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Pfandkredite in KrisenzeitenDeshalb gehen Kölner ins Leihhaus

Lesezeit 4 Minuten
Ein junger Mann mit Bart steht neben dem Geschäftsschild von „Grüne's Leihhaus“ in der Kölner Schildergasse.

Josef hat im Leihhaus eine Kamera abgegeben.

In der Krisenzeit boomt das Geschäft der Pfandkredite. Wofür brauchen  Kunden von Leihhäusern das schnelle Bargeld?

Josef hat einen Koffer auf der Straße gefunden, den anscheinend jemand entsorgen wollte. Eine Kamera befindet sich darin, ein Glücksfund für den jungen Mann, der sie selbst zwar nicht gebrauchen kann, sehr wohl aber Geld. Josefs Anlaufstelle also: das Pfandhaus. 

In der Schildergasse ist eine Filiale von „Grüne’s Leihhaus“, dort nehmen die Mitarbeitenden Wertgegenstände wie diesen an. Das machen nicht viele Häuser, die meisten sind auf Schmuck spezialisiert. Josef kennt die Angestellten bereits: „Die geben auch mal mehr, wenn man öfter kommt.“ 20 Euro hat er diesmal erhalten. Damit geht er direkt ins Bürgerbüro. Vielleicht habe er nun genug für einen neuen Ausweis zusammen.

Das Geschäft mit den Pfandkrediten zieht an

Regelmäßige Kundinnen und Kunden wie Josef hat das Leihhaus viele und vor allem immer mehr in Krisenzeiten wie diesen. Die Angestellten fragen zwar niemals nach, wofür der Kredit benötigt wird, aber manchmal erzählt die Kundschaft aus ihrem Leben. „Wir merken, dass das Geschäft seit Anfang des Jahres anzieht“, sagt Geschäftsführerin Maike Grüne, „das ist sicherlich den gestiegenen Preisen zu schulden.“

Am Dienstag vor Weihnachten betritt eine Frau mit Wollmütze den kleinen Bereich des Leihhauses, der mit dickem Panzerglas vom Lager und Büro abgetrennt ist. An drei Schaltern hinter dem Glas bedienen Angestellte die Kunden. Vor zwei Monaten hatte die Kundin 60 Euro gebraucht und dafür eine Goldkette gepfändet.

Zwar ist der Weg ins Pfandhaus schon lange nicht mehr zwielichtig, aber den meisten Kundinnen und Kunden ist anzusehen, dass es ihnen unangenehm ist. Die Frau mit Pudelmütze will anonym bleiben. Sie scheint erleichtert, ihren Schmuck wieder nach Hause holen zu können.

Maike Grüne, Geschäftsführerin „Grüne's Leihhaus“ vor dem Regal mit gepfändeten Handys in der Filiale in der Schildgergasse.

Maike Grüne, Geschäftsführerin „Grüne's Leihhaus“ vor dem Regal mit gepfändeten Handys in der Filiale in der Schildergasse.

Im zweiten Stock über der Schildergasse kann Maike Grüne aus den Fenstern des Leihhaus-Lagers auf das florierende Weihnachtsgeschäft in der Einkaufsstraße blicken. Aber hier oben tut sich eine Parallelwelt auf. Von Konsum sind die Kundinnen und Kunden weit entfernt. Sie brauchen Geld für das Wichtigste im Leben: Mieten zahlen, Nebenkostenabrechnungen begleichen, die Kinder versorgen. „Die Kunden stöhnen, alles ist teurer geworden“, erzählt Grüne. Sie führt die Leihhauskette mit 21 Filialen in vierter Generation.

Handy als Pfand: Gionni will Tochter ein Geschenk kaufen

Gionni ist an diesem Tag der nächste Kunde, er möchte sein Handy auslösen. Ein neues iPhone hatte er vor drei Monaten abgegeben, 120 Euro wollte er dafür haben. Wer einen Gegenstand mitbringt, bekommt einen Pfandkredit und sofort Bargeld auf die Hand. Monatliche Zinsen von wenigen Euro werden je nach Höhe des Darlehens fällig.

Die Kunden stöhnen, alles ist teurer geworden.
Maike Grüne, Geschäftsführerin der Leihhaus-Kette

Hätte Gionni sein Handy nicht abgeholt, wäre es nach einem weiteren Monat versteigert worden. Doch das passiert mit den wenigsten Gegenständen des Lagers von Grüne. „85 bis 90 Prozent der Pfände werden wieder eingelöst“, rechnet Mitarbeiter Sebastian Commotio aus. Ein noch höherer Anteil bei Handys. Gionni hatte seiner Tochter einen Wunsch erfüllen wollen. Bettzeug und einen Pullover der Girlgroup Blackpink hat er ihr von dem Darlehen gekauft.

„Der Winter dauert noch an, wenn man so lange heizen muss, wird der Andrang weiter hoch bleiben“, schätzt Maike Grüne das Geschäft der kommenden Monate ein.

Sebastian Commotio, ein Mitarbeiter von „Grüne's Leihhaus“, prüft einen goldenen Armreif auf seine Echtheit in der Filiale in der Schildgergasse.

Sebastian Commotio, ein Mitarbeiter von „Grüne's Leihhaus“, prüft einen goldenen Armreif auf seine Echtheit in der Filiale in der Schildgergasse.

Ein anderer Mann will einen Armreif seiner Frau abgeben. Er legt den Reif in die schmale Durchreiche unter der Glasscheibe. Auf der anderen Seite geht Sebastian Commotio mit dem vermeintlichen Goldschmuck zum Prüftisch. Der Kunde hat Pech, es handelt sich nicht um echtes Gold. Rolex-Uhren, Luxus-Handtaschen, sogar teure Jacken prüft Commotio auf ihre Echtheit.

In großen Tresoren lagert der Schmuck auf den zwei Etagen mit je fünf Räumen, zudem nur wenige Zugang haben. Fahrräder, E-Scooter und Musikinstrumente stapeln sich in den Regalen. Vor allem Technik wird mittlerweile abgeben: Spielekonsolen, Laptops, Smartphones oder DJ-Equipment.

Auch kurios Sachen ist dabei: Ein riesiger Plüsch-Teddy und sogar eine Monstranz sind schon gepfändet worden. Eine Ecke des Leihhauses zeigt insbesondere, dass nicht alle Bürgerinnen und Bürger am Geschenkkonsum der Einkaufsstraße teilnehmen können. Dort lagert Werkzeug. Einige Handwerker müssten so den Winter, der wenig Umsatz bringt, überbrücken, erklärt Maike Grüne.