Im Oktober 2018 verletzte ein Mann eine Jugendliche schwer mit einem Brandsatz und nahm in einer Apotheke eine Geisel.
Aufgrund seines geistigen Zustands wird der Syrer möglicherweise nie vor Gericht stehen.
Wer ist der 55-jährige Attentäter und was hat ihn zu dieser Tat getrieben? Eine Recherche des „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Köln – Ein Egozentriker. Aufbrausend, aggressiv, rechthaberisch. Ein Betrüger, der womöglich psychisch krank ist. Aber auch ein Schmeichler, der beeindrucken konnte. Wenn Angehörige und Nachbarn Mohammed R. charakterisieren, ergibt sich recht schnell ein klares Bild von dem Mann, der am 15. Oktober 2018 mit einem Brandsatz im Kölner Hauptbahnhof ein 14-jähriges Mädchen schwer verletzt und eine Apothekerin als Geisel genommen hat.
Für die Ermittler birgt der Fall trotzdem viele Rätsel, auch noch vier Monate danach. Vor allem dieses: Was hat den 55-jährigen Syrer zu der Tat getrieben?
Narben und alte Schussverletzungen
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat sich auf die Spuren des Mannes begeben, dessen Verbrechen die Stadt im vergangenen Herbst in Atem gehalten hat. Als Mohammed R. an jenem sonnigen Montagnachmittag seine Geisel in der Apotheke am Breslauer Platz mit Benzin übergoss und sie anzuzünden drohte, streckten Beamte eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) den Flüchtling mit sechs Schüssen nieder.
Sie schossen ihm einen Teil der rechten Schädeldecke weg. Minuten später kursierten die ersten Bilder des Schwerverletzten im Internet: Sie zeigen einen stämmigen Mann, der auf dem Boden vor dem Geschäft liegt, Ärzte und Polizisten kümmern sich um ihn. Aus einer Bauchwunde tritt Blut aus, gleich daneben sind Narben einer älteren Schussverletzung zu erkennen, die er sich in seiner Heimat zugezogen hatte.
Auch seine Familie sieht diese Bilder. Als die Medien noch sein Alter und Hinweise auf psychische Probleme kolportieren, ahnen sie sofort, um wen es sich handelt. Und sie sollten recht behalten.
Ein Sohn und ein Bruder von Mohammed R. leben in Deutschland, ein weiterer Sohn wohnt in Österreich. Sie sowie weitere 250 Zeugen hat die Polizei in der Zwischenzeit vernommen. Zeitweilig hatte die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen an sich gezogen, da zunächst ein islamistisch motivierter Anschlag denkbar war.
Keine Kontakte zu Islamisten
Doch mittlerweile deutet alles daraufhin, dass der 55-Jährige vielmehr aus Frust über seine Lebenssituation einen Amoklauf inszenierte. Kontakte zur islamistischen Szene hatte er wohl nicht. Hin und wieder soll der Muslim zwar gebetet haben, die Wände seiner Wohnung in Ehrenfeld waren mit Koransuren bemalt. Besonders religiös war er aber nicht, ein Moschee-Gänger auch nicht, fanatisch schon gar nicht.
Die Nachforschungen der Kölner Kripo zeichnen das Bild eines eigenwilligen Einzelgängers. Einer, bei dem stets das Geld im Vordergrund stand. „Er konnte charmant sein, wenn er wollte und die Leute um den Finger wickeln, wenn es etwas zu holen gab“, berichtet ein Bekannter. Bei den Nachbarn in Neuehrenfeld hat R. sich als Opfer politischer Verfolgung inszeniert, der im syrischen Knast Schlimmes erlebt haben will. Diese Geschichten scheinen nicht wahr zu sein.
Haft im Assad-Regime
Stattdessen soll R. in seiner Heimat bereits mit vermeintlichen Antiquitäten Kunden geleimt haben. Auch soll er sich gegen eine Festnahme durch die syrische Polizei gewehrt und dabei eine Kugel in den Bauch bekommen haben. Er musste offenbar eine mehrjährige Haftstrafe im Assad-Regime unter anderem wegen Betruges absitzen, als seine Kinder noch klein waren. Anfangs soll er im Gefängnis auch gefoltert worden sein, berichten Verwandte.
Seine Frau und seine Kinder siedelten in den Libanon über. Mohammad R. folgte ihnen 2014 nach seiner Freilassung. Das Verhältnis zu seiner Familie verschlechterte sich zusehends. Immer wieder betätigte R. sich mit dubiosen Methoden im Kunsthandel, machte Schulden und versetzte Gläubiger. Nach einem Jahr wanderte er aus: Zunächst suchte er in Prag um Asyl nach, dann reiste er weiter nach Deutschland. Eigentlich hätte er in das Erstaufnahmeland Tschechien abgeschoben werden müssen, doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg versäumte die entsprechende Frist.
Betrug mit angeblichen Kunstwerken
Und so wurde Mohammad R. zum deutschen Problemfall. Bald schon hat er seine Einkünfte auf Hartz-IV-Niveau offenbar wieder durch Gaunereien aufgebessert. Mal bot er sich in den sozialen Netzwerken als Schmuckankäufer an und betrog Interessenten. Mal offerierte er Bekannten angeblich antike Kunstgegenstände aus seiner Heimat, die sich aber bei näherer Betrachtung als minderwertige Ware erwiesen.
Seit der Einreise im März 2015 wurde er mehrfach straffällig. Zum Tatzeitpunkt musste sich der Syrer wegen Betrügereien vor Gericht verantworten. Das Verhältnis zu seinen Verwandten und seinen Söhnen, die ebenfalls nach Deutschland gekommen waren, kühlte hier weiter ab.
R., mit 14 Geschwistern aufgewachsen und als Lieblingssohn seines Vaters verhätschelt, sei ein schwieriger Mensch, gab einer der Angehörigen zu Protokoll. Kontakt hielt die Familie dann meist nur noch über WhatsApp. Freunde und Bekannte gingen auf Distanz, als sie merken, dass Mohammad R. es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt.
Isolation und Unzufriedenheit
Zunehmend isoliert, verdüsterte sich offenbar sein Gemüt. Je größer die Probleme, desto mehr steigerte sich seine Unzufriedenheit. Vergebens versuchte R., seine Ehefrau aus dem Libanon nach Köln zu holen. Aber die hiesigen Stellen verweigerten ein Visum. Das soll ihn psychisch belastet haben.
Die Schuld für sein Scheitern gab er anderen. Es ist aktenkundig, dass der syrische Zuwanderer immer häufiger über die deutschen Behörden schimpfte. Offenbar hatte sich da jemand eine goldene Zukunft erträumt und ist dann unangenehm hart auf den Boden der Tatsachen gefallen, legen die Erkenntnisse der Strafverfolger nahe .
Auch scheint Mohammad R. tablettensüchtig gewesen zu sein. Bereits in Syrien soll er einen Cocktail aus Psychopharmaka und Schmerzmitteln zu sich genommen haben. In Deutschland war er in psychiatrischer Behandlung. Eine brisante Kombination: ein seelisch labiler Mann, abhängig von Medikamenten, weitgehend isoliert von seinen Mitmenschen. Erklärt dies ein äußerst brutales Kapitalverbrechen?
Die Suche nach dem Motiv
Antworten zu seinem Motiv kann letztlich wohl nur der Täter geben. Mohammad R. hat den SEK-Zugriff knapp überlebt. Seine Ärzte sprechen von einem „Wunder“. Wochenlang lag er im künstlichen Koma. Inzwischen wird er im Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg behandelt. Nur langsam vermag R. den Ausführungen seiner Besucher zu folgen.
Auch ist noch unklar, ob der Geiselnehmer sich überhaupt an seine Tat erinnern kann. Neben einem Anwalt ist einer seiner beiden Söhne als sein gesetzlicher Betreuer eingesetzt worden.
Laut einem medizinischen Gutachten, das die Kölner Staatsanwaltschaft in Auftrag gab, ist Mohammad R. derzeit nicht verhandlungsfähig. Der Sachverständige hielt es allerdings für möglich, dass er bei entsprechender Behandlung in einer Reha-Klinik wieder so gesunden könnte, um sich vor Gericht zu verantworten. Ähnlich sieht es sein Verteidiger Marc Donay.
Der Kölner Anwalt hat beim Oberlandesgericht (OLG) Haftbeschwerde eingelegt. Nach seiner Ansicht gehört sein Mandant nicht ins Justizvollzugskrankenhaus, sondern in eine neurologische Reha-Klinik. Donay: „Die Begründung der Fluchtgefahr als Haftgrund ist lächerlich, mein Mandant kann nicht stehen, geschweige denn sich fortbewegen.“