Leihäuser in NRW boomen„Ich überleg’s mir, ob ich die Cartier-Uhr heute verpfände“
Düsseldorf/Köln – Der Weg zum schnellen Geld führt in eine Einbahnstraße am Düsseldorfer Hauptbahnhof. In den Schaufenstern des Leihhauses liegen Handtaschen neben Schmuckstücken, die einst als Pfand für einen Kredit dienten und nicht mehr abgeholt wurden. Eine Hermes-Handtasche beispielsweise für 9.999 Euro, eine von Gucci zum reduzierten Preis von 499 Euro, golden schimmernde Omega-Uhren für knapp 1000 Euro und Trauringe von 200 bis 1200 Euro. Daneben aber werden auch Elektrogeräte wie das Iphone 11 für 590 Euro angeboten, ein Samsung Galaxy S20 ist bereits für 379 Euro zu haben.
„Man merkt, dass die Leute weniger Geld haben, jedenfalls hatten wir in den vergangenen Wochen zunehmend mehr zu tun“, sagt der Düsseldorfer Leihhaus-Chef Jürgen Becker – und bestätigt damit einen bundesweiten Trend. Gerade in letzter Zeit hätten die Geschäfte angezogen, betont der Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Pfandkreditgewerbes (ZDP), Wolfgang Schedl. In Zeiten hoher Inflation und steigender Energiekosten könne die Pfandleihe halt rasch für das nötige Kleingeld sorgen.
„Der Kreditbedarf wird signifikant zunehmen“
Alles werde teurer, berichteten Kunden der Mitgliedsbetriebe vor Ort, so Schedl. Konkrete Zahlen lägen ihm nicht vor. Er könne sich angesichts der aktuellen Situation aber vorstellen, „dass der Kreditbedarf der Menschen in den nächsten Monaten signifikant zunimmt“.
Das Geschäft von Pfandleihern ist einfach erklärt: Wer dringend Geld braucht, bekommt gegen ein Faustpfand einen Kredit. Dafür werden Zinsen und Gebühren fällig. Zahlt der Kunde alles rechtzeitig zurück, kann er den beliehenen Gegenstand wieder mitnehmen. Wenn nicht, wird er versteigert.
95 Prozent der verpfändeten Gegenstände werden wieder abgeholt
„Drei Monate haben die Leute Zeit, ihre Sachen wieder auszulösen“, erklärt Becker. Zur Sicherheit würde er die Wertgegenstände dann noch einen weiteren Monat liegen lassen, bevor er sie zum Verkauf anbiete. Etwa 95 Prozent der Gegenstände würden im Jahresdurchschnitt wieder abgeholt. „Ich bin gespannt, wie sich das jetzt entwickelt. Denn gerade an dieser Zahl sieht man dann, ob die Leute nur einen Überbrückungskredit brauchen, oder ob sie verkaufen müssen“, ergänzt der Pfandverleiher.
Auf dem Bürgersteig vor seinem Geschäft steht eine junge Frau und sieht sich die Auslagen an. „Ja, ich gucke mal, welche Preise die hier für Uhren so aufrufen“, sagt sie. Etwas verschämt erzählt sie von der finanziellen Lücke, die eine Erkrankung ihres Ehemannes gerissen habe. „Und jetzt soll auch noch alles teurer werden“, beklagt die 39-Jährige. Dann holt sie eine Cartier-Uhr aus der Handtasche: „Hier, ich überleg’s mir, ob ich die heute verpfände.“
Immer mehr Kunden aus der Mittelschicht
Ja, bestätigt Verbands-Geschäftsführer Schedl, schon seit Jahren beobachte er, „dass immer mehr Menschen aus der Mittelschicht kommen“. Die Zeit, als Pfandleihhäuser ausschließlich als „Arme-Leute-Bank“ dienten, sei längst vorbei. Wer genau da vor ihm stehe, sei oft schwer zu beurteilen, meint Klaus Müller vom „Leihhaus Köln-Süd“. Klar aber sei, „dass die Geschäfte angezogen haben“. Das Ende der Fahnenstange sei aber noch nicht erreicht, glaube er: „Ich denke, dass da noch was kommt.“
Dem stimmt auch Maike Grüne von Deutschlands größtem private Pfandkreditinstitut zu. Außer im ersten Stock eines Geschäftshauses auf der Kölner Schildergasse hat das Unternehmen noch Filialen in acht weiteren deutschen Großstädten, fünf davon sind in NRW. „Aktuell merken wir schon, dass wir ein Stück weit davon profitieren, dass alles teurer wird“, sagt sie.
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Außer Schmuck und hochwertige Uhren würden in ihren Häusern beispielsweise auch neuere Fernseher und Computer oder hochwertige Fahrräder als Pfand akzeptiert. Die Spanne der Kredite sei immens weit. „Das geht von fünf Euro etwa für ein paar alte Kopfhörer bis zu fast 100.000 für hochwertige Uhren, die uns ein Kunde noch vor Kurzem gebracht haben“.