Interview zu Kölner Intensivstationen„Die Lage ist sehr angespannt“
- Professor Christian Karagiannidis ist Leitender Oberarzt in der Lungenklinik Köln-Merheim und wissenschaftlicher Leiter des bundesweiten Intensivbettenregisters.
- Darin werden täglich aktuell die freien Intensivbetten und die Belegung mit Covid-Patienten erfasst.
Köln – Die aktuelle Karte im von Ihnen geleiteten bundesweiten Intensivbettenregister zeigt an, dass in den Kölner Kliniken derzeit rund 6,7 Prozent der Betten frei sind. Das sind 27 Plätze. Wie ist diese Zahl einzuordnen?
Ein Wert von unter zehn Prozent bedeutet eine sehr angespannte Lage. Wir gehen nach einer Ampel-Einteilung vor. Und die Ampel steht in Köln gerade noch auf gelb. Ich bekomme immer häufiger Mails von Corona-Leugnern, die schreiben: Es sind doch noch so viele Betten frei, wo ist das Problem? Das muss man aber in Relation sehen. Eine durchschnittliche Intensivstation hat zwölf Betten. Wenn davon eines für Notfälle frei gehalten wird, sind acht bis neun Prozent der Betten frei – aber nur, bis tatsächlich ein Notfall kommt. Das ist also nicht viel.
Der Anteil von Covid-Patienten auf den Intensivstationen liegt in Köln derzeit bei 15,4 Prozent , NRW-weit aber nur bei 9,5 Prozent. NRW-weit sind etwa 13 Prozent der Betten frei. Woher kommt der Unterschied?
Das liegt unter anderem daran, dass wir in Köln viele Fachkliniken haben und auch einige Patienten aus dem Umland aufnehmen. Aber auch NRW-weit werden die Zahlen hochgehen. Wir sind bei einem R-Wert von über eins, das wird sich beschleunigen.
Haben sich die Lockerungen im Handel auf die Patientenzahl ausgewirkt?
Wir hatten eine Weile relative Ruhe. Aber seit etwa eineinhalb Wochen gehen die Zahlen in Köln nach oben. Dies führen wir aber vor allem auf die Ausbreitung der britischen Mutante zurück. Noch können wir das auffangen, indem zum Beispiel nicht notwendige Operationen verschoben werden.
Anderseits müsste es jetzt doch wegen der Impfungen weniger hochbetagte Patienten geben.
Ja, der Anteil geht deutschlandweit zurück. Dafür gibt es aber eine deutliche Zunahme an infizierten Kindern – die werden selbst nicht krank, aber stecken Erwachsene an. Deshalb wäre jetzt auch eine schnelle Impfung von Über-50-Jährigen nötig.
Hat sich die Altersverteilung bei den Intensivpatienten bereits geändert?
Dazu liegen noch nicht genug Daten vor. Zur Zeit sieht es so aus, als sei die Verteilung ähnlich wie 2020. Da zeigen sich noch keine signifikanten Änderungen.
War die Situation schon einmal ähnlich angespannt wie jetzt?
Wir sind auf einem ähnlichen Stand wie im Oktober 2020. Damals gab es bundesweit 3000 Covid-Intensivpatienten. Wenn wir jetzt beim Impfen nachlassen, bei den Lockerungen bleiben und die Inzidenz bis 200 laufen lassen, dann können es 5000 bis 6000 Patienten werden.
Schaffen das die Kliniken?
Das ist die absolute Kapazitätsgrenze. Das heißt, dass im Extremfall andere Patienten nicht aufgenommen werden können.
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Welche Probleme bereitet der Stopp der Impfungen mit Astrazeneca?
Er kostet uns Zeit, wahrscheinlich zwischen zwei und vier Wochen. Aber ich bin optimistisch, dass er bald wieder eingesetzt werden kann.
Was muss unternommen werden, damit die Infektionszahlen nicht weiter steigen?
Wir müssen deutlich strenger werden. Ich hoffe, die Politik setzt die Beschlüsse um, nach denen die Lockerungen bei einem Inzidenzwert über 100 zurückgenommen werden. Sonst verbreitet sich die Mutante zu schnell. Die Menschen sollten medizinische Masken tragen. Und es dürfen sich keine Gruppen vor Geschäften oder Gastronomiebetrieben bilden.
Welche Rolle spielen Testungen?
Sie sind ein wichtiger Baustein, aber als einzige Maßnahme reichen sie nicht aus, dazu müssen Impfungen und Kontaktbeschränkungen kommen.
Wie ist die Stimmungslage in den Intensivstationen?
Das Personal ist sehr erschöpft. Man muss bedenken: Auch wenn die Zahl der Covid-Patienten mal eine Zeitlang zurückgegangen ist – dafür werden ja andere Schwerstkranke betreut. Es gibt da keine Erholungsphasen. Die Zahl der freien Betten ist zu keinem Zeitpunkt nach oben gegangen.