Unterwegs mit Lanxess-Arena-Chef Stefan Löcher„Deutz war lange völlig unterschätzt“
Deutz – Es gibt kaum ein Viertel in Köln, dessen Gesicht sich in den vergangenen 20 Jahren so grundlegend verändert hat wie Deutz. Seit 1975 gehört der Stadtteil zum damals neu gegründeten Bezirk Innenstadt. Aber bis vor einigen Jahren wären wohl die wenigsten darauf gekommen, dass das in seinem Herzen lange Zeit beschauliche Deutz irgendetwas mit der City gemeinsam haben könnte.
Dabei wussten die Bewohner dort eigentlich schon immer, dass der vermeintliche Makel der Schäl Sick vor allem in den Köpfen der anderen verankert war. Schließlich ist kaum eine Perspektive auf den Dom und das Rhein-Panorama spektakulärer als die vom rechten Ufer.
Und in den Zeiten, als der Verkehr in Köln noch floss, war man von Deutz aus schneller am Neumarkt als mancher Südstädter – wenn auch zugegebenermaßen im Viertel selbst bis in die 90er Jahre noch nicht so viel los war, was deutliche Strahlkraft auf die andere Seite des Rheins gehabt hätte. „Deutz war lange Zeit völlig unterschätzt“, sagt Stefan Löcher.
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Ein Junge der Schäl Sick
Seit 1999 arbeitet der heutige Chef der Lanxess-Arena im Veedel, hat aufmerksam beobachtet, wie es sich gewandelt hat. Dabei war es Deutschlands größte Multifunktionshalle, die 1998 mit ihrer Eröffnung und dem angrenzenden Stadthaus den Startschuss für die Veränderungen in Deutz setzte.
„Ich bin ein Junge der Schäl Sick und habe mich deshalb immer besonders mit ihr verbunden gefühlt“, sagt Löcher in seinem Büro, das nördlich der Arena liegt und wo unser Spaziergang beginnt.
Löcher, Jahrgang 1971, wächst in Brück auf. Während seiner Zivildienstzeit ist er oft mit dem Fahrrad an dem Gelände, wo heute die Arena steht, vorbeigefahren. „Das war eigentlich immer eine tote Ecke, wenn hier nicht gerade ein Zirkus gastierte“, erzählt Löcher. Sechs bis acht Stationen habe er als Zivi im Dienst der Städtischen Kliniken, wo sein Vater zu der Zeit kaufmännischer Leiter gewesen sei, pro Tag absolviert und dabei ältere Menschen besucht, unterhalten und gepflegt.
Löcher studiert später an der Universität Köln BWL, schafft das Studium in sieben Semestern mit Prädikat. „Ich wollte immer schnell arbeiten“, sagt Löcher auf dem Weg über die stark befahrene Deutz-Kalker-Straße in Richtung des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Bades, das mittlerweile zu einem Hotel mit dem Namen „Stadtpalais“ umgebaut wurde und der Familie der Reissdorf-Brauerei gehört.
Nach vier Jahren „harter Schule“ beim Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG wird er 1999 kaufmännischer Leiter für das Arena-Management, damals unter der Leitung von Ralf Bernd Assenmacher.
Im Foyer des Stadtpalais mit den hohen weißen Kassetten-Decken führt uns Geschäftsführer Rainer Siewert durch das einstige Jugendstilbad. „Das Gebäude aus dem Jahr 1913 wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, dann war es bis in die 90er Jahre ein Schwimmbad für die Öffentlichkeit“, erzählt Siewert.
Die Eröffnung der Claudius-Therme im Rheinpark habedas Ende der in die Jahre gekommenen Badeanstalt eingeläutet. Das ganze Areal wurde schließlich aufwendig restauriert und 2010 als Hotel mit rund 115 Zimmern wieder eröffnet. „Für mich ist das Stadtpalais ein echtes Kleinod in Deutz“, sagt Löcher.
In die gemütliche Bio’s Bar, für die TV-Legende Alfred Biolek Namenspate ist, zieht sich Löcher abends öfters mit Kunden oder Gästen zum Gespräch zurück. „Es ist ein besonderer Ort, der gute Gespräche möglich macht“, sagt Löcher.
Egal ob Helene Fischer, Holiday on Ice oder die Eishockey-WM – bei jeder Veranstaltung in seinem Haus ist der Chef vor Ort. Löchers Arbeitstage sind lang.
Wir gehen zurück über den Gotenring auf die Deutzer Freiheit – die Haupt-Einkaufsader des Veedels. „Im Gegensatz zu vielen anderen Einkaufsstraßen in Köln hat sich die Freiheit immer ihre Eigenart bewahrt“, sagt Löcher. Der Niedergang mit Ein-Euro-Shops, Billig-Handyläden und ausschließlich großen Einzelhandelsketten habe hier nie stattgefunden.
Der Mix sei nach wie vor vielfältig. Es gibt mehrere inhabergeführte Bäcker, drei Apotheken, ein Reformhaus, einen Friseur, zwei Optiker, eine Reinigung, kleine Modegeschäfte und mehrere Restaurants und Gaststätten.
Intakte Infrastruktur
„Die Infrastruktur ist intakt, hier kann man in der Mittagspause viel erledigen“, so Löcher. Aber der Manager, der mit seiner Frau und seinen zwei Kindern mittlerweile in Bonn lebt, räumt ein, dass ihm dazu oft die Zeit fehlt. Wie sich Deutz verändere, lasse sich an der Freiheit gut ablesen.
Mit dem Zuzug des Fernsehsenders RTL und dem Versicherer Talanx mit ihren vielen Hundert Beschäftigten in die alten Messehallen am Rhein hätten auch die Einzelhändler auf die veränderte Kundschaft von Medienleuten und Versicherungsmanagern reagiert, sagt Löcher. „Mittlerweile gibt es hier zum Beispiel eine Espresso-Bar.“
Löcher bleibt an der Goten-Apotheke in Haus Nummer 114 stehen, die im Schaufenster mit Arzneien gegen Erkältung und grippale Infekte wirbt, und sagt ganz unvermittelt: „Eigentlich war ich in den 17 Jahren bei der Arena noch nicht einen Tag krank.“ Im Jahr 2001 wurde Löcher in die Geschäftsführung berufen. Seit 2010 ist er als alleiniger Geschäftsführer für den Betrieb des „Henkelmännchens“ verantwortlich.
Wenn er über die Anfangszeiten in der Arena spricht, merkt man, dass sie nicht immer einfach waren: die hohen Verluste durch zu geringe Auslastung, um nur einen Punkt zu nennen. „Trotzdem habe ich den Schritt nie bereut, obwohl ich kurz vor meinem Einstieg bei der Arena eigentlich schon einen Arbeitsvertrag bei der Gothaer-Versicherung unterschrieben hatte“, sagt Löcher im Rückblick. Auch attraktive Angebote aus anderen Städten hätten ihn bislang nie wirklich interessiert.
Stadtmitte wird sich verschieben
Wir gehen weiter durch die Graf-Geßler-Straße am Von-Sandt-Platz mit dem alten Baumbestand vorbei Richtung Constantinstraße, wo wir in Nummer 12 ins Sushi-Haus einkehren. Es ist noch ruhig, nur ein Tisch ist besetzt.
Chef Manik Bhuiyan ist Pionier der japanischen Spezialitäten im Rechtsrheinischen. „2010 haben wir hier in Deutz eröffnet, damals gab es auf der gesamten rechten Rheinseite kein einziges japanisches Restaurant“, sagt Bhuiyan. Löcher ist Stammgast, bestellt Klassiker wie Sashimi und Maki Sushi.
Der zweite feste Anlaufpunkt ist für den Arena-Chef zur Mittagszeit das Cubana Latino in der Constantinstraße 88. An den Wänden finden sich viele Devotionalien aus Fidel Castros Reich. Auf der Karte wird Löcher meist bei der großen Tapas-Auswahl oder den Burritos fündig. Auf der Opladener Straße gehen wir weiter, vorbei am Deutzer Bahnhof mit seinem historischen Kuppeldach und dem neu gestalteten Ottoplatz davor.
Die Kritik, die es an dem puristisch gestalteten Platz gab, weil er zu wenig Bäume und zu wenig Aufenthaltsqualität biete, teilt Löcher nicht. „Ich finde, er lässt Raum für die Schönheit des Bahnhofs und lässt den Blick frei für den LVR-Turm.“
Unsere letzte Station ist die urkölscheste Institution in Deutz, das Lommerzheim, wo Löcher regelmäßig zum Kotelett-Essen einkehrt. „Unschlagbar, legendär, ehrlich“, sind Begriffe, die er für den „Lommi“ findet. „Das ist auch etwas, was Deutz zutiefst ausmacht“, sagt der Arena-Chef und blickt erwartungsvoll in die Zukunft. „Wenn der Deutzer Hafen in einigen Jahren ausgebaut ist, dann wird sich die Stadtmitte ein Stück weit auf die rechte Rheinseite verschieben.“ Und damit wäre Deutz dann wirklich ein Teil der Kölner Innenstadt.
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