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Verspätungen und Zugausfälle im Rheinland„Die Bahn raubt mir wertvolle Lebenszeit“

Lesezeit 5 Minuten
Bahnpendler Michael Weber steht mit seinem Faltrad am Bahnhof Köln-Messe/Deutz und wartet auf seinen Zug Richtung Pulheim. Im Hintergrund ist eine S-Bahn auf dem Gleis zu sehen.

Bahnpendler Michael Weber wartet mit seinem Faltrad am Bahnhof Köln-Messe/Deutz auf seinen Zug Richtung Pulheim.

Vor allem die vielen Großbaustellen führen im Rheinland zu massiven Problemen. Noch bis 19. Dezember herrscht in Köln Großbaustelle zwischen Hauptbahnhof und Messe/Deutz. Ein Betroffener berichtet.

Kunden wie Michael Weber müsste sich die Deutsche Bahn eigentlich wünschen. Im Laufe der zweieinhalb Jahre, die der 51-Jährige werktäglich zwischen Köln-Deutz und Pulheim-Stommeln unterwegs ist, das Faltrad für die letzte Meile immer dabei, hat er gelernt, geduldig und nachsichtig zu sein. Weber weiß, die Bahn muss bauen und dafür immer wieder Strecken sperren, damit es irgendwann besser wird mit den Staus und Verspätungen im Bahnknoten Köln.

So auch an diesem Morgen, auf dem zugigen Bahnsteig in Deutz. Noch bis zum 19. Dezember wird sich Weber jeden Tag auf ein neues Abenteuer einlassen müssen. Auf einer der am meisten befahrenen Trassen Deutschlands, das sind die knapp 1000 Meter zwischen Deutz und dem Hauptbahnhof, werden fünf Weichen ausgetauscht und alle Fahrpläne durcheinandergewirbelt, weil dafür auf der Hohenzollernbrücke zwei der sechs Gleise gesperrt werden müssen.

Pro Woche 90 Minuten Verspätung zwischen Deutz und Pulheim

Es ist das vierte Mal in diesem Jahr, dass Weber in eine der Baustellenfallen tappt. Laut Fahrplan braucht sein Zug, je nachdem ob er den Regionalexpress oder die Regionalbahn erwischt, zwischen 21 und 26 Minuten.

Doch von der Normalität ist die Bahn meilenweit entfernt. Im Frühjahr sei es besonders schlimm gewesen. Weber kramt einen Zettel aus seinem Rucksack. Sieben Wochen lang hat er pro Woche 90 Minuten Lebenszeit oder über den ganzen Zeitraum hinweg mehr als einen Arbeitstag damit verbracht, auf Züge oder das zu warten, was die Bahn Schienenersatzverkehr nennt. Alles bis auf die Minute fein säuberlich aufgelistet.

Busse als Ersatz? Stecken im Feierabendverkehr fest

„Die Busse sind eine echte Katastrophe“, sagt er. „Sie müssen über die Venloer Straße und den Militärring. Gerade im Feierabendverkehr stecken sie immer wieder fest und Echtzeitdaten fürs Smartphone gibt es nicht.“

Überdies lüge sich die Bahn mit ihren Ersatzfahrplänen selbst in die Tasche. „Sie geht einfach davon aus, dass die Züge keine Verspätungen bekommen, wenn sie von Ehrenfeld den Umweg über die Südbrücke und nicht über den Hauptbahnhof nach Deutz fahren“, sagt Weber. „Das hat vor einem Jahr schon nicht funktioniert. Sie waren bis zu einer Stunde zu spät. Irgendwann fahren sie dann gar nicht mehr bis zum Endpunkt nach Mönchengladbach, sondern wenden schon in Grevenbroich. Da werden vier Stationen über zwei oder drei Stunden gar nicht mehr angefahren.“

Die Ersatzfahrpläne sind reine Märchengeschichten
Michael Weber, Berufspendler

Die Ersatzfahrpläne seien „reine Märchengeschichten“ und das Umsteigen auf den Bus in Ehrenfeld ein Lotteriespiel. „Der fuhr alle 30 Minuten. Mal von der einen und dann von der anderen Straßenseite. Stehst du auf der falschen, hast du verloren.“

110 Euro zahlt Weber für seine Monatskarte. Das fände er angemessen, wenn die Bahn dafür eine entsprechende Gegenleistung erbrächte. Doch davon sei sie meilenweit entfernt. Daran werde auch das 49-Euro-Ticket nichts ändern. Besonders schlimm sei die Informationspolitik der Bahn, sagt er, wenn man auf dem Bahnsteig in Deutz warte und der Zug ohne vorherige Durchsage von einem anderen Gleis abfahre.

DB Regio spricht von eklatantem Personalmangel

Die Deutsche Bahn steht derzeit mächtig unter Druck. Im Ruhrgebiet muss sie aufgrund des eklatanten Personalmangels den S-Bahnverkehr bis Ende Dezember ausdünnen. Auch im Rheinland sei „die Lage angespannt und es kommt zu Abweichungen“, teilt die Regionalleitung in Düsseldorf auf Anfrage mit. „Nach unseren Informationen ist die Lage auch bei den anderen Verkehrsunternehmen angespannt.“

Anfang November ist Michael Weber mit seiner Geduld am Ende. Kürzlich habe er eine Bahnmitarbeiterin in Köln-Ehrenfeld angesprochen. „Der Zug war eine Viertelstunde zu spät, ein Zugteil fehlte, die Rolltreppe von der U-Bahn war kaputt, das Display auf dem Bahnsteig ebenfalls. Der ganze Bahnhof ist verlottert. Das habe ich ihr freundlich gesagt.“ Die Reaktion: „Und das lassen Sie jetzt an mir aus?“

Eine Absperrung auf einem Bahnsteig des Bahnhofs Köln-Messe/Deutz ist zu sehen; dahinter in der Ferne die Spitzen des Kölner Doms.

Ein Bahnsteig in der Station Köln-Messe/Deutz ist gesperrt. Wegen einer Großbaustelle stehen bis zum 19. Dezember zwei der sechs Gleise Richtung Hauptbahnhof nicht zur Verfügung.

Weber fasst seinen gesamten Frust zusammen und schickt das Papier an den Nahverkehr Rheinland (NVR). Der bestellt als sogenannter Aufgabenträger die Nahverkehrszüge fürs Rheinland und muss bei Bauarbeiten auch kontrollieren, ob die Ersatzfahrpläne eingehalten werden.

„Mein Leben schrumpft zusammen auf Arbeiten, Schlafen und Pendeln. Die Deutsche Bahn raubt mir große Teile meiner Lebenszeit und es ist ihr offensichtlich scheißegal. Und Ihnen anscheinend auch.“

Der NVR gibt dem Pendler in vielem Recht

Weber liefert eine genaue Zustandsbeschreibung, macht Verbesserungsvorschläge, entwirft einen Entschädigungskatalog für Fahrgäste. Konstruktive Kunden wie Michael Weber müsste die Bahn sich eigentlich wünschen.

Immerhin. Der NVR antwortet zügig. Und gibt dem Berufspendler in vielen Punkten recht. Die Fahrzeiten bei Umleitungen wegen gesperrter Strecken würde von der Netz AG der Deutschen Bahn ermittelt. Dabei werde allerdings mit Mittelwerten „in einem theoretischen Fahrplan-Konstrukt gearbeitet, die dann in der Praxis des Öfteren nicht realistisch sind“.

Auch bei der Bitte nach verlässlichen Informationen könne man ihm wenig Hoffnung machen. „Zuständig für die Informationen im Zug ist das Eisenbahnverkehrsunternehmen, der DB Navigator im Internet wird von der DB Vertrieb AG angeboten, die Anzeigen und Ansagen an den Bahnhöfen liegen im Zuständigkeitsbereich der DB Station & Service AG“, antwortet der NVR. Man dränge seit langem darauf, dass die Daten im Sinne der Kunden vereinheitlicht werden, habe gegenüber den Unternehmen aber keine rechtliche Handhabe.

Michael Weber wird wohl noch viele Briefe schreiben müssen.


NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) hat die Eisenbahnverkehrsunternehmen und die Verkehrsverbünde aufgefordert, wieder mehr Energie in die Ausbildung von Lokführern zu investieren. Es sei kein Dauerzustand, dass dies mithilfe von Fokus Bahn NRW von der öffentlichen Hand übernommen werde, „weil die Unternehmen so knapp kalkulieren müssen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, Menschen auszubilden“, sagte Krischer am Donnerstag bei einer Debatte über die vielen Zugausfälle und Verspätungen im Düsseldorfer Landtag.