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Kölner Infektiologe„In Deutschland sind viel zu wenig Menschen geboostert“

Lesezeit 5 Minuten
Fätkenheuer 240322

Gerd Fätkenheuer 

  1. Prof. Gerd Fätkenheuer ist Leiter der Infektiologie an der Kölner Uniklinik.
  2. Er blickt mit gemischten Gefühlen auf die gelockerten Regeln zum Infektionsschutz, hält sie aber nicht für falsch.
  3. Seiner Ansicht nach müssen die Erfahrungen aus der Pandemie den künftigen Umgang mit Viren und anderen Erregern prägen.

KölnHerr Fätkenheuer, leben wir noch in einer Pandemie?Ich denke schon.

Wie kommen Sie darauf?

Das Virus verbreitet sich weiterhin auf der ganzen Welt, in manchen Ländern sogar erstmalig in großer Dimension, weiterhin sterben viele Menschen an einer schnell übertragbaren Viruserkrankung.

Wann ist denn nicht mehr von Pandemie zu sprechen?

Ich tue mich schwer damit, eine Grenze zu definieren. Wir sind auf dem Weg in eine Endemie und werden irgendwann in eine solche Phase übergehen. Das Virus wird dann hier heimisch sein und immer wieder auftauchen. Angesichts der Dynamik würde ich zum jetzigen Zeitpunkt aber von einer Pandemie sprechen.

Weiterhin sterben in Deutschland Covid-bedingt mehrere hundert Menschen pro Tag, die Inzidenzen sind vierstellig. Das sind eindeutig pandemische Zahlen.

Ja. Wobei man einschränkend sagen muss: Ähnliche Zahlen hatten wir auch in der Grippesaison vor fünf Jahren, da haben wir nicht von einer Pandemie gesprochen.

Der Grippe-Vergleich hat sich oft als trügerisch herausgestellt. Ist er inzwischen angemessen?

Die Gleichsetzung von COVID-19 mit einer Grippe war und ist falsch. Sowohl die Erkrankung selbst als auch die Sterblichkeit unterscheiden sich. Allerdings hat sich die Sterblichkeit an SARS-CoV-2 im Laufe der Pandemie bei uns und in vielen anderen Ländern verringert. Sie liegt jetzt auf einem Niveau, wie wir es von der Influenza kennen. Der entscheidende Grund dafür ist aber eindeutig die Impfung, keineswegs die Harmlosigkeit des Virus selbst. Falsch wäre es aber auch, die Influenza als Beispiel für eine harmlose Erkrankung anzuführen. Es handelt sich hier ebenfalls um eine schwere, manchmal auch tödlich verlaufende Erkrankung, insbesondere für alte und immungeschwächte Menschen.

Der Schlüssel ist also weiterhin die Impfung, trotz der zahlreichen Impfdurchbrüche?

Absolut. Die Impfung wird in Deutschland weiterhin unzureichend wahrgenommen. Etwa 58 Prozent der Deutschen sind aktuell geboostert. Das ist einfach viel zu wenig. Der Booster bringt den entscheidenden Dreh, den vollständigen Impfschutz. Wir sind hier ganz schlecht. Der Großteil derer, die an Covid sterben, ist nicht geimpft. Die Impfung schützt nicht zuverlässig vor einer Infektion, sie schützt aber zu mehr als 90 Prozent vor einer schweren Erkrankung, das ist entscheidend.

Wie zuverlässig schützt die Impfung vor Langzeitfolgen einer Corona-Infektion?

Weiterhin fehlen hierzu einige Daten. Aber: Vieles spricht dafür, dass die Impfung sehr gut vor Long Covid schützt. Weil es einen klaren Zusammenhang gibt zwischen der Schwere der Erkrankung und der Wahrscheinlichkeit, Langzeitfolgen zu bekommen. Von dem, was wir wissen, spricht alles für einen effektiven Schutz vor Long Covid durch eine dreifache Impfung.

Wie kann man die Impfquote denn jetzt noch steigern?

Da bin ich einigermaßen ratlos. Eine Impfpflicht hätte ich vor vier Monaten noch sehr befürwortet. Mittlerweile bin ich durch den politischen Prozess, in dem das abgehandelt wird, mit der riesigen Verzögerung und den bürokratischen Fragestellungen nicht mehr so begeistert. Je weiter wir zeitlich voranschreiten, desto schwieriger wird es, die Impfpflicht zu rechtfertigen. Und sie würde wohl nur eingeschränkt wirken, weil wir gar nicht genug Möglichkeiten zur Kontrolle haben.

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Ich bin keineswegs dagegen, aber ich denke nicht, dass sie kommt. Wir sollten aber nicht aufhören, die wichtigste Botschaft zu verbreiten: Wer vollständig geimpft ist, hat einen sehr guten Schutz vor schwerer Erkrankung. Und wer sich nicht impfen lässt, riskiert letztlich seine eigene Gesundheit.

Die politischen Maßnahmen werden nun zurückgefahren, obwohl sich die Lage nicht verbessert. Können Sie das nachvollziehen?

Ehrlich gesagt bin ich froh, in dieser Hinsicht keine Entscheidungen treffen zu müssen. Die Zahlen sind nicht beruhigend, und wir erleben auch bei uns im Klinikum viele Erkrankungsfälle, die es sehr kompliziert machen. Die Erkrankung ist weiterhin ernst zu nehmen und die Infektionslage ist dynamisch. Ich denke aber nicht, dass die Lockerungen unverantwortlich sind. Denn in England, Dänemark und Portugal – Länder, die uns Lockerungen längst vorgemacht haben – sehen wir keine Verschlechterung der Lage. Hier sind die Impfquoten zwar höher, aber dennoch: Das Virus ist nicht genau zu berechnen, nicht jede Maßnahme hilft zum jetzigen Zeitpunkt zuverlässig. Wir sollten uns aber keineswegs ausruhen, müssen die Lage weiterhin präzise beobachten.

In Österreich, das auch mit einer niedrigen Impfquote kämpft, wurde die Maskenpflicht wegen rasant steigender Zahlen wieder eingeführt.

Das stimmt und ich denke, wir können hieraus lernen. Bei der Maskenpflicht hätte ich mir persönlich gewünscht, dass wir sie in Innenräumen länger beibehalten.

Die Omikron-Variante ist infektiöser, aber auch weniger gefährlich. Ist davon auszugehen, dass die nächsten Mutationen in eine ähnliche Richtung gehen?

Von meinen Kollegen aus der Virologie, die viel mehr davon verstehen als ich, höre ich, dass man davon nicht ausgehen kann. Eine Rückkehr der Delta-Variante ist nicht auszuschließen, eine gefährliche neue Mutation ebenso wenig. Diesem Virus würde ich auf keinen Fall unterstellen, dass es sich nun in eine gutartige Richtung verändert.

Halten Sie eine gefährliche Sommerwelle für denkbar?

Ich kann hierzu keine Prognosen abgeben. Entscheidend ist, sich auch auf ein solches Szenario gut vorzubereiten, denn es ist möglich. Wachsam bleiben, die Lage präzise beobachten und schnell reagieren, wenn es nötig ist – das muss die politische Strategie sein.