Im Forum am Neumarkt diskutierte die Kölner OB Reker unter anderem mit dem Kölner Pfarrer Franz Meurer über den Zustand der Demokratie.
„Die Lage ist bitterernst“OB Reker spricht über Drohungen gegen Politiker und das Messer-Attentat 2015
Es war auch ein Angriff auf die Demokratie, als Henriette Reker im Herbst 2015 während eines Wahlkampf-Termins von einem Rechtsextremisten mit einem Messer niedergestochen wurde. Reker lag im künstlichen Koma, als kurze Zeit später die Wahl zum Kölner Oberbürgermeister stattfand und die meisten Stimmen auf sie entfielen. Der Täter handelte offenbar aus Unzufriedenheit über ihre Flüchtlingspolitik.
Neun Jahre später landen noch immer Drohbriefe im Büro der Oberbürgermeisterin. Bewusst nehme sie die meisten nicht zur Kenntnis, sagte Reker jetzt auf der Bühne des VHS-Forums am Neumarkt. Wenn sie doch einmal ein Schreiben zu Gesicht bekomme, „wundere ich mich schon, was manche Leute sich ausdenken“.
Köln: Podiumsdiskussion mit OB Reker unter dem Titel „Bedrohte Demokratie?“
Unter dem Titel „Bedrohte Demokratie?“ hatte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ zusammen mit der Kölner Volkshochschule zur Podiumsdiskussion geladen. Mit dabei auch Barbara Havliza, die als Richterin Rekers Attentäter vor dem Düsseldorfer Landgericht verurteilt hatte und heute Opferschutzbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen ist. Reker und Havliza waren sich weitgehend einig: Die Demokratie ist bedroht, bedrohter denn je womöglich.
„Die Lage ist bitterernst“, so Reker. „Es gelingt uns nicht, alle so zu beteiligen, dass sie sich wertgeschätzt fühlen“, drückte die 67-Jährige es diplomatisch aus. Konkret heißt das: Selbst ehrenamtliche Politiker sehen sich einer verrohten Debattenkultur und nicht selten Gewalt ausgesetzt. Moderator und „Kölner Stadt-Anzeiger“-Redakteur Helmut Frangenberg führte eine Umfrage der Heinrich-Böll-Stiftung ins Feld, wonach 50 Prozent der befragten Kommunalpolitiker mit strafrechtlich relevanten Beleidigungen zu tun hatten. Ein Drittel war von tätlichen Angriffen betroffen.
Köln: Demokratie laut Barbara Havliza „ernsthaft in Gefahr“
Die Situation von Kommunalpolitikern habe sich in den vergangenen fünf bis sechs Jahren verändert, räumte Reker ein. Dass sich Politiker aus Sorge um sich oder ihre Familie zurückzögen, könne sie nachvollziehen. Die Demokratie, so Barbara Havliza, gerate dadurch jedoch „ernsthaft in Gefahr“. Sie frage sich zunehmend, wie das Aggressionspotenzial derart zunehmen konnte.
Der Internetkonsum trage sicher dazu bei, so die Diagnose der CDU-Politikerin, die in ihrer Karriere ebenfalls immer wieder Drohungen bekam. Kinder müssten verstärkt in die analoge Welt zurückgeholt werden. Die zunehmende Digitalisierung führe zu Vereinsamung und in die Fänge demokratiefeindlicher Parteien. Wer andererseits einen Verein gründen wolle, sehe sich zu vielen bürokratischen Hürden gegenüber: „Wir verwalten uns kaputt.“
Köln: Pfarrer Franz Meurer fordert mehr Engagement für die Demokratie
Franz Meurer, katholischer Pfarrer in den „Problemvierteln“ Höhenberg und Vingst, forderte mehr Engagement der Demokraten selbst. Es gelte, Jugendlichen Arbeit zu geben und Wohnungen zu bauen. Und mehr Respekt von Demokraten für Demokraten könne auch nicht schaden: „Wir müssen dafür sorgen, dass Demokraten strahlend rüberkommen.“
An die Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft der Bürger appellierte Henriette Reker. Die Anspruchshaltung gegenüber der Politik sei mittlerweile groß: „Man kann nicht erwarten, dass alles vom Himmel fällt.“ Zumal es in Zukunft auch in Köln nicht mehr so viel Geld zu verteilen gebe wie bisher. Ein Rezept gegen Politikverdrossenheit sei es, die Bürger mehr in demokratische Entscheidungsfindungen einzubeziehen und politische Beschlüsse besser zu erklären. Erfahrungsgemäß bleibe „keine aggressive Stimmung zurück, wenn man auf die Menschen eingeht“.
Menschen, die schon „abgedriftet“ seien, können laut Barbara Havliza nur schwer aufgehalten werden. Franz Meurer, der auf dem Podium kurzfristig für den erkrankten Journalisten Jürgen Wiebicke eingesprungen war, plädierte dennoch dafür, auch mit Menschen anderer Meinung Kontakt zu halten. Als am Ende des Abends die rund 300 Gäste zum Diskutieren aufgefordert waren, äußerte eine Teilnehmerin Ähnliches: „Wir müssen lernen, andere Meinungen auszuhalten. Streiten lernen finde ich ganz wichtig für die Zukunft der Demokratie.“