Anja Bierwirth ist Expertin für Stadtwandel und erklärt, warum es vielleicht gar nicht viel mehr Wohnungen in Köln braucht – sondern einfach die richtigen.
5 Jahre KlimanotstandKölner Klimaexpertin zu Verkehrsversuchen: „Wir müssen mehr Experimente wagen“
Köln hat vor fünf Jahren den Klimanotstand ausgerufen. Was hat das gebracht?
Bierwirth: Das Ausrufen an sich ist erstmal natürlich nur ein symbolischer Akt. Aber er macht dennoch deutlich, dass eine Stadt, in dem Fall Köln, sich wirklich bewusst darüber geworden ist, dass die Klimakrise ein Notfall ist. Und dringend gehandelt werden muss. Im Nachgang müssen dann entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, woran sich die Stadt letztlich messen lassen muss.
Zur Person: Anja Bierwirth ist Leiterin des Forschungsbereiches Stadtwandel in der Abteilung für Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Sie lebt in Köln.
Wie viel Wohnraum braucht Köln wirklich?
Hat die Stadt sich beim Klimaschutz seitdem so entwickelt, wie es nötig wäre?
Wir sind noch nicht bei der Geschwindigkeit, in der Städte sich umbauen müssten. Das geht aber nicht nur Köln, sondern eigentlich allen Städten so. Wir müssen schneller werden. Man sieht aber schon, dass sich in Köln einiges getan hat, zum Beispiel bei der Förderung des Fahrradverkehrs. Es sind eine Menge Fahrradstraßen entstanden, früher bin ich nicht gerne mit dem Rad über die Ringe gefahren. Wir müssten aber bei jedem Stadtentwicklungsprojekt die Klimafolgen mitdenken. Ob noch eine Dachbegrünung möglich ist, ob hier noch eine Photovoltaik-Anlage gebaut werden kann. Das klingt banal, doch die Verzahnungen innerhalb der Verwaltung sind da manchmal noch nicht da.
Mit Kreuzfeld oder der Parkstadt Süd steht in Köln ja die Entwicklung neuer Quartiere an. Passt das noch in die Zeit?
Es ist eine Krux, weil Nachhaltigkeit auch die Ausgewogenheit zwischen sozialen und ökologischen Faktoren bedeutet. Es ist immer ein Kompromiss. Bei der Parkstadt Süd, die ja auch auf jetzt schon versiegelter Fläche entsteht, ist das sicherlich auch noch etwas anderes als bei Kreuzfeld, das auf die grüne Wiese gebaut wird. Die Frage, die man sich aber eigentlich stellen muss, ist aber nicht nur: Wie viel Wohnraum brauchen wir? Sondern vor allem: Welche Wohnangebote brauchen wir?
Wie meinen Sie das? Der Wohnungsmangel in Köln ist doch eklatant.
Es fehlt nicht zwangsläufig in der Quantität Wohnraum, sondern er ist schlecht genutzt. Wir müssen die Potenziale dort besser nutzen, wo wir bereits gebaut haben und untersuchen, auf welche Gebäude wir noch aufstocken können. Auf welche Garage und auf welchen Supermarkt man noch Etagen für die Wohnnutzung setzen könnte. Welches leerstehende Bürogebäude umgenutzt werden kann. Und welche Menschen eigentlich lieber in eine altengerechte Wohnung ziehen würden, als in ihrer zu groß gewordenen Familienwohnung zu bleiben. Das ist aber sehr kleinteilig und anstrengender, als ein ganz neues Quartier zu planen. Darin sind wir geübt. Doch den Bestand besser zu nutzen und entsprechend umzubauen, damit hat Deutschland in weiten Teilen ein Problem.
Klimaneutralität in Köln bis 2035 nur noch „theoretisch“ möglich
Und inwiefern wird der jetzige Wohnraum schlecht genutzt?
Es wird immer wieder gesagt, es fehlen altengerechte Wohnangebote und es fehlen familiengerechte Wohnangebote. Aber letztlich wird nicht darauf geschaut, wie die Menschen leben, die hier schon wohnen. Denn dann stellt man fest, dass es familienfreundlichen Wohnraum gibt – der aber nicht von Familien genutzt wird, sondern vor allem von älteren Menschen. Umfragen zeigen, dass es bei älteren Menschen eine hohe Bereitschaft gibt, sich zu verkleinern, weil ihnen ihr Haus oder ihre Wohnung zu groß geworden ist. Aber es muss ein Alternativangebot für sie geben. Wir müssen komplementäre Angebote schaffen, in dem wir nicht weiter das bauen, was es gibt, aber gerade belegt ist – sondern das, was wirklich fehlt.
Die Stadt wird in Zukunft vor großen finanziellen Problemen stehen. Können wir uns den Klimaschutz da noch leisten?
Wenn wir es nicht machen, wird es noch teurer werden. Es ist günstiger, in den Klimaschutz zu investieren, als hinterher mit den Folgen umzugehen. Es wäre gut, sich einen wirkungsorientierten Haushalt zu geben, in dem Investitionsfragen an klare Zielsetzungen im Bereich Nachhaltigkeit gekoppelt sind.
Die Stadt will bis 2035 klimaneutral sein. Ist das überhaupt noch zu schaffen?
Ist es, aber nur sehr theoretisch. Wenn wir jetzt alle Kräfte darauf fokussieren würden, könnte man es schaffen. Aber es stehen noch immense Transformationsprozesse an, wie im Verkehrsbereich.
„Verkehrsberuhigungen haben keine Effekte auf den Einzelhandel“
Die in Köln durchgeführten Verkehrsversuche, wie an der Deutzer Freiheit oder der Venloer Straße, stoßen nicht nur auf Gegenliebe.
Es gibt eine Menge Studien, die sich mit verkehrsberuhigten Bereichen beschäftigen, und es ist mitnichten so, dass damit Insolvenzwellen einhergehen. Wenn das so wäre, würde keine Fußgängerzone der Welt funktionieren. Wenn ich einen Parkplatz vor meinem Geschäft habe, habe ich einen Kunden im Laden – mit vier Fahrradstellplätzen könnten es gleich vier sein. Wir sehen, dass die Verkehrsberuhigungen entweder gar keine Effekte auf den Einzelhandel haben oder einen positiven Effekt. Diese Diskussion ist veraltet.
Die Kritik an den Verkehrsversuchen zeigt doch aber, dass die Akzeptanz für Klimaschutz-Maßnahmen in der Bevölkerung noch nicht so hoch ist.
Wir könnten auch sagen, wir lassen alles so, wie es ist. Aber die Welt verändert sich ja trotzdem. Es geht nicht darum, jemandem das Auto wegzunehmen. Sondern den Menschen, die eigentlich bereit dazu wären, darauf zu verzichten, gute Alternativen anzubieten. Ja, die Verkehrsversuche werden nicht überall gut angenommen. Trotzdem denke ich, dass wir mehr Experimente wagen müssen. Denn diese Aufgabe, die da vor uns liegt – der Stadtumbau in Richtung nachhaltige Stadt – das haben wir so noch nie gehabt. Deshalb hat noch niemand den perfekten Plan. Wir als Bürgerinnen und Bürger müssen uns da auch selbst hinterfragen, und uns nicht gegen alles stemmen.
Nach dem Motto: Klimaschutz ja, aber bitte nicht vor meiner Haustür?
Genau. Dabei ist eine Straße mit weniger Autoverkehr sicherer, weniger laut, hat bessere Luftqualität und bietet Raum zur Begrünung und Verschattung, was die Aufenthaltsqualität erhöht. Ich finde, wir reden zu viel über Konflikte im Klimaschutz und viel zu wenig über die Synergien, die allen zugutekommen.