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„Bei der Arbeit gekifft und Heroin geraucht“Kölner erzählt von Drogenkonsum und wie er clean wurde

Lesezeit 6 Minuten
Langzeit-Cannabis-Konsument steht am Fenster eines Raums der Drogenhilfe Köln, Rückenansicht.

Tunca Karaman (Name geändert) war 30 Jahre lang drogenabhängig.

Der Kölner Tuncay Karaman hat 30 Jahre lang Haschisch geraucht und andere Drogen genommen – auch bei der Arbeit. Ein Protokoll.

Tuncay Karaman (Name geändert) kann gut erzählen, manchmal lacht er auf, wenn er eine Anekdote aus seiner Drogenkarriere erzählt. Lustig findet er seine Geschichte aber nicht: Den ersten Joint rauchte der heute 52-jährige Kölner mit 14, 30 Jahre hat er Haschisch und Marihuana konsumiert, mehrere Jahre Kokain, Heroin, Amphetamin, Schnaps.

Neben ihm im Besprechungsraum der Drogenhilfe Köln an der Krefelder Straße sitzt sein Therapeut Marco Volk. „Du bist von allen meinen Klienten derjenige, der am längsten clean ist“, sagt Volk. „Das ist eine sehr starke Leistung.“ Karaman hat seit fünfeinhalb Jahren keine Drogen mehr angerührt. „Das ging nur, weil ich Hilfe bekommen habe – und bis heute in Therapie bin“, sagt er. „Lieber hätte ich nie einen Joint geraucht. Dann wäre mein Leben ein anderes geworden.“ Ein Protokoll.

Erster Joint bei Michael Jacksons Lied „Thriller“ und der Sendung Formel 1

Das erste Mal Kiffen verbinde ich mit dem Lied „Thriller“ von Michael Jackson und dem Musikvideo dazu, das 1984 in der WDR-Sendung Formel 1 Premiere hatte. Ich war mit meiner Mülheimer Realschulklasse auf Klassenfahrt, abends durften wir die Sendung gucken und waren total geflasht von dem Lied und dem Video. Als wir später auf unsere Zimmer gingen, klopfte Ingo bei uns, ein Junge, der zweimal sitzengeblieben war, und sagte, er hätte da was, das uns genauso wegkicken würde wie „Thriller“: Er holte einen Brocken Haschisch aus der Hosentasche und baute einen Joint. Es hat total geknallt. Wir haben bis zum frühen Morgen durchgelacht.

An diese Glücksgefühle habe ich mich erinnert, als ich drei Monate später Haschisch, das Jugendliche rauchten, in meiner Siedlung roch. Die Jugendlichen haben mich mitrauchen lassen. Mit 16 habe ich ein- bis zweimal pro Woche gekifft, als ich einmal selbst Geld verdient habe, 350 Mark, habe ich alles für Haschisch ausgegeben.

Auf der Arbeit im Rangierdienst haben wir immer gekifft. Einige von den Kalker Jungs haben später auf Schicht Heroin geraucht
Tuncay Karaman

Nach der Schule habe ich beim Rangierdienst der Bundesbahn angefangen. Auf dem Rangierbahnhof in Gremberg gab es eine Gruppe von Jungs aus Kalk. Wir haben ständig gekifft: vor der Arbeit, während der Mittagspause, nach der Arbeit. Einer hatte immer etwas dabei. Das war auch Gruppenzwang: wie mit Ingo in der Realschule, wie in der Siedlung. Der Mensch ist ein Herdentier. Er macht, was alle machen. Mit Alkohol ist es ja das gleiche – aber Alkohol ist von der Gesellschaft akzeptiert. Jeder läuft hier im Viertel mit Bierflasche rum – ich finde, auch das müsste verboten werden. Sollen die Leute in der Kneipe oder zu Hause saufen, aber nicht auf der Straße, wo jedes Kind denkt: ganz normal, jeder trinkt.

In der Anfangszeit beim Rangierdienst habe ich das erste Mal Opium geraucht, zwischendurch auch mal Speed, Amphetamin, alles bei der Arbeit. Aus heutiger Sicht war das irre: Die Arbeit auf dem Rangierbahnhof ist gefährlich – für das Kuppeln und Entkuppeln oder das Aufhalten von Waggons sollte man konzentriert sein. Ich habe viele schwere Unfälle erlebt, Kollegen haben Arme und Beine verloren. Und wir waren die ganze Zeit drauf. Viele meiner Kollegen sind später von Cannabis zu Heroin gewechselt – sie haben auf Schicht Heroin geraucht.

1993 bin ich zum ersten Mal Vater geworden, in den nächsten sechs Jahren kamen drei weitere Kinder. Zu der Zeit habe ich nur noch vor und nach der Arbeit gekifft – ich wollte meinen Job nicht verlieren, wegen der Familie. Nachdem ich im Jahr 2000 umgezogen bin nach Gremberghoven, habe ich in einem Café einen Lkw-Fahrer getroffen, der mir ein paar Näschen Koks spendiert hat. Warum nicht?, dachte ich. In den nächsten vier Jahren war ich kokainabhängig. Um runterzukommen, habe ich exzessiv Cannabis geraucht und gesoffen, oft fünf, sechs Joints am Abend und eine Flasche Vodka oder Raki. Alles im Keller unseres Hauses – die Kinder waren oben.

60.000 Mark Abfindung der Bahn waren nach weniger als einem Jahr weg – für Drogen

Die Bundesbahn hat zu der Zeit Stellen abgebaut und ich habe mich abfinden lassen – 60.000 Mark habe ich bekommen. In weniger als einem Jahr war das Geld weg. Alles für Drogen. Es gab Tage, an denen ich zehn bis 15 Gramm Kokain geraucht habe – schnupfen ging irgendwann nicht mehr, weil die Nasenschleimhaut völlig zerstört war. Mit meiner Frau gab es immer mehr Streit. Sie wusste, dass ich kiffe, aber nicht, dass ich kokse. Irgendwann habe ich abends zwei Linien auf dem Wohnzimmertisch gezogen und ihr gesagt: Ich bin süchtig nach dem hier. Zu der Zeit sah ich aus wie ein Zombie: Nur noch Haut und Knochen, keinen Arsch mehr in der Hose, die Augen in tiefen Höhlen.

Als ich mich selbst nicht mehr sehen konnte im Spiegel, habe ich eine Entgiftung gemacht, bei den Alexianern in Porz. Die Entzugsschmerzen waren krass. Nach drei Wochen habe ich mich entlassen – ich konnte das Leid mit den krampfenden und wimmernden Heroin-Junkies nicht ertragen. Am selben Abend habe ich wieder gekifft, Kokain aber nicht mehr angerührt.

Am Ende des Jahres kam die Trennung von meiner Frau. In der Folge habe ich mehrere Wochen Heroin geraucht und habe irgendwann einen kalten Entzug gemacht. Im Jobcenter habe ich immer gesagt, dass ich süchtig bin und Hilfe brauche. 2013 hat mir ein junger Jobberater einen Kontakt zur Diakonie vermittelt, ich habe eine Therapie gemacht, danach war ich ein Jahr lang clean. 2017 kam die zweite Therapie – inzwischen bin ich seit fünfeinhalb Jahren clean.

Ich wollte nach der Scheidung auch meine Kinder nicht mehr sehen – wahrscheinlich, weil ich voll auf Drogen fokussiert war
Tuncay Karaman

Wie ich das geschafft habe, weiß ich selbst nicht so richtig: Ich war immer ein Nimmersatt, der alles weggeknallt hat. Mein ganzes Leben hat sich immer nur um die Sucht gedreht. Ich wollte nach der Scheidung auch meine Kinder nicht mehr sehen – wahrscheinlich, weil ich voll auf Drogen fokussiert war. Ohne Drogen bin ich viel entspannter, nicht ständig nervös.

Nahaufnahme eines Joints, der von einer Hand zur nächsten gereicht wird.

Tuncay Karaman rauchte große Mengen Marihuana.

Wenn ich auf der Straße Gras rieche oder mir am Ebertplatz etwas angeboten wird, denke ich keine Sekunde daran, etwas zu kaufen. Ich habe Depressionen, bin antriebsschwach und lustlos – aber das ist immer noch besser als immer bedröhnt zu sein. Ich habe in den vergangenen Jahren immer mal wieder gearbeitet und hoffe, dass ich irgendwann wieder einen festen Job machen kann.

Dass Cannabis legalisiert wird, finde ich falsch: Warum noch eine Droge legalisieren, wenn schon Millionen Deutsche alkoholkrank sind? Verstehe ich nicht.

Ich bin froh, dass ich nach 30 Jahren Kiffen und anderen Drogen noch lebe, keine Psychose habe und körperlich keine größeren Probleme. Einige meiner Kalker Jungs sind längst tot. Andere glauben immer noch, sie hätten die Drogen im Griff – dabei haben die Drogen immer noch sie im Griff.

Ohne meine Drogengeschichte hätte ich heute wahrscheinlich ein Haus, ein schönes Auto, Kontakt zu meinen Kindern
Tuncay Karaman

Ohne meine Drogengeschichte hätte ich heute wahrscheinlich ein Haus, ein schönes Auto, Kontakt zu meinen Kindern. So bin ich froh, dass ich in einem Zimmer der Drogenhilfe lebe, Unterstützung bekomme und clean bleibe. Stolz bin ich auf mein Leben nicht.

Menschen mit Abhängigkeiten können sich an die Ambulante Reha und Fachstelle für Sucht und Glücksspielsucht der Drogenhilfe Köln in der Krefelder Straße 5 wenden, Tel. 0221/136872. Im Rechtsrheinischen unterhält die Drogenhilfe Köln die Ansprechbar, Victoriastraße 12, Tel. 0221/91279710.