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Unterwegs mit „Spaziergängern“ in Köln„Glauben Sie etwa nicht an eine Verschwörung?“

Lesezeit 6 Minuten
Demo Impfgegner Montagsspazierga

Vereint im Protest gegen die Impfplicht: Teilnehmer der „Montags-Demo“ in Köln

Köln – Wenn es doch nur so einfach wäre: „Corona ist vorbei, wenn du es willst“ steht auf einem Plakat, das ein Teilnehmer des „Montagsspaziergangs“ in die Höhe reckt, „Keine Macht den Coronanazis“ verkündet ein anderes. Durch die Straße „Am Hof“ schallt aus einer fahrbaren Lautsprecherbox ein Lied mit dem Titel „Wir wollen wieder tanzen gehen“, während sich der Demo-Zug um kurz nach 19 Uhr auf die übliche Route vom Roncalliplatz durch die Innenstadt in Bewegung setzt. Wie schon in den Wochen zuvor sind auch diesmal wieder mehr als 2000 Menschen dabei. Eine Maske trägt so gut wie niemand. Es ist Valentinstag, eine Teilnehmerin verteilt rosa Rosen, eine andere trägt ein Pappschild mit der Aufschrift „Es geht nur mit Liebe“ vor sich her.

Gegendemo Heumarkt

Gegendemonstranten postieren sich auf dem Heumarkt am Aufzugsweg der „Montagsspaziergänger“

Als der Zug den Neumarkt erreicht, wird es ein wenig hitzig. Knapp hundert Menschen, fast alle mit Masken, haben sich hinter einer Polizeikette auf dem Neumarkt versammelt und brüllen den „Spaziergängern“ im Chor entgegen: „Ihr seid nicht der Widerstand, marschiert mit Nazis Hand in Hand“. Aus einer Bluetooth-Box wummert ein Song mit dem Refrain „Weg mit brauner Scheiße“, auf selbst gebastelten Schildern steht „Lieber eine Maske vor dem Mund als ein Schlauch im Hals“ und „Solidarisch sein heißt, sich impfen lassen“ oder „Ich pflege deine Mutter“.

Team Hildmann gegen Team Lauterbach

Der Begriff „Nazi“ fällt oft an diesem Abend, wenn man Demonstranten und Gegendemonstrantinnen zuhört. Gegenseitig werfen sie sich vor, faschistoid zu sein, autoritätsgläubig und die Spaltung voranzutreiben. Der viel zitierte Graben, der in Corona-Zeiten zunehmend die Gesellschaft zerteile, wird an diesem Montag in Köln sichtbar: „Nazis“ gegen „Coronanazis“, Verharmloser gegen Panikmacher, Verschwörer gegen „Schafe“, Team Attila Hildmann gegen Team Karl Lauterbach. Doch was ist tatsächlich dran an dem von mancher Seite pauschal geäußerten Vorwurf, wer an den „Montagsspaziergängen“ teilnehme, sei rechtsextrem, Spinner oder Staatsfeind – oder alles zusammen? Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist mitgelaufen und hat sich unter den „Spaziergängern“ umgehört. Die Eindrücke sind gemischt.

Vorab: Fotografieren lassen will sich niemand, seinen Namen nennen auch nicht, geschweige denn in der Zeitung lesen – aus Sorge, als „Nazi“ abgestempelt zu werden, wie viele zur Begründung sagen. Eine rechte oder rechtsextreme Gesinnung weisen alle der ungefähr 20 Befragten von sich. Manche bezeichnen sich als „feministisch“, „friedliebend“ oder „ökologisch bewusst lebend“. Sie lasse nicht einmal Zucker in ihren Körper, sagt eine 44 Jahre alte Heilpraktikerin, die mit ihrer 17-jährigen Tochter gekommen ist, „wieso dann einen notzugelassenen Impfstoff, dessen Inhaltsstoffe und Nebenwirkungen nicht ausreichend erforscht sind?“. Vor drei Monaten seien sie und ihre Tochter an Corona erkrankt. „Das war kein Spaß, wir waren schon ordentlich krank“, sagt die Heilpraktikerin, die sich nicht als „politischen Menschen“ betrachtet und vor Corona noch nie an einer Demonstration teilgenommen habe. Aber die durch eine Infektion erlangte Immunität sei ihr immer noch lieber als die Impfung mit einer unsicheren Substanz.

„Wenn nötig, wandere ich nach Afrika aus“

Mein Körper, meine Entscheidung, gegen die Impfpflicht – das scheint der kleinste, gemeinsame Nenner unter den Demonstrantinnen und Demonstranten zu sein. „Nazis sind für mich die Anderen. Die, die mich impfen wollen, ohne dass ich es will“, sagt eine Teilnehmerin des „Spaziergangs“, die in einer Apotheke arbeitet. Wie mehrere andere Befragte versichert sie, das Land verlassen zu wollen, wenn die Impfplicht kommt. „Wenn nötig, wandere ich nach Afrika aus“, sagt die Frau, die eine Lichterkette trägt. Corona-Impfungen seien „Menschheitsverbrechen“. Schon oft habe sie gehört, dass Menschen kurz nach dem Booster an Nebenwirkungen sterben. „Aber darüber berichtet natürlich niemand“, sagt sie sichtbar und hörbar erregt. Die Medien seien gleichgeschaltet und würden den Herrschenden nur nach dem Mund reden. „Ich gehe erst wieder von der Straße, wenn die Regierung gestürzt ist“, sagt sie.

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Eine 63-Jährige, auch mit Lichterkette zur Demo gekommen, hält die Impfung für „eine Art Todesstrafe“. Vor Corona sei sie noch nie zu einer Demo gegangen, aber jetzt mehrmals pro Woche, in Köln, Düsseldorf, Berlin. „Corona hat mein Weltbild komplett auf den Kopf gestellt“, sagt sie. Sämtliche Freunde habe sie über die Pandemie verloren, weil sie angefeindet worden sei, in die rechte Ecke gestellt, in der sie sich selbst nicht sieht. Warum er eine Maske trage, fragt sie den Reporter. Ob er nicht wisse, dass das gesundheitsschädlich ist.

„Auch im Fußballstadion sind Rechte“

Überhaupt: Für ein Ende der Maskenpflicht sind hier fast alle. „Mein Bauchgefühl sagt mir einfach, dass es nicht gut ist, wenn ich meinen eigenen Atem wieder einatme“, sagt eine Frau um die 60 zur Begründung. Also trägt sie eben keine. Eine andere, etwa gleichaltrige Frau, ist der Meinung, eine Impfung gegen Corona sei lebensbedrohlicher als das Virus selbst. „Ich lasse mich nicht impfen, es müssen ja auch noch Menschen übrig bleiben, die die Opfer pflegen.“ Welche Opfer? „Die mit den Impfschäden.“

Dass bei den „Montagsspaziergängen“ in Köln auch schon Hooligans, Rechtsextreme und AfD-Politiker mitgelaufen sind, scheint niemanden, der mitläuft hier ernsthaft abzuschrecken. Auch die Frau nicht, die ihren eigenen Atem nicht einatmen will. „Rechte und Nazis sind auch im Fußballstadion, trotzdem boykottiert deshalb keiner den FC“, sagt sie. Mit eigenen Augen gesehen habe sie noch keinen Rechten bei den „Montagsspaziergängen“. „Sagen Sie mir, wo einer ist, dann gehen wir hin und schicken ihn weg, da habe ich kein Problem mit.“ Eine Frau läuft mit Maske und „Kein Veedel für Rassismus“-Flagge mit, die sonst auf ihrem Balkon hängt. „Wir werden hier als rechts diskriminiert, ohne dass wir es sind.“ Sie habe die Flagge dabei, um sich gegen den Vorwurf zu wehren – und um den Rechten in der Demo zu zeigen, dass sie eine Minderheit seien.

Gegen Regierung und „Mainstream-Presse“

Einige wehren sich aber zumindest nicht gegen den Begriff Verschwörungstheorie. Sie sind tatsächlich davon überzeugt, dass die Gesellschaft manipuliert werden soll. Von Milliardären zum Beispiel, die hinter der Impfkampagne stecken, oder von Weltmächten, die uns allen Chips implantieren möchten. „Das ist doch alles offensichtlich. Glauben Sie etwa nicht an eine Verschwörung?“, fragt ein 40-Jähriger, der sich nach eigener Aussage seit Jahren mehrere Stunden täglich informiert über die großen und kleinen Zusammenhänge in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Über Russland, USA, die Ukraine, die Kriege in Afghanistan und im Irak. „9/11 hat mich wach gemacht“, sagt er. Wie andere Teilnehmer auch zitiert er Wissenschaftler und Journalisten, deren teils stundenlange Vorträge in Telegram-Gruppen, auf Youtube und in anderen „alternativen Medien“ die Runde machen und die sich bewusst gegen die Berichterstattung der „Mainstream-Medien“ richten, zu denen hier auch der „Kölner Stadt-Anzeiger“ gezählt wird. So fällt auf, wie häufig einige Thesen hier zitiert werden. Zum Beispiel dass die Beatmung von Covid-Patienten verantwortlich für deren Tod sei, dass Vitamin-D-Mangel Schuld an Infektionen sei, oder dass Lollitests krebserregend seien.

Dass die Montagsdemos organisiert werden von einer Kölnerin, die auf ihren Kundgebungen unter anderem schon einen rechtsextremen Rapper auftreten ließ, wisse sie, sagt die Heilpraktikerin. Aber sie habe die Frau schon mehrfach sprechen gehört: „Ihr Ton gefällt mir manchmal nicht, der ist mir zu grob, Vieles könnte man auch sanfter ausdrücken.“ Aber rechte oder antisemitische Inhalte habe sie von der Organisatorin bislang nicht wahrgenommen. Ein Mann geht davon aus, dass ein Teilnehmer, der bei einer der Montagsdemos Mitte Januar den Hitlergruß gezeigt hatte, gekauft worden sei, um den Protest zu diskreditieren. „Wahrscheinlich vom Verfassungsschutz oder von den Medien. Vielleicht auch von der SPD.“ Sicher sei er sich da nicht.