AboAbonnieren

Queerer Gottesdienst an Heiligabend„Es gibt keine biblische Begründung, nach der Homosexualität eine Sünde ist“

Lesezeit 5 Minuten
Tim Lahr, evangelischer Pfarrer, steht im Talar in der Kölner Christuskirche am Stadtgarten. Er stützt sich mit den Händen auf eine Holzbank, die in Regenbogenfarben gestrichen ist.

Tim Lahr ist evangelischer Pfarrer. Bei Instagram postet er unter „amen_aber_sexy“ zu Kirche und Queer-Sein

Kölner Tim Lahr zeigt auf Instagram, dass Kirche auch queerfreundlich sein kann. Heiligabend lädt er zur queeren Mette in die Christuskirche. Hier erklärt er, warum.

Unter dem Talar trägt er einen blauen Pullover. Einen blauen Pullover mit Weihnachtsbäumen darauf. Einen in Rot. Einen in Orange. Einen in Gelb. Einen in Grün. Einen in Blau. Einen in Lila. Regenbogen-Farben. Tim Lahr ist evangelischer Pfarrer in der Christuskirche am Stadtgarten. Und er ist schwul. Auf seinem Instagram-Kanal „amen_aber_sexy“ wirbt er für eine weltoffene Kirche. Heiligabend feiert er einen dezidiert queeren Weihnachtsgottesdienst. Er sagt: Die Weihnachtsgeschichte ist nicht so heteronormativ, wie man denkt. Und: Queere Menschen brauchen eigene Angebote, um sich in der Kirche willkommen fühlen zu können.

Tim Lahr will Kirche zu einem queerfreundlichen Ort machen

Zum Interviewtermin wenige Tage vor dem 24. Dezember steht der Weihnachtsbaum in der Christuskirche schon, wenn auch noch nicht geschmückt. Die roten Kugeln liegen noch im Karton auf einem der Sitzplätze. Bis zum Heiligen Abend werden sie hängen. Um 22 Uhr wird Tim Lahr dann in einer queeren Christmette predigen, die Drag Queen Kelly Heelton singt, Georg Razumovskij spielt Klavier. Zum zweiten Mal findet der Gottesdienst an Heiligabend in dieser Form statt. An einem der höchsten christlichen Feiertage wird nicht nur Jesu Geburt, sondern auch die Vielfalt in der Kirche gefeiert. Das ist ungewöhnlich. Auch 2022 noch.

21.12.2022, Christuskirche Köln, Außenaufnahme des Hauptschiffs beim Portrait von Tim Lahr, Pastor zum queeren Weihnachtsgottesdienst, Foto: Christian Festag

Die evangeische Christuskirche nahe des Stadtgartens.

Tim Lahr weiß das. „Viele Menschen haben ein Problem mit der Kirche. Natürlich besonders queere Menschen. Über Jahrhunderte ist ihnen gesagt worden: Homosexualität ist eine Sünde. So, wie du bist, bist du nicht richtig. Das ist natürlich auch gesamtgesellschaftlich so gewesen. Aber von der Kirche als moralische Instanz hat es ein anderes Gewicht“, sagt er. Der 33-Jährige will nun zeigen, dass Kirche auch ein sicherer Ort für queere Menschen sein kann. Einer, an dem sie Gemeinschaft erleben können. Akzeptanz.

In der Bibel steht nicht, dass Homosexualität Sünde ist

In der evangelischen Kirche sei das Thema theologisch schon lange aufgearbeitet. „In der katholischen Kirche ist das anders. Hier gibt der Papst das Dogma vor – das muss nicht biblisch begründet sein“, so der Pfarrer. Ihn erreichten oft Nachrichten, in denen steht: Lies doch mal die Bibel. „Das finde ich lustig. Als hätte ich das nicht studiert“, sagt Lahr. „Es gibt keine biblische Begründung, nach der Homosexualität eine Sünde ist“, sagt er. Das Wort „Homosexualität“ gebe es erst seit dem 18. oder 19. Jahrhundert.

Die Handvoll Bibelstellen, die immer wieder herangezogen werden, müssten im Kontext gelesen werden. Wenn es zum Beispiel heißt, „ein Mann soll nicht bei einem Manne liegen wie bei einer Frau“, ginge es dabei nicht um Beziehungen auf Augenhöhe. Sondern um patriarchale Strukturen, die Herabsetzung des Mannes. Analverkehr als Strafe, nicht als Liebesakt.

Die Weihnachtsgeschichte lässt sich auch aus queerer Perspektive erzählen

Queer-Sein gehört für ihn in die Kirche, queere Menschen in die Gemeinde. „Natürlich kann man auch ohne Kirche glauben“, sagt Lahr. „Aber in Gemeinschaft ist es doch viel schöner.“ Neben queeren Gottesdiensten organisiert der Pfarrer auch Parties in und unter der Kirche. „Mir sind die Tränen gekommen, als ich das erste Mal gesehen habe, wie queere Menschen sich in der Kirche geküsst haben. Dass sie sich hier sicher gefühlt haben.“ In seiner letzten Weihnachtspredigt ging es um die Herberge. So wie Maria und Josef keinen Platz für die Geburt ihres Sohnes finden, ist es auch gerade für queere Menschen oft schwer, einen sicheren Ort zu haben. Lahr will ihn schaffen.

21.12.2022, Christuskirche Köln, Pastor Tim Lahr, offen homosexuell lebender Pastor der Evangelischen Gemeinde Köln läd zum zum queeren Weihnachtsgottesdienst ein, Foto: Christian Festag

Er macht junge, digitale und queere Kirche: Tim Lahr.

Der queere Weihnachtsgottesdienst ist explizit für alle Menschen offen, auch die, die sich nicht der LGBTQ* Community zuordnen. „Ich habe schon Nachrichten bekommen, in denen stand: Ich komme, und ich bringe meine Eltern mit. Der Gottesdienst ist eine Möglichkeit, seine Familie an seinem Leben, am eigenen Queer-Sein teilhaben zu lassen“, erklärt er. Zumindest diejenigen, die auch nach ihrem Coming-Out in gutem Kontakt zu ihren Angehörigen stehen. „Für viele ist die Familie leider nicht sicher. Sie werden immer noch verstoßen. Viele queere Menschen kommen, weil sie an Weihnachten sonst allein zuhause sitzen würden. Auch deshalb gibt es im Anschluss noch Glühwein und Punsch. Um zusammenzukommen.“

Lahr spricht auf Instagram über LGBTQ*-Themen unter „amen_aber_sexy“

Aber wenn der Gottesdienst doch für alle ist. Wenn die Kirche für alle ist. Warum das Queer-Sein dann so offensiv nach außen tragen? Das ist ein Vorwurf, der immer wieder kommt. Muss es denn so bunt sein? „Kirche wird von den meisten queeren Personen nicht als sicher wahrgenommen. Man muss es extra dazuschreiben, damit die Menschen sich willkommen fühlen“, entgegnet Lahr. Und macht das an einer persönlichen Geschichte greifbar. „Mit meinem Ex-Freund war ich in den USA, zu der Zeit, als Donald Trump Präsident war. Da macht man sich schon Gedanken, wo man überall Händchen haltend langlaufen kann. Als wir in ein Dorf kamen, war dort schon beim Eingangsschild die Regenbogenflagge gehisst. ‚We are queerfriendly‘, stand da. Wir haben uns gleich viel wohler gefühlt.“

Lahr weiß, dass sein offen queeres Angebot nicht überall gut ankommt. Dass es einigen Menschen zu viel ist. Schwul, lesbisch, trans sein? Schön und gut, aber doch bitte nicht in der Kirche. „Ich versuche, immer alle mitzunehmen. Aber die Welt verändert sich in einem wahnsinnigen Tempo. Da werden einige abgehängt“, sagt er. Lahr will an der Kirche der Zukunft arbeiten. „Eine, die vielleicht entgegen dem Trend wieder wächst.“ Auf Social Media ist er auf einem guten Weg dahin. Seinem Account „amen_aber_sexy“ folgen über 12.000 Menschen. Ab dem neuen Jahr bekommt er von der evangelischen Kirche offiziell eine halbe Stelle im Kirchenkreis Köln-Mitte für „junge, digitale und queere Kirche“.

Lahr will als schwuler Pfarrer selbst Vorbild sein

Er möchte das Vorbild sein, dass er selbst bei seinem Coming-Out mit 19 Jahren nicht hatte. Mit sich haderte, ob er als schwuler Mann denn Pfarrer werden könne. Die Resonanz zeigt: Er hat die richtige Entscheidung getroffen. „Letztes Jahr sind Menschen aus der Kirche gegangen und haben gesagt: Das war der schönste Weihnachtsgottesdienst, in dem sie je waren“, erzählt er.

Und auch in diesem Jahr wird Tim Lahr predigen, dass die Bibel, dass die Weihnachtsgeschichte, nicht so heteronormativ ist, wie man denkt. „Heute kennt man die Weihnachtsgeschichte als perfekte Familiendarstellung. Vater, Mutter, in der Mitte das Kind. Dabei war es doch so: Maria ist schwanger, und weiß nicht von wem. Josef überlegt sich zwischendurch sogar abzuhauen. Da ist das Familiendrama doch perfekt“, sagt er und lacht.

Schon damals seien die Menschen so bunt wie die Schöpfung gewesen, meint Tim Lahr. Eine schöne Weihnachtsbotschaft.