Kölner Kabarettist Robert Griess„Beunruhigend, dass Satire auf einmal der Feind ist“
- Der 54-Jährige Kabarettist gastiert am 16. und 17. Oktober mit seinem neuen Programm „Apocalypso, Baby!“ im Senftöpchen-Theater.
- Im Interview spricht er über medial beschworene Untergänge, Trump und die Chance der Grünen, in Köln nun etwas zu bewirken.
- Außerdem spricht er über die Rolle von Satire und darüber, ob Hetze gegen umstrittene Kabarettisten wie Lisa Eckhart, Dieter Nuhr oder Serdar Somuncu gerechtfertigt ist.
Herr Griess, Sie sind mit Ihrem neuen Programm „Apocalypso, Baby“ am 16. und 17. Oktober im Senftöpfchen zu Gast. Erleben wir gerade mit der Pandemie einen Vorgeschmack auf die Apokalypse?
Griess: Ich bin schon vor Corona auf den Titel gekommen, weil schon seit Jahren medial der Untergang beschworen wird: Angefangen mit der Eurokrise, der Krim-Krise, und weiter mit Trump, der Klimakatastrophe, dem Rechtspopulismus und so weiter. Aber eigentlich geht es uns ganz gut, zumindest hier in Mitteleuropa. Diesen Widerspruch wollte ich thematisieren. Damit keiner denkt, dass ich schlecht gelauntes Kabarett mache, kam noch das „Baby“ hintendran. Apokalypse mit Augenzwinkern.
Aber die Pandemie ist auch Teil Ihrer lustigen Schreckensszenarien?
Ich thematisiere auch Corona: Satire hat ja Ventilfunktion. Ich spreche über die Auswirkungen. Über den Scholzomaten. Über Aktionäre, die ihre Dividenden bekommen müssen und trotzdem wollen die Unternehmen Staatshilfen. Wir klatschen für die Krankenschwestern und wenn sie streiken, heißt es: Wie könnt ihr nur? Bei der Wirtschaft gilt Angebot und Nachfrage. Niemand hat am Anfang der Pandemie gesagt, es sei unsolidarisch, dass Masken und Desinfektionsmittel zehn Mal teurer waren. Am Anfang war es eine Diskussion über Mitmenschlichkeit und jetzt will keiner darüber reden.
Der US-amerikanische Präsident Trump ist in den Medien omnipräsent. Fühlen Sie manchmal auch so eine Abstumpfung bei bestimmten Themen?
Ich rege mich nicht mehr über jede Kleinigkeit auf, andererseits kann ich am besten Satire machen über Dinge, die mich ärgern. Ich kann das schlecht abschalten und so tun, als wäre ich Zen-Buddhist und als wäre mir das alles egal. Andere Leute gehen zum Therapeuten und lassen sich behandeln, ich habe das Privileg, dass ich das auf der Bühne in positive Energie umwandeln kann.
Ihre Tour findet, auch wenn in abgespeckter Form, gerade statt. Das ist in der jetzigen schweren Lage für Künstler und Kulturschaffende doch bemerkenswert.
Es ist schon eine Katastrophe – um uns Künstler mache ich mir keine so großen Sorgen, vielmehr um die Theater. Wenn eins zumacht, dann kommt ja nicht ein halbes Jahr später jemand mit einem Theater als Geschäftsidee. Einmal zu, bleibt das über Jahre so. Mein Motto ist daher: Alles, was geht, spielen wir, auch wenn mit schlechterer Auslastung. Um ein Signal zu senden. Ich habe noch nie gelesen, dass sich jemand im Theater angesteckt hätte . Bei uns sind größere Abstände als auf jeder Wahlparty oder in jeder Straßenbahn.
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Die Grünen sind erstmals stärkste Kraft in Köln geworden. Die Kölner sehen den Verkehr als eines der drängendsten Probleme: Fahrrad oder Auto – sind das schon Kampfsymbole?
Man darf nicht vergessen, dass viele Autofahrer auch gleichzeitig Fahrradfahrer sind und umgekehrt. Ich bin selber beides. In der Stadt fahre ich viel Fahrrad und zu meinen Auftritten auch eben häufiger mit dem Auto. Deswegen liegt mir wohl daran, dass der öffentliche Raum genutzt wird und nicht nur zum Transit dient – wie die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurde. Nicht das Verweilen, sondern das Passieren stand im Fokus. Selbst der Neumarkt ist ja nicht schön gestaltet: Oben Autos, unten Bahn. Man muss den Grünen zurufen: „Macht es!“. Als sie mit Rot-Grün in der Bundesregierung waren: Satz mit X war wohl nix. Die Jahre waren schnell um, sie sollten also sehen, dass sie diese Wahlperiode hier gut nutzen.
Satire gerät immer öfter unter Beschuss. Lisa Eckhart, Serdar Somuncu, Dieter Nuhr: Alle drei werden wegen angeblich politischer Unkorrektheiten stark kritisiert. Zurecht?
Da würde ich noch Idil Baydar dazuzählen, die deutsch-türkische Kabarettistin, die dauernd Morddrohungen per Email vom NSU 2.0 bekommen hat. Die Hetze ist überhaupt nicht gerechtfertigt. Mich beunruhigt, dass der Satiriker auf einmal der Feind ist. Dabei macht sich Satire über bestehende Zustände lustig und kritisiert sie mit den Mitteln des Humors. Wenn Satiriker auf einmal als Gegner gelten, wird nicht mehr über die Strukturen geredet. Sie sind ja nicht verantwortlich für die Realität. Deswegen ist es völlig albern, sich an ihnen abzuarbeiten statt an den Zuständen. Das Schöne ist doch in unserm Land noch, dass jeder Kabarett machen darf - weswegen es auch eine der demokratischsten Kunstformen überhaupt ist. Man muss nicht mit einer Eckhart oder einem Nuhr übereinstimmen. Man kann wegschalten. Aber den Leuten vorzuschreiben, welche Witze sie machen dürfen oder nicht, finde ich erbärmlich. Wir können doch froh sein, dass Leute von allen Seiten ihre Meinungen sagen dürfen. Das ist eine Errungenschaft und keine Gefahr. Für manche scheint Meinungsfreiheit nur die Freiheit der eigenen Meinung zu sein.
Was kann politisches Kabarett heute leisten?
Kritische Unterhaltung und ein Anregen zum Selberdenken. Ich glaube nicht, dass man mit Satire die Welt verändern kann, aber ich glaube, dass man wie bei jedem Kollektiverlebnis im Theater eine Katharsiswirkung durchleben kann. Es hat etwas von Ermutigung, wenn man rausgeht und denkt „Man kann die Welt auch so sehen“. Oder über Autoritäten lachen kann. Kabarett ist auch immer Autoritätszerstörung und Weltbildzertrümmerung, wenn es gut ist. Allen, die noch nicht von 30 bis 40 Jahre Privatfernsehen verdorben sind, macht das Spaß.