdenken. Kreuzfeld zum Beispiel als neuer Stadtteil im Kölner Norden muss eine ökologische Mustersiedlung werden. Die Häuser hier müssen Energie-Plus-Häuser werden. Und wir dürfen kein Haus mehr ohne Solaranlage bauen. Und klar, Wohnraum muss bezahlbar sein. Hier braucht es Förderungen und eine bundesweite Regulierung von Mieten. Und die Stadt darf keine Flächen verkaufen – im Gegenteil, sie muss selbst Flächen ankaufen.
Bislang wurde das Vorkaufsrecht für Flächen von der Stadt kaum genutzt, insgesamt rund 20 Mal.
Wir müssen hier als Politik noch deutlichere Forderungen stellen, damit die Stadt dieses Recht häufiger nutzt, wie kürzlich beim Otto-und-Langen-Quartier in Mülheim. Außerdem müssen wir uns als Gesellschaft fragen, ob es auf Dauer vertretbar ist, dass wir pro Person immer mehr Wohnraum in Anspruch nehmen. Mit mehr Wohnungen in städtischer Hand wäre es für Eltern einfacher, in kleinere Wohnungen zu ziehen, wenn die Kinder ausgezogen sind – und dann vielleicht auch weniger Miete zu zahlen als vorher. Auf dem freien Markt ist das aktuell kaum möglich.
Die Bürgerinitiative „Klimawende“ hat das Ziel, dass die Rhein-Energie bis 2030 nur noch Strom aus Erneuerbaren Energien liefert, verworfen. Hätten Sie den 2030-Plan unterstützt?
Im Rat hätte das Bürgerbegehren vermutlich keine Mehrheit bekommen. Auch wir hätten dem schwerlich folgen können. Denn es hätte ein frühzeitiges Aus für die Fernwärme bedeutet. Der jetzt erzielte Kompromiss ist großartig. Und wir sind der Bürgerinitiative dankbar, ohne sie hätte sich die Rhein-Energie nicht so weit bewegt.
Ohne einen gut ausgebauten ÖPNV wird die Klimawende nicht gelingen. Was haben Sie hier konkret vor?
Wir dürfen langfristige Pläne nicht aus dem Blick verlieren: Mir liegt beispielsweise die Idee sehr am Herzen, die sogenannte Klüttenbahn, also die HGK-Trasse im Kölner Westen, für den Personenverkehr zu nutzen. Genauso wie der Plan, eine Stadtbahn-Linie auf der Inneren Kanalstraße zu installieren. Das geht nicht morgen, wahrscheinlich auch nicht in fünf Jahren, aber in zehn – dafür müssen wir es schon jetzt anpacken. Zum Beispiel sollte es jetzt Machbarkeitsstudien zu solchen Projekten geben. Und bis zur Realisierung können auf diesen Strecken, die für die Straßenbahn infrage kommen, übergangsweise neue Busse fahren. Das haben wir im Bündnisvertrag so vereinbart. Der Autoverkehr muss zur Ausnahme werden.
Für diese Projekte braucht es die breite Unterstützung in der Stadt. Aktuell ist das Ansehen der Kommunalpolitik aber geprägt von der gescheiterten Kienitz-Wahl. Wie stehen Sie hierzu?
Es war keine gescheiterte Wahl, sondern Niklas Kienitz hat sich nach seiner Wahl zum Dezernenten zurückgezogen. Immer wieder davon zu sprechen, dass das Verfahren unsauber war oder der Kandidat nicht geeignet, diskreditiert den Rat in seiner Gänze, uns als Bündnis und die Oberbürgermeisterin. Und es macht die Menschen demokratiemüde. Ich halte Niklas Kienitz weiterhin für einen geeigneten Kandidaten. Er hat sich für den Rückzug entschieden, das ist zu akzeptieren. Und wir werden nun den Prozess zur Besetzung des Dezernats neu starten.