Seit 1937 gab es den Haushaltswarenladen auf der Weidengasse. Nun ist Schluss, das Haus ist verkauft.
Kölner Traditionsgeschäft schließtAuf der Weidengasse verabschiedet sich eine Legende
Das, was da so zufällig nebeneinander in den hohen Schaufenstern liegt, sieht beinahe aus wie eine Kunstinstallation: Geschirr in 70er-Jahre-Beige, Kaffeekannen längst ausgelaufener Serien, ein Bowle-Service mit bizarren Mustern, Zuckerzangen und Plastikkrähen. In der Eingangstür des Haushaltsladens Balke auf der Weidengasse hängt ein handgeschriebenes Plakat mit der Aufschrift „Watt fott es, es fott“.
Es ist der letzte Ausverkauf des Traditionsgeschäfts, das hier seit 1937 ansässig war. Paula Filz, die den Laden 1973 von ihrem Vater Eduard Balke übernommen hatte, war für viele Kölnerinnen und Kölner ein vertrautes Gesicht.
Neuer Besitzer eröffnet vielleicht Weinladen auf der Weidengasse
Jahrzehntelang stand die Frau mit dem schulterlangen, gewellten Haar zwischen den raumhohen Regalen voller Kleinigkeiten wie Apfelausstecher, Müllbeutel, Einmachgläser, Schälmesser und Vasen. Im Oktober 2022 ist Paula Filz mit 91 Jahren gestorben. Schien schon zu ihren Lebzeiten die Zeit in dem Laden stillzustehen, so ist sie seither eingefroren.
Der Berliner André Claaßen hat das denkmalgeschützte Haus gekauft und den symbolischen Ausverkauf organisiert. „Ich wollte das nicht einfach wegwerfen.“ Das Gebäude habe er auf Ebay entdeckt, in Berlin habe er bereits ein ähnliches Projekt umgesetzt. Er will etwas „Nettes“ hineinbringen. Einen Weinladen oder ein Café vielleicht, das stehe noch nicht fest. Auf jeden Fall will er die Struktur des Ladens mit den umlaufenden hohen Regalen erhalten. „Ich will ihn nicht entkernen.“
Familie löschte im Krieg das brennende Haus auf der Weidengasse
Paula Filz hat fast ihr ganzes Leben in dem Haus an der Weidengasse verbracht, hat oben gewohnt, unten gearbeitet. 2018 erzählte sie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, wie die ganze Familie während des Krieges Wassereimer für Wassereimer aus dem Keller geschleppt und oben am Dachgiebel ausgeleert hatte, um das brennende Haus zu retten. Als der aus dem Krieg heimgekehrte Vater das Geschäft 1945 wiedereröffnete, fing er erstmal mit Eisenwaren wieder an: Schlüssel, Schrauben, Bettbeschläge. Sie hätte sich damals auch einen anderen Beruf vorstellen können, aber: „Mein Vater war sehr dominant, und wenn er etwas sagte, war das so.“ Also ging sie bei den Eltern in die Lehre. Sie heiratete einen Koch, bekam einen Sohn. Und blieb hinter dem Tresen.
Der Laden wurde ihr Leben, „ihr Hobby“, wie sie im hohen Alter sagte. „So lange ich täglich hier arbeiten kann, bin ich glücklich.“ Paula Filz kannte jedes noch so kleine Nippes-Figürchen, das vorrätig war – und freute sich, wenn es verkauft wurde, selbst wenn es manchmal erst nach Jahren war. Ihr Motto: „Weggeschmissen wird nichts, irgendwann kommt für jedes Teil ein Kunde.“ Ans Aufhören dachte sie nie: „Meine Kunden wollen, dass ich weitermache. Es macht mir Spaß, im Geschäft zu stehen. Mich mit Menschen zu unterhalten. Es ist ein gutes Gefühl, wenn sie nach einer guten Beratung mit dem Richtigen nach Hause gehen.“ Selbst, wenn es nur ein Staubsaugerbeutel war.
Sie erlebte, wie die Weidengasse zur türkischen Meile wurde
Die Kasse war uralt, von Computern wollte Paula Filz nichts wissen. „Ich hatte schon in der Schule Spaß am Rechnen. Und auch mein Vater konnte es“, erzählte sie 2011 dem städtischen Magazin „Kölner Leben“. Als ihre Schwester in den 1950er Jahren die erste Rechenmaschine mit nach Hause brachte, wurde um die Wette gerechnet. „Mein Vater hat oft gewonnen.“ Während sich um sie herum die Welt veränderte, die Weidengasse zur türkischen Meile wurde, das Viertel zum Sanierungsgebiet, werkelte sie weiter in ihrem Laden.
Ihr Mann starb bereits vor vielen Jahren. Für sie ging es weiter treppauf und treppab an der Weidengasse – 80 Stufen liegen zwischen dem Laden und der Wohnung. Und die oberen Verkaufsregale sind nur mit einer Schiebeleiter zu erreichen, da musste Paula Filz immer wieder rauf. Die Regale stammen noch aus dem Schuhgeschäft, das hier einst beheimatet war. „Da passten genau zwei Schuhkartons übereinander. Daran wurde nie etwas geändert.“ Schade wäre es, wenn das einmal verschwinden würde, aber darüber habe sie noch nie nachgedacht, sagte sie 2018. Nun stehen die Reste ihres Lebens im Schaufenster. Der neue Hausbesitzer will sich bemühen, dass ihre Spuren nicht ganz verwischen.